piwik no script img

Grüne fürchten demokratiefreie Zone am Reichstag

■ Vizepräsident des Bundestages, Rudolf Seiters (CDU), fordert für Anfang des Jahres ein neues Bannmeilengesetz für Berliner Regierungsviertel. Grüne lehnen Abschottungsregelung ab

Die Gegner von Demonstrationen und Versammlungen im Berliner Parlamentsviertel wollen den Bundestag zu einer schnellen Regelung des Bannmeilengesetzes drängen. Nach Ansicht des Vizepräsidenten des Bundestages, Rudolf Seiters (CDU), soll das Parlament schon Anfang des Jahres – und damit rechtzeitig vor dem Umzug – eine Bannmeile für die Gesetzgebungsorgane in der Hauptstadt beschließen. Die bisherige Bonner Regelung, sagte Seiters gestern, die dem Schutz der Arbeit und Funktionsfähigkeit der Gesetzgebungsorgane diene, habe sich als sinnvoll erwiesen. Versammlungen in dem gesetzlich befriedeten Bannkreis rund um den Reichstag wären dann verboten.

Der CDU-Politiker betonte, es gehe nicht um eine Abgrenzung von Abgeordneten. Vielmehr müsse gesichert sein, daß die Abgeordneten ohne direkten Druck von außen ihrer Arbeit nachgehen und ihren politischen Auftrag erfüllen könnten.

Ob der Seiters-Vorstoß allerdings so über die Bühne gehen wird, ist fraglich. Zwar ist auch Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) der Meinung, daß für Berlin eine baldige Änderung des Bannmeilengesetzes auf den Weg gebracht werden müsse. Schily-Sprecher Roger Kiel betonte gegenüber der taz, eine Bannmeile sei „grundsätzlich notwendig, um das Parlament vor Pressionen zu schützen“. Welches Ausmaß die Sperrmaßnahme allerdings haben sollte, müsse der Bundestag entscheiden. Abschottungsvarianten, wie von Teilen der CDU-Opposition gefordert, sind nach Ansicht Kiels nicht konsensfähig.

Einen politischen Sperrbezirk lehnt auch die FDP ab. Statt dessen, so das „Hirsch-Modell“ (benannt nach dem FDP-Rechtspolitiker Burkhard Hirsch), könne ein besonderes Anmeldeverfahren für Kundgebungen innerhalb des Parlamentsviertels an sitzungsfreien Tagen vom Bundestag beschlossen werden. Versammlungsrecht und Bannmeilenregelung würden so flexibel aufeinander abgestimmt.

Eine baldige gesetzliche Entscheidung über die Berliner Bannmeile – nämlich ihre Quasi-Abschaffung – fordern Bündnis 90/Grüne. So sollte nach Meinung von Franziska Eichstädt-Bohlig, baupolitischer Sprecherin der Partei, im größten Teil des Regierungsviertels keine Beschränkung bestehen. Als Kompromiß, so Eichstädt-Bohlig, könne sie sich höchstens „eine kleine Bannmeile um den Reichstag herum“ vorstellen. Diese dürfe aber nicht prinzipiell, sondern nur partiell gelten.

Ebenso wie Eichstädt-Bohlig sieht auch Cem Özdemir, innenpolitischer Sprecher der Grünen, keine Notwendigkeit für ein restriktives Bannmeilengesetz. Es dürfe „in Berlin keinen demokratiefreien Raum geben“. Das Regierungsviertel sein „kein Jurassic- Park zum Bestaunen“ von Politikern, sondern ein Ort des lebendigen Dialogs. Die Beschränkung von Demonstrationen auf sitzungsfreie Tage lehnt Özdemir ab. Die Funktionsfähigkeit des Parlaments werde durch den Gebrauch demokratischer Rechte nicht gefährdet. Rolf Lautenschläger

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen