: Dem Glücksspiel verfallen
Mark N. ist süchtig. Jahrelang saß er allabendlich vor dem Spielautomaten. Erst heute weiß er, seine Krankheit ist unheilbar. Aber sie kann zum Stillstand gebracht werden ■ Von Elke Spanner
Mal zockte er nur ein Stündchen, oft mehrere. Immer wenn er seine Eltern besuchte, war der Druck besonders groß. Dann verbrachte er die halbe Nacht in der Spielhalle. Mehrmals die Woche war er dort, manchmal täglich. Sein Stammgerät war sein bester, irgendwann sein einziger Freund. Wenn Mark N. heute beschreibt, wie die Spielautomaten funktionieren, dann lacht er verlegen. Er weiß, daß es absurd klingt, den Abend damit zu verbringen, immer wieder auf eine rote Taste zu drücken, wenn sie aufblinkt. In einer Spielhalle, deren Düsternis er als „total eklig“ beschreibt. Fast ungläubig schüttelt er heute den Kopf. Doch noch bis vor einem halben Jahr war der rote Blinkknopf sein Lebensinhalt.
Mark N. war ungefähr 17 Jahre alt, als er zum ersten Mal vor einem Geldspielgerät saß. Das war in einem Imbiß. Die Pommes rot-weiß waren längst weg, der Abend noch lang und unverplant. Zusammen mit einem Freund warf er einen Groschen ein, auch mal drei. Sein Ziel war es, Sonderspiele zu gewinnen, für dreißig Pfennig waren 50 weitere Runden drin. Der Gegner war nicht der Freund, sondern der Automat. Seither traf Mark N. sich öfters mit Freunden zum Daddeln im Imbiß, später zum Billardspielen in einer Spielhalle. Auch dort setzte sich die Clique manchmal vor ein Geldspielgerät. Die Freunde gingen irgendwann nach Hause. Mark N. blieb sitzen.
Den „richtigen Einstieg ins Zocken“ fand Mark N., als er mit 18 das erste größere Geld in den Händen hielt. Seine Großmutter schenkte ihm 2000 Mark. Ab jetzt setzte er nicht mehr nur 30 Pfennig ein. Er erhöhte auf fünf Mark pro Spiel. „In einem halben Jahr waren die 2000 Mark weg“, sagt Mark N. Jahre später sollte er Abende erleben, an denen er innerhalb weniger Stunden mehrere hundert Mark verzockte.
Geld war für ihn nie ein großes Problem – zumindest kein Grund, mit dem Spielen aufzuhören. Mark N. ist gelernter Kaufmann. Tagsüber verdiente er im Büro das Geld, abends wurde es wieder verzockt. Der geregelte Arbeitsalltag versteckte seine Sucht nach außen hin, aber auch vor ihm selbst. Daß er süchtig ist, hat der heute 26jährige jahrelang nicht gewußt. Daß er fast sein ganzes Geld verspielte, das merkte er. Und daß er keinerlei Bindungen mehr hatte, außer der zu seinem Automaten. Abends, wenn er die Spielhalle verließ, fühlte er sich schmutzig. „Während ich am Automaten meine intensivsten Erlebnisse hatte, war ich im Alltag innerlich leer.“ Was sonst das Leben bietet, bot ihm nur der Automat – und zwar abrufbar für ein paar Pfennige: Euphorie und Traurigkeit, Spannung und Erleichterung.
Heute weiß Mark N., daß er vor seinen persönlichen Problemen in die Spielhalle floh. In Beziehungen konnte er sich nur schwer durchsetzen, „zocken gehen war einfacher“. Was er im Alltag nicht schaffte, arbeitete er abends an seinem Stammgerät ab. Während er tagsüber nur funktionierte, lebte er abends auf. Manchmal voll euphorischer Glücksgefühle beim Gewinnen, manchmal mit Enttäuschung und Wut im Bauch, wenn er mit leerem Portemonnaie nach Hause ging.
Daß er die Kontrolle über sich verloren hatte, war Mark N. schon nach wenigen Monaten klar. Fortan kämpfte er nicht nur gegen die Automaten, sondern vor allem gegen sich selbst. Für seine Umwelt war er der solvente Kaufmann, gutaussehend und sympathisch. Innerlich zerfleischten ihn Selbstzweifel. „Ich habe mich vor mir selbst immer kleiner gemacht.“ Ziele hatte er keine mehr, nichts, woran er sich festhalten konnte. Aber „man muß erst ganz unten sein, ehe man sich Hilfe holt“, weiß er heute.
Der Punkt war zum ersten Mal mit Anfang zwanzig erreicht. Gedemütigt vom eigenen Leben, traute er sich kaum noch unter Menschen. Er konnte nicht mehr Bahn fahren, aus Angst, alle würden ihm direkt in die Seele blicken. Mark N. suchte seinen Hausarzt auf, begann eine Therapie am Universitätskrankenhaus Eppendorf. Dort behandelte ein Therapeut das Spielen als „Verhaltensstörung“. Er sagte ihm, Mark müsse lernen, kontrolliert zu spielen. Daß er süchtig ist, daß durch den ersten flüchtigen Kontakt mit dem Gerät der Kreislauf wieder ausgelöst wird, sagte ihm niemand.
Während der Therapie war er kurz „trocken“. Dann kam der erste Rückfall. „Mit jedem Rückfall wird es exzessiver“, weiß Mark N. heute. Etliche hat er mittlerweile hinter sich. Zwischendurch stieg er auf handfeste Drogen um, nahm Koks, Speed, Ecstasy. Dann warf er wieder die erste Münze in einen Automaten.
Irgendwann dann tat er den Schritt, den „ich schon fünf Jahre vorher hätte tun sollen“. Er ließ sich zur stationären Therapie im Krankenhaus Ochsenzoll aufnehmen. Psychotherapie und der regelmäßige Besuch von Selbsthilfegruppen gehören seither zu seinem Alltag. „Mein Gott, hört sich das krank an“, sagt er errötend. Mark N. lacht kurz auf, dann wird er wieder ernst. Die Erkenntnis, daß er suchtkrank ist, hat ihn auf den Weg gebracht, „auf dem ich heute bin“. Lange hatte er sich gegen diese Einsicht gewehrt. „Denn wer will schon krank sein?“. Heute weiß Mark N. daß seine Krankheit nicht heilbar ist, aber zum Stillstand gebracht werden kann. Und er weiß, daß „der Abstand zum letzten Spiel immer größer wird, der zum nächsten aber immer gleich groß bleibt“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen