: Hans Dampf in allen Debatten
Am Mittwoch wird Umweltsenator Peter Strieder zum Berliner SPD-Landesvorsitzenden gewählt. Als Kreuzberger Bürgermeister wurde ihm sein Auto abgefackelt, als Modernisierer der Partei sieht er keine Alternative zu Rot-Grün. Ein Porträt des Senkrechtstarters ■ von Uwe Rada
Was ist passiert, wenn einer, der normalerweise Zigarillos raucht, zur Zigarre greift? Richtig, ein Moment größter Freude durchzuckt den Mann. Für Peter Strieder war der Sonntag vergangener Woche ein solcher Moment. Und der kommende Mittwoch wird es ebenfalls sein. Am letzten Sonntag eroberte Walter Momper, der „Liebling Kreuzbergs“, bei der Urwahl zur SPD-Spitzenkandidatur die Herzen der Basis im Sturm. Und am Mittwoch wird Umweltsenator Peter Strieder, der andere Kreuzberger Liebling, die Stimmen der Delegierten erobern und zum Landesvorsitzenden der Berliner SPD gewählt werden. „Ob ich glücklich bin?“ fragt er zurück und lächelt vielsagend. „Dafür habe ich gar keine Zeit.“
Berlin-Mitte, Köllnischer Park. Gegenüber dem Bärenzwinger und dem „Haus am Köllnischen Park“, in dem sich die PDS auf Parteitagen regelmäßig ihrer Geschichte stellt, steht ein Backsteinbau des berühmten Architekten Alfred Messel. Es ist der Sitz der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie.
Seit Anfang 1996 macht Strieder hier den Chef und aus seiner linken Vergangenheit keinen Hehl. An der Längswand seines geräumigen, mit dem Mut zur Lücke eingerichteten Büros, hängt ein Bild von Karl Marx, auf dem Hegel Kopf steht.
Kopfstände hat auch Peter Strieder machen müssen, um dorthin zu gelangen, wo er nun steht. Doch aus dem politischen Einzelkämpfer und Parteilinken, der es bis heute nicht vermocht hat, eine veritable Hausmacht hinter sich zu versammeln, ist mittlerweile ein Moderator und Modernisierer aus Leidenschaft geworden. Und einer, der, wenn es denn der Parteifindung dient, auch gegen die eigenen Überzeugungen handelt. Zum Beispiel im Januar 1996, als er die Genossen, auch die des linken Flügels, nach der 23,9-Prozent-Demütigung erneut ins Boot mit der CDU holte.
Oder an jenem 17. November 1998, als er seine eigene Kandidatur für das Amt des SPD-Spitzenkandidaten gegen Walter Momper und den SPD-Fraktionsvorsitzenden Klaus Böger zurückzog – freilich nicht, ohne sich ganz nebenbei schon einmal als möglichen Landesvorsitzenden ins Gespräch zu bringen. Als schließlich nach der Wahl Walter Mompers der bisherige Landesvorsitzende Detlef Dzembritzki, eine blasse Notlösung, zurücktrat, war der Weg für Strieder frei.
Nun kann er auch die Partei vom Kopf auf die Füße stellen, moderieren und modernisieren, den Blick nach vorne richten und damit auch die traditionell in Flügelkämpfen zerstrittene Partei auf die Zukunft einschwören.
An die Vergangenheit denkt der 1952 in Franken geborene Strieder ohnehin nicht gerne. Vor allem nicht an die „wilden“ Jahre als Kreuzberger Bürgermeister. Weil Strieder ein „Protagonist der sozialen Durchmischung proletarischer Stadtteile“ sei, hatte ihm die Kreuzberger Kiezguerilla „Klasse gegen Klasse“ (KGK) im Mai 1992 kurzerhand sein „Bonzenauto“, einen Audi 100, abgefackelt.
Anderthalb Jahre später, in der Vorweihnachtszeit, lag in Strieders Briefkasten ein Gedicht. Der Absender war diesmal „die Lyrikgruppe von KGK“. „Advent, Advent“, hieß es da, „ein Bürgermeister flennt / denn er weiß: In einem Monat, zwei, drei oder vier / irgendwann stehen bewaffnete Arbeiter-innen vor seiner Wohnungstür / Sie machen mit den Reichen und ihren Handlangern Schluß / Revolution statt Barbarei! Alles andere ist Stuß“.
Obwohl in der Folgezeit nicht bewaffnete Arbeiter vor seiner Wohnungstür standen, sondern bewaffnete Personenschützer, obwohl der Bürgermeister keinen Schritt mehr durch seinen Bezirk tat, ohne von seinen Bodyguards verfolgt zu werden, blieben Peter Strieder und seine Frau, die stellvertretende SPD-Landesvorsitzende Monika Buttgereit, dem traditionsreichen, wilden Bezirk Kreuzberg treu.
Auch heute noch, da nicht mehr selbsternannte Proletarier für Schlagzeilen sorgen, sondern die Arbeitslosenquote von über 30 Prozent, da Kreuzberg trauriges Schlußlicht in der Rangliste Berliner „Problembezirke“ und in manchen Stadtteilen der Ausländeranteil auf bis zu achtzig Prozent gestiegen ist, da die allermeisten Besserverdienenden dem Bezirk längst den Rücken gekehrt haben.
Beinahe trotzig wirkt es, wenn Strieder in lockerer Runde die Anekdote über seine beiden Söhne Moritz (14) und Jakob (12) zum besten gibt, die an manchen Tagen nach Hause kommen und wie ihre türkischen Mitschüler sprechen, „in Sätzen ohne Artikel“.
In solchen Momenten nimmt man es dem Senator Strieder ab, daß er es ernst meint mit der „sozialen Stadtentwicklung“ der Berliner Innenstadtbezirke. Strieders Blick auf die sozialen Probleme der Hauptstadt ist nicht der eines der Zehlendorfer Honoratioren, der weit ab von der Wirklichkeit des Geschehens lebt. Es ist der Blick eines Betroffenen.
Das war nicht immer so. Noch zu Beginn seiner Arbeit als Stadtentwicklungs- und Umweltsenator plagten den politischen Senkrechtstarter ganz andere Probleme.
Bemüht um ein Image als Vor- und Querdenker, hatte der Hans Dampf in allen Debatten Ende 1996 mit dem „Planwerk Innenstadt“ einen Masterplan zur Verdichtung der Berliner Mitte – der Verknüpfung von City-Ost mit der West-City – vorgelegt, der vor allem die Ostberliner in Rage versetzte.
Geleitet vom Urbanitätsbild der Westberliner Toskana-Fraktion mit ihrem Faible für mehrstöckige Bürgerhäuschen auf vorgründerzeitlichem Stadtgrundriß sollte der Plan nicht nur die baulichen Hinterlassenschaften der DDR-Moderne der 60er und 70er Jahre in den Hintergrund rücken, sondern auch neue Bewohner in die Berliner Mitte locken, sogenannte „Urbaniten mit Handy und Laptop“, wie es Strieders Staatssekretär Hans Stimman provokant formuliert hatte.
Das Problem war nur: Es gab diese Urbaniten nicht. Und mehr noch: Im Zuge der Bevölkerungsentwicklung und Stadtflucht des Jahres 1997 stellte sich sogar heraus, daß die Berliner Bevölkerung auf Dauer nicht wachsen, sondern eher schrumpfen würde. In Berlin mit seinem ungebrochenen Metropolenwahn braucht offenbar jeder sein Waterloo, auch ein Peter Strieder.
Und nicht selten hatte sich Strieder in seiner medialen Feldherrenmanier an allen Fronten gleichzeitig unmöglich gemacht. Nicht nur firmierte er, gemeinsam mit dem damaligen Innensenator Jörg Schönbohm (CDU), als geistiger Urheber der „Aktion Sauberes Berlin“.
Mitunter ließ er sich in der Boulevardpresse sogar als „Gassi-Polizist“ ablichten. Zumindest im Kampf gegen den massiven Hundekot in der Hauptstadt lautet auch bei Saubermann Peter Strieder die Devise: „Null Toleranz!“
Nicht selten landet als Bettvorleger, wer als Tiger gestartet war. Einen Gefallen hatte er sich mit seiner Selbstinszenierung als Polit- Popstar nicht getan. Als „politisches Leichtgewicht“ bezeichnete ihn bald nicht nur der Koalitionspartner CDU.
Und auch bei den Grünen, dem politischen Wunschpartner des Kreuzbergers, galt „ein Strieder“ bald „als kürzeste Einheit zwischen dem Wechsel der Meinung“, als Gradmesser der politischen Halbwertszeit.
In der Ostberliner Stadtteilzeitung Scheinschlag erschien gar eine Satire, die den kleinen Peter als kindgebliebenen Sandkastenpolitiker mit einer Vorliebe für bunte Bauklötze aufs Korn nahm. Es gab Zeiten, da hätte man Strieder lieber einen Schnuller gewünscht anstatt eine Zigarre.
Während sich das verbrauchte Personal der Berliner Politik freilich noch immer dadurch auszeichnet, unangenehme Wahrheiten am liebsten zu verdrängen, hat Peter Strieder die Kurve gekriegt. Ende vergangenen Jahres präsentierte der Stadtentwicklungssenator zusammen mit Klaus Böger, SPD- Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, und der Kreuzberger Sozialstadträtin Ingeborg Junge-Reyer ein unter seiner Federführung ausgearbeitetes Programm zur sozialen Stadtentwicklung.
„Nur wenn wir die Entwicklung der Innenstadt als Querschnittsaufgabe ansehen, werden wir weiteren Wegzug und weitere soziale Entmischung aufhalten“, betonte Strieder, der sich in dieser Frage sogar der tatkräftigen Unterstützung des renommierten Stadtsoziologen Hartmut Häußermann erfreuen konnte.
Mit diesem Perspektivenwechsel, weg von den Urbaniten, hin zur sozialen Realität der „Problembezirke“, war es Strieder nicht nur gelungen, der Opposition aus Bündnisgrünen und PDS deren ureigenes Terrain streitig zu machen. Auch innerparteilich hatte das „politische Leichtgewicht“ nun die Erwartungen erfüllt, die schon zu Beginn seiner Amtszeit an ihn gerichtet waren.
Ebenfalls in Berlin-Mitte steht das Karl-Liebknecht-Haus. In der Bundes- und Landeszentrale der PDS betrachtet man Strieders Werdegang mit besonderer Aufmersamkeit. Immerhin war der designierte Landesvorsitzende der Berliner SPD einer von zwei Sozialdemokraten, die bereits im März 1995, ein halbes Jahr vor der letzten Berliner Abgeordnetenhauswahl, ein Thema aufgegriffen hatten, das bei der Hauptstadt-SPD bis dato als Tabu galt: die Normalisierung im Umgang mit der PDS.
„Die SPD“, so war Strieder ebenso wie der vormalige Jugendsenator Thomas Krüger überzeugt, „muß den politischen Diskurs mit der PDS forcieren und deren Beteiligung an politischen Entscheidungsprozessen dort, wo die PDS durch ein Mandat legitimiert ist, grundsätzlich akzeptieren und zu einer normalen Zusammenarbeit bereit sein“.
Von normaler Zusammenarbeit spricht Strieder auch heute noch. Doch das mit der grundsätzlichen Akzeptanz geht ihm nicht mehr so selbstverständlich über die Lippen. Zu sehr liegt ihm noch der Aufschrei in den Ohren, den der damalige „Normalisierungsversuch“ hervorgerufen hatte. „Interne Pläne zur Zusammenarbeit mit der PDS“ hatte der CDU-Fraktionsvorsitzende und Westberliner Frontstadtkämpfer Klaus Rüdiger Landowsky damals ausgemacht. Ein Satz, der noch heute seinen Nachhall hat, etwa wenn Strieder sagt, der Berliner Landesverband der SPD wäre „der letzte, der wie in Sachsen-Anhalt oder Mecklenburg-Vorpommern ein Regierungsbündnis mit der PDS eingeht“.
Doch Strieder ist nicht mehr nur Überzeugungstäter, er ist, wie gesagt, auch Moderator. Und als solcher weiß er um die vielfältigen Stimmungen in der Partei. Dazu gehört auch, daß die Debatte über die PDS, so sehr sie auch von fortdauernder Abgrenzung gekennzeichnet ist, dort ihre Grenzen findet, wo die Debatte über die CDU beginnt.
Was, wenn es im Oktober ohne die PDS für Rot-Grün nicht reicht? Strieder weicht aus, erzählt die Anekdote vom CDU-Kultursenator Peter Radunski, der ihm den Tip gegeben habe, nur die Flügel auszubreiten und sich vom Aufwind zum Erfolg tragen zu lassen.
Und wenn nicht? Im Zweifel wieder die Große Koalition? Strieder überlegt. Dann setzt er sein diebisches Kleinjungenlachen auf: „Wenn die SPD die stärkste Partei wird, wäre es in diesem Fall an der CDU, zu handeln...“
Eine Tolerierung eines SPD- Minderheitensenats durch die CDU statt durch die PDS – Strieders unausgesprochener Gedanke zeugt nicht nur von seiner taktischen Finesse. Es ist auch ein untrügliches Zeichen für das Ende der Geduld. Neun Jahre Große Koalition in der Hauptstadt fordern eben ihren Tribut. Nicht nur an der Basis.
Inzwischen ist Peter Strieder wieder bei den Zigarillos. Noch ist der Wechsel auf die Zukunft nicht eingelöst. Noch lauern die Fallstricke der Zukunft und die Rote- Socken-Kampagne der Frontstadt- CDU.
Doch Strieder, der Hans Dampf, hat gelernt. Seine ungestüme Eitelkeit ist einem selbstauferlegten Pragmatismus gewichen. Deshalb will er sich, obwohl es ihm natürlich schmeichelt, nicht nur auf den väterlichen Tip seines CDU-Kollegen Radunski verlassen, sondern vor allem seine Teamfähigkeit unter Beweis stellen.
Walter Momper, der Kandidat, Klaus Böger der Parteifunktionär, Annette Fugmann-Heesing, die eiserne Sparlady, und er selbst, Peter Strieder, der Vorsitzende – ein solches Quartett, das weiß auch Strieder, hat selbst die CDU nicht zu bieten, trotz der anhaltend hohen Sympathiewerte für Eberhard Diepgen, den Regierenden Bürgermeister.
Einer Frage weicht er allerdings aus. „Wer die neue Mitte erreichen soll?“ Strieder überlegt, zieht an seinem Zigarillo. Dann sagt er: „Die neue Mitte ist hier gar nicht so entscheidend. Hier ist jede Familie direkt oder indirekt von Arbeitslosigkeit betroffen. Das ist das Thema.“ Man will ihm das beinahe glauben.
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