: "Von Frieden kann nicht die Rede sein"
■ Fehmet Agani, Chefunterhändler des Präsidenten der Kosovo-Albaner Ibrahim Rugova, über die Aussichten einer politischen Lösung der Krise im Kosovo, den künftigen Status der Provinz und die jüngsten V
taz: Der Waffenstillstand vom Oktober hat – wenn man von den militärischen Auseinandersetzungen um die Weihnachtstage absieht – gehalten. Doch eine politische Lösung ist im Kosovo nicht in Sicht. Nun hat die Kontaktgruppe eine neue Initiative angekündigt. Hat der Frieden eine Chance?
Fehmet Agani: Von Frieden kann gar nicht die Rede sein. Es gab seit der Waffenruhe über hundert Tote. Allein gestern wurden wieder fünf Leichen gefunden. Hinsichtlich einer politischen Lösung ist man keinen Schritt weitergekommen. Serbiens Vorschlag einer politischen Lösung besteht darin, die bestehende Situation zu legalisieren. Das ist für die albanische Seite nicht akzeptabel. Die letzte Variante des Vorschlags des US-Vermittlers Hill ging ebenfalls davon aus, daß der Kosovo serbischem Recht unterworfen bleibt. Deshalb haben wir den Vorschlag abgelehnt. Mal sehen, was die Kontaktgruppe vorschlägt.
Es scheint, daß in einer ersten Variante seines Vorschlags Hill für die Idee empfänglich war, den Kosovo aus Serbien, aber nicht aus Jugoslawien herauszulösen. Könnten die Albaner eine Lösung akzeptieren, die den Kosovo, Montenegro und Serbien als gleichberechtigte Staaten einer jugoslawischen Föderation etabliert?
Unser Vorschlag ist ja, daß der Kosovo zunächst für eine Übergangsperiode, vielleicht drei, vier oder fünf Jahre, als gleichberechtigter Teil in einer jugoslawischen Föderation bleibt. Dann aber muß es im Kosovo eine Volksabstimmung über die Zukunft geben.
Und die Mehrheit wird für die Unabhängigkeit sein. Deshalb wollen sich die Serben ja nicht auf Ihren Vorschlag einlassen.
Und mit welchem Argument wollen Sie der Bevölkerung des Kosovo das Recht absprechen, über ihre Zukunft zu entscheiden? Hills ursprünglicher Vorschlag stand unseren Vorstellungen nahe, allerdings akzeptierte er ein Referendum nicht. Doch sah er vor, eine Reihe politischer Institutionen im Kosovo zu bilden, die nicht serbischer, sondern jugoslawischer Kontrolle unterstehen sollten. Wir sagten, das sei für uns eine Verhandlungsgrundlage. Die Serben haben den Vorschlag abgelehnt. Sie bestehen darauf, daß der Kosovo Teil Serbiens zu bleiben hat.
Akzeptiert wenigstens die UCK Ihren Vorschlag?
Sie hat ihn nicht abgelehnt. Aber sie wird keinen Kompromiß akzeptieren, der nicht ein Referendum vorsieht.
Sehen Sie denn überhaupt eine Kompromißlinie?
Die Serben schlagen alle unsere Forderungen ab. Nun hängt alles davon ob, ob es der internationalen Gemeinschaft gelingt, die Serben zum Einlenken zu zwingen. Wenn sie aber den Serben weiter Konzessionen macht, wird der Krieg nicht zu vermeiden sein.
Sie haben angekündigt, daß nun eine albanische Verhandlungskommission gebildet wird, an der alle politischen Kräfte und auch die UCK beteiligt werden sollen. Die Serben weigern sich, sich mit der UCK an einen Tisch zu setzen.
Es müssen nicht unbedingt Soldaten der UCK in der Kommission sein. Es könnte auch ihr politischer Vertreter sein.
Und wer soll auf der anderen Seite verhandeln: Jugoslawien oder Serbien?
Jugoslawien, aber dessen Verhandlungskommission wird vor allem aus Serben bestehen.
Die politische Führung von Montenegro kritisiert zwar die serbische Politik gegenüber dem Kosovo, lehnt es aber ab, den Kosovo Montenegro und Serbien gleichzustellen. Offenbar befürchtet sie, in der jugoslawischen Föderation an Gewicht zu verlieren.
Die jugoslawische Verfassung sieht vor, daß, wenn der Präsident Jugoslawiens ein Serbe ist, der Premierminister ein Montenegriner sein muß und umgekehrt. Insofern würde Montenegro etwas verlieren, wenn der Kosovo als dritte Republik dazukäme. Aber dieser Nachteil würde durch den Vorteil aufgehoben, daß das extrem asymmetrische Verhältnis zwischen dem kleinen Montenegro und dem übergroßen Serbien ausgeglichener würde, wenn es drei Einheiten der Föderation gäbe. Die Föderation könnte unter diesen Umständen besser funktionieren.
Führen Sie mit der Führung in Montenegro Gespräche?
Nein. Die sind da ohnehin vorsichtig. Sie werden ja von den Serben schnell der Kollaboration mit den Albanern beschuldigt.
Der Westen ist gegen eine Unabhängigkeit des Kosovo, weil er fürchtet, daß die Albaner in Westmakedonien dann den Anschluß fordern. Die Konsequenzen kann man sich ausrechnen.
Ich kann diese Gefahr nicht sehen, sehe aber umgekehrt die Gefahren für Makedonien, die von einem Kosovo ausgehen, in dem sich keine politische Lösung abzeichnet. Makedonien wird stabiler, je mehr Rechte es den Albanern im eigenen Land zugesteht. Alle Parteien der Albaner in Makedonien unterstützen die Unabhängigkeit des Kosovo und haben erklärt, daß ihr Staat Makedonien sei.
Der neue französische Verteidigungsminister Richard sagte gestern, zur Zeit gehe die Hauptgefahr für eine Destabilisierung des Kosovo von der UCK aus.
Das ist mir unverständlich. Wer hat denn diese Situation im Kosovo zu verantworten? Sehen Sie sich doch an, was serbische Herrschaft über den Kosovo bedeutet! Interview: Thomas Schmid
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