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Brr, da hilft nur Massage

Berliner Architektur in zehn Jahren? Bei einer Wahrsagerin war  ■ Wolfgang Bachmann

Zum Jahresende war ich bei einer Wahrsagerin. Ich arbeite nämlich bei einer Architekturzeitschrift, da muß ich wissen, welche Häuser man in Zukunft bauen wird, damit wir unsere Leser nicht mit Unbekanntem verwirren.

Die Wahrsagerin hatte ich mir aus dem Branchenbuch herausgesucht. Sie erwartete mich im Souterrain eines alten Wohnhauses, in einem Zimmer, das ganz mit lila Samt ausgeschlagen war. In der Mitte standen ein kleiner Sekretär und zwei Klappstühle. „Ich heiße Elvira“, sagte die Wahrsagerin. Sie war höchstens einen Meter sechzig groß trotz ihrer weißen Lackschuhe mit PVC-Sohlen, dick wie ein Doppel-Whopper. Auf dem Kopf trug sie einen schwarzen Nadelfilzhut, der aussah, als hätte man einen Teddybär mit dem Hochdruckreiniger behandelt.

Wir kamen zur Sache. Elvira hatte keine Kristallkugel, sondern einen Laptop mit Touch-Screen. Sie wollte wissen, ob es reiche, die nächsten fünf bis zehn Jahre vorherzusehen. Mehr gebe die Software noch nicht her. Ich war einverstanden.

Elvira holte eine neue CD-Rom aus der Hülle und lud sie in den Rechner. FPS – Future Positioning System konnte ich entziffern. Elvira war sehr hübsch. „Da spielt die Musik“, sagte sie und zeigte auf eine Leinwand, die hinter den zurückgleitenden Samtvorhängen in meinem Rücken erschien. Ein Beamer vergrößerte darauf, was Elvira ihrem Computer entlockte.

„Was interessiert dich am meisten? Beijing, Los Angeles, Santiago de Compostela?“ Allesamt Orte, in denen gebaut wird wie der Teufel. Elvira kannte sich aus. „Berlin“, sagte ich. „Mein Gott, deshalb gehst du zur Wahrsagerin?“ kiekste sie, „das kannste dir doch aus dem Kaffeesatz lesen.“ „Ich trinke Tee“, sagte ich.

Ihre grünen Fingernägel huschten über den Bildschirm. Dann erschien das erste Bild auf der Leinwand. 2008.

Ich erschrank. „War da Krieg? Was ist das?“

Elvira hatte sich einen Ohrhörer eingesteckt und übersetzte ihre Eingebungen. „Das ist das Schloß. Leider ging da das Geld aus, weil man ja auch keine Verwendung für die 2.000 Räume hatte. Jetzt werden die Ruinen im Sommer für Skater und Mountainbiker hergerichtet, die fahren durch die leeren Fensterhöhlen.“ „Ach.“ „Rechts daneben steht übrigens die Bauakademie. Die wurde noch fertig und dient jetzt einigen Möbelherstellern als Showroom. Im Erdgeschoß hat Michael Kaefer ein Altberliner Bistro eingerichtet. Zur anderen Seite sieht man den Alexanderplatz. Schau, die Hochhäuser wurden gebaut. Hübsch.“

„Ist das Kollhoff?“ „Nein, von einem amerikanischen Architekten, Philip Johnson, der schon am Checkpoint Charlie diese bewohnbaren Grabsockel gebaut hat. Soll jetzt schon über hundert sein. Stimmt das?“ Elvira, die Wahrsagerin, nestelte an ihrem Ohrhörer und schenkte mir einen ungläubigen Blick.

„Was ist das für ein Gerüst in der Mitte?“ „Das war der Fernsehturm, der wird jetzt abgetragen, weil er nicht mehr in die Umgebung paßt. Das Planwerk Innenstadt ist noch einmal nachgebessert worden.“

Elvira wischte über ihren Monitor, auf der Leinwand purzelten unscharfe Bilder übereinander. „Hier, die Friedrichstadtpassagen.“ „Was ist denn mit Nouvels runder Glasecke passiert? Die erkennt man gar nicht mehr.“

Elvira lauschte in den Wahrsagerinnen-Äther und sagte: „Die Büros blieben zehn Jahre lang unvermietet. Nachdem auch die Scheiben ewig zu Boden prasselten, schlug der neue Senatsbaudirektor Kleihues eine kritische Rekonstruktion vor. Ein Düsseldorfer Büro zeichnete im Auftrag eines Generalunternehmers die Sandsteinfassaden.“ „Geh mal rein. Ich will sehen, was unter der Erde los ist“, sagte ich. Von einer privaten Polizeitruppe wurde gerade eine Frau abtransportiert. Einer der Wächter faltete einen Schlafsack zusammen.

Wir fuhren über eine Rolltreppe ins Untergeschoß. „Das Bauhaus“, verkündete Elvira. „Das Archiv, hier im Keller?“

„Nein, diese Heimwerker- Kette.“ Wo ehemals Nobeldesignerin Donna Karan auf Kundschaft gewartet hatte, gab es jetzt Spanplattenzuschnitte. Die benachbarten Läden waren gleich mitannektiert. „Diese unehrliche Kleinstparzellierung galt ohnehin als Augenwischerei“, fuhr Elvira fort, „der Senat stützte sich bei der Umwandlung auf eine umfangreiche Untersuchung von Dieter Hoffmann-Axthelm: ,Aus dem Kiez nach Global Village‘. Der Bastelmarkt arbeitet übrigens mit dem Deutschen Architekturzentrum zusammen, die haben hier ein Beratungsbüro gleich neben der Sprinklerzentrale. In der Köpenicker Straße lief das Deutsche Architekturzentrum ja nie richtig, aber die guten Erfahrungen mit den Ausstellern ließen sich nutzen.“

„Potsdamer Platz“, schlug ich vor. Elvira blätterte. „Hier, die

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Arkaden.“ „Das sieht ja aus wie in der Wilmersdorfer Straße.“ Um das Hyatt-Hotel herum sind in den schmalen Gassen Weinlauben aus Fachwerk aufgeschlagen. Volk sitzt herum und winkt in die Hellseher-Kamera. Wir fliehen zur Philharmonie. Zwischen Staatsbibliothek und Musical-Theater hat man einen Sicherheitszaun errichtet. Auf dem Parkplatz stehen ein paar ältere Menschen um einen schlohweißen Mann, der aussieht wie ein Indianer. Sie stemmen zerfetzte Transparente gegen den Wind, in einem Ölfaß lodert ein Feuer. „Die Scharoun-Gesellschaft“, sagt Elvira. „Sie fordert die Vollendung des Kulturforums nach den Plänen von Hans Scharoun.“

Es geht nach Westen. Nichts, was einen erschüttern könnte, kommt auf den Bildschirm. Erst am Tauentzien bremse ich Elvira. Neben dem Europacenter eine riesige Baustelle.

„Ach so, die Gedächtniskirche. Da hat man jetzt Eiermanns Provisorium abgerissen und nach dem Vorbild der Dresdener Frauenkirche mit dem Wiederaufbau begonnen.“

„Allmächtiger.“

„Was gibt es denn beim Wohnugsbau? Wenigstens da eine gute Nachricht?“

Elvira klickt nach Marzahn. „Die Plattenbauten hatte man zunächst mit knatschbunten Wärmedämmfassaden saniert. Dann kamen die Ästheten mit ihrer Kritik. Eine Voralberger Architektengruppe sorgte mit horizontalen Holzlatten vor den Fenstern für Furore. Inzwischen hat man das aber wieder alles entfernt: Kritische Rekonstruktion auch hier. Und unter Denkmalschutz steht das Ensemble als Beispiel des sozialistischen Städtebaus auch.“

„Laß uns umkehren, ich will nach Hause.“

„Noch rasch über das Bundespräsidialamt fliegen. Weißt du, wer Bundespräsidentin ist? Gertrud Höhler. Und die schwarz- grüne Minderheitsregierung wird von Rosa-Rot toleriert.“

„Und wie ist die wirtschaftliche Situation der Architekten?“

„Kollhoff hat das erste Mal Weihnachtsgeld gezahlt – für alle Mitarbeiter, die länger als dreißig Jahre bei ihm sind.“

Mir ist übel. Mein Nacken schmerzt, ich krümme mich auf meinem Klappstuhl. Elvira legt mir ihre Grüne-Nägel-Finger auf die Schulter. „Du bist verspannt, mein Lieber. Soll ich dich etwas massieren?“ Wie sie das herausgefunden hat, die Wahrsagerin.

Der Autor ist Chefredakteur der Zeitschrift „Baumeister“ in München

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