■ Die Pariser Verhandlungen können und müssen ein Erfolg werden: Eine Übergangslösung für den Kosovo
Die Entscheidung der Kontaktgruppe und der Nato, die Konfliktparteien im Kosovo zu direkten Verhandlungen in Paris zu zwingen, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Auch UN-Generalsekretär Kofi Annan konnte sich hinter diese Entscheidung stellen, nachdem Rußland und China, Vetomächte im Weltsicherheitsrat, sich doch noch für die Strategie des Westens gewinnen ließen.
Der Ansatz, einerseits mit militärischen Einsätzen zu drohen – die Nato kann nach der jetzigen Beschlußlage jederzeit Luftangriffe fliegen – und andererseits Verhandlungen durchzusetzen, hat sich als richtig erwiesen. Vor allem die Europäer sind jetzt in der Pflicht, auch Bodentruppen zu stellen. Das zwingt sie dazu, ihre politischen Zielvorgaben zu präzisieren. Wer meint, der Verhandlungsort Paris symbolisiere nicht nur das besondere Engagement Frankreichs, sondern auch die Bereitschaft der Europäer, der serbischen Führung atmosphärisch entgegenzukommen, liegt zwar nicht ganz falsch. Das zunächst ebenfalls vorgeschlagene Wien wäre – als Sitz der OSZE-Mission – vielleicht geeigneter gewesen. Doch nach all den Willensbekundungen der europäischen Politiker, jetzt wirklich Ernst zu machen mit einer friedenserzwingenden Strategie, ist der Ort der Verhandlungen nicht mehr entscheidend.
Der kritische Punkt liegt woanders: in den Erfolgsaussichten. Daß die Konferenz so kurzfristig anberaumt wurde, mag zwar die serbische Führung zu einer schnellen Entscheidung gezwungen haben. Die am Samstag nachmittag verbreitete Erklärung des serbischen Vizepremiers Vuk Drašković signalisierte trotz ihres harten Tons immerhin die Zusage, am Friedensprozeß teilzunehmen. Daß Slobodan Milošević ihn, den ehemals verfemten Oppositionellen, sprechen ließ, mag eine amüsante Fußnote sein – in der Sache mußte Milošević von seinen alten Positionen abrücken. Die Verhandlungen finden jetzt unter internationaler Leitung statt, was Milošević nie zugestehen wollte, die internationalen Vermittler können sogar selber Lösungsvorschläge diktieren.
Sie sollten jedoch vorsichtig sein, diese Möglichkeit vorzeitig auszuschöpfen. Der Zeitplan benachteiligt ohnehin den kosovoalbanischen Präsidenten Rugova und die Führung der UCK. In nur einer Woche läßt sich eine repräsentative und demokratisch legitimierte Führung nicht konstituieren. Der von dem Exilpremier Bukoshi gemachte Vorschlag, eine Nationalversammlung einzuberufen und eine neue Führung unter Einschluß aller politischen Kräfte zu bilden, scheitert jetzt schon am Zeitmangel – nicht nur an dem serbischen Staat, der bisher nicht einmal das Zusammentreten des im März 1998 gewählten Parlamentes erlaubte. Dennoch werden in Rugovas Verhandlungsteam, so ist aus dem Kosovo zu erfahren, alle politischen Strömungen repräsentiert sein, auch die UCK. Ohne deren Einverständnis wird ein Friedensabkommen nicht zustande kommen. Und damit liegt auch die Forderung nach der Unabhängigkeit Kosovos auf dem Pariser Verhandlungstisch, selbst wenn die internationale Seite die „territoriale Integrität“ Serbiens nicht in Frage stellen will.
Eine tragfähige, alle Seiten befriedigende, also endgültige Lösung des Kosovo-Konfliktes wird es in Paris deshalb nicht geben können. Dafür zeichnen sich aber die Konturen einer Übergangslösung ab. Die internationale Seite muß darauf bestehen, neben der OSZE-Mission auch Nato-Truppen einrücken zu lassen, um das Gebiet zu befrieden. Die Bevölkerung muß vor Übergriffen und Massakern geschützt, eine gemischte Polizei aufgebaut werden. Dann können auch demokratische Prozeduren eingeführt werden, mit einem demokratischen Parlament als Souverän, das alle Volksgruppen repräsentiert. Wollte man dagegen in Paris unter Mißachtung des Willens der Kosovo-Albaner eine „erweiterte Autonomie“ schon als endgültige Lösung erzwingen, wäre der Erfolg der Konferenz gefährdet. Erich Rathfelder
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen