: Gebündelte Kämpferseele
■ "Die Bubi-Scholz-Story" macht aus dem heute gedächtnislosen Boxer ein hölzern-bombastisches Nachkriegsmelodram (Teil 1: 20.15 Uhr, ARD)
Als Deutschland das Lied der Endsieger nicht mehr einfallen wollte, da gab es einen, der dachte nichts ans Kapitulieren. Sich selbst nannte er einen „kleinen Parsifal“, und er träumte von Lorbeerkränzen, Frauen und schnellen Autos.
Die Nation verdaute derweil die eigene Barbarei in einem kollektiven Dornröschenschlaf, der Nachkriegsfilm schickte seine Petticoatmädchen aus, um den Massenmördern und Verlierern die Traurigkeit aus den Gesichtern zu küssen und ihnen den Sand des seligen Wiederaufbaus in die Augen zu streuen. Da kam so einer wie Bubi Scholz gerade recht: ein armer, aber reaktionsschneller Pimpf, der sich bis zum Europameister gleich in zwei Gewichtsklassen hochboxte und mit jedem Schlag der nationalen Katerstimmung eins mitgab; ein deutscher Junge von der Straße, der auf dem Schwarzmarkt seine ersten Boxhandschuhe ersteigerte und sich aus Bettlaken Siegerhosen schneidern ließ; einer, der glaubte, außer seiner Kraft auch sein Glück trainieren zu können. Gekränkte Mannesehre und natürlich „meine Inge“ waren schuld, daß der recht mickrige Bubi die Fäuste auspackte und seinen Körper aufrüstete.
Willy Brandt, Curd Jürgens, Hildegard Knef und Harald Juhnke säumten die Seile, wenn er boxte. Und der Rest der Nation verfolgte die Übertragungen seiner Meisterkämpfe im Radio.
Vierzig Jahre nach Glanz und Elend des Boxers Scholz entdeckt der WDR den Held der Zukurzgekommenen wieder und poliert seinen Werdegang zum TV-Spektakel, das in einem zähen Kammerspiel zwischen Ehetor und Gefängnistristesse gerinnt. Die Fernsehnation muß wieder mal den Gürtel enger schnallen, und Bubi Scholz zeigt uns zur Jahreswende (wenigstens im ersten Teil), wie man daraus einen Triumph machen kann.
In seiner Autobiographie „Der Weg aus dem Nichts“ (Fischer Verlag, Frankfurt, 1998) spart Scholz nicht an kehligen Worten und der Ausschmückung der eigenen Legende. Aber private Krisen, Alkohol- und Pillenexzesse spart er ebenso aus wie jenen Schuß durch die Toilettentür, der Inge Scholz das Leben kostete. Nach drei Jahren Gefängnis schaute sich Scholz wieder und wieder seine WM-Niederlage von 1962 gegen Harold Johnson an – für ihn immer noch eine von diversen Fehlentscheidungen. Und die treffen ihn schlimmer „als Hitler der Verrat im Führerbunker“. Doch sein Filmprojektor, der lange im Keller mit der Waffensammlung stand, ist inzwischen so funktionsuntüchtig geworden wie sein Gedächtnis. Schlaganfälle und Alzheimer lassen den heute 68jährigen nicht nur die biographischen Schmuddelecken vergessen, sondern auch, daß er mit 96 Kämpfen (nur zwei davon Punktniederlagen) der deutsche Profiboxer aller Zeiten war.
Die „Bubi-Scholz-Story“ unter der Regie von Roland Suso Richter ist der dritte Versuch, das Leben des Boxers zu erzählen. Bereits kurz nach Inge Scholz' Tod hatte der Berliner Produzent Arthur Brauner versucht, Marius Müller- Westernhagen als Bubi zu gewinnen. Der lehnte mit einem „Geschmacklos!“ ab, und die Angelegenheit war erst einmal erledigt. Ende der 80er Jahre dann schloß der amerikanischer Drehbuchautor Nicholas Niciphor mit Bubi Scholz einen Vertrag über Mitwirkung und Filmrechte. Als der Drehtermin näherrückte, unternahm die Hauptfigur ihren zweiten Selbstmordversuch. So wurde auch aus der US-Version nichts. Bei Richters ARD-Produktion, die im Mai bereits verschlüsselt auf Premiere zu sehen war, nahm Scholz noch einmal alle Kräfte zusammen, plauderte aus seinem Leben und holte die Siegertrophäen aus der Garage. Doch kurz vor Drehbeginn „war Scholz nur noch lethargisch, kaum noch ansprechbar“, sagt Drehbuchautor Uwe Timm. Was Scholz von der Verfilmung hält, „haben wir gar nicht mehr erfahren können“.
Dabei legt sich Timms Drehbuch mit hübschen und überwiegend fingierten Anekdoten gewaltig ins Zeug. Mit Kinoaufwand produziert und mit digitaler Technik, die 30.000 Menschen in ein virtuelles Olympiastadtion zaubert, setzt es den Bombast vor den Niedergang. Die „Bubi-Scholz-Story“ macht aus dem heute gedächtnislosen Mann ein deutsches Melodram, das Hoffnung und Elend der Nachkriegsgeneration auf das Schicksal einer gebrochenen Kämpferseele bündelt. Ein 8,6-Millionen-Mark-Unterfangen, daß trotz eindrucksvoller Boxszenen doch immer wieder über seine hölzerne Konstruiertheit stolpert. Anders als amerikanische Boxfilme, in denen die Kämpfer noch im Sieg wie ein Verlierer aussehen, atmet der erste Teil mit einem wackeren Benno Führmann den ungebrochenen Stolz einer Aufsteigergeschichte. Wenn dann aber Angela Winkler Nicolette Krebitz als späte Inge Scholz ablöst und zu Götz George als alternden Scholz in den Ehering tritt, läuft sich deren psychologistisch durchgeräusperte Bärbeißigkeit schnell wund. Das Paar hat nicht mehr viel zu erzählen und läßt den letzten Teil zu einem seltsamen Appendix aus bedeutungsschwerem Lallen und sinnwütigen Blicken verkommen.
Was eine interessante Binnenspiegelung eines deutschen Mythos vom hartverdienten Glück und tristen Leben hätte werden können, oder wenigstens ein eindringliches Protokoll einer langsamen Selbstzerstörung, begnügt sich mit einem Finale als zweitklassiges Problemfilmchen. Sprechende, selbstsatte Charakterhüllen, denen hier und da ein zungenstopfendes Mundstück sicher gutgetan hätte. Birgit Glombitza
Teil 2: Neujahr, 20.15 Uhr, ARD
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