: "Berlin muß wieder modern werden"
■ Heute tritt Klaus-Dieter Lehmann an die Spitze der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Den Kulturtanker aus siebzehn Museen und der vereinigten Staatsbibliothek will der neue Präsident mit moderner Technik
taz: Herr Lehmann, planen Sie bei den Preußen eine Kulturrevolution?
Klaus-Dieter Lehmann: Was ich plane, ist keine Revolution, sondern ein zeitgenössischer Umgang mit kultureller Überlieferung. Das war in Berlin immer so. Wilhelm von Bode war um die Jahrhundertwende als Museumsdirektor erfolgreich, weil er modern war. Er hat die Stilräume eingeführt, Mäzene an die Museen herangeführt, das Original in das Bewußtsein zurückgeholt. Das war Berlin. Daran müssen wir wieder anknüpfen. Wir müssen uns mit der Gesellschaft in einen kulturellen Dialog begeben, der nicht nur historisierend, sondern wirklich lebendig ist.
Derzeit sind weite Teile der Stiftung alles andere als lebendig. Das Neue Museum auf der Museumsinsel, in dem Sie heute Ihr Amt übernehmen, ist eine Ruine.
Ich habe bewußt das Neue Museum für die Amtseinführung ausgesucht, um zu zeigen: Wir haben hier Ruinen. Wir müssen große Investitionen tätigen, damit die Museumsinsel ihre Funktion so schnell wie möglich wieder erfüllt. Es geht nicht bloß darum, Dächer zu decken oder Fenster auszuwechseln.
Holen Sie also die Pläne wieder aus der Schublade, die Museen auf der Insel baulich und organisatorisch zu einem „deutschen Louvre“ zusammenzulegen?
Ich will die bereits getroffenen Bauentscheidungen zugunsten einer behutsamen Sanierung nicht verzögern oder konterkarieren. Innerhalb der Flexibilität, die sie noch bieten, will ich noch einmal Diskussionen anstoßen. Denkmalschutz kann jedenfalls nicht bedeuten, bei der reinen Konservierung von Gebäuden zu verharren. Gebäude und Sammlung gehören zusammen, sie müssen im Kontext der jeweiligen Zeit gesehen werden.
Kritiker befürchten, auch angesichts des geplanten „Schnelldurchgangs“, schon ein „Micky- Maus-Museum“.
Wissenschaftliche Präzision und anschauliche Präsentation schließen sich nicht aus. Ich will ein publikumswirksames Museum, das gleichzeitig mit der Forschung verbunden ist. Eine Event-Kultur ist für mich kein geeigneter Ansatz. Aber es ist überhaupt nicht schädlich, wenn wir Investitionen, die wir aus Steuergeldern bezahlen, auch zugänglich machen.
Bei Ihrer Wahl haben Sie viel vom Internet gesprochen. Spielt das Original für Sie eine untergeordnete Rolle?
Ganz im Gegenteil. Gerade weil wir die Information über Kunst von der Kunst trennen, machen wir die Exponate wirklich frei für unmittelbares Erleben. Vieles, was wir früher an Didaktik in die Museen hineingepackt haben, läßt sich heute mit elektronischen Medien viel besser präsentieren. Mit meinen Kollegen aus London und Den Haag habe ich bereits ein europäisches Kulturnetz vereinbart. Wir werden alle Museen der Stiftung und die wichtigsten Nationalmuseen der anderen Länder gemeinsam im Internet präsentieren.
Und beim Besuch im Museum selbst folgt dann die Ernüchterung?
Natürlich müssen Museen alle Annehmlichkeiten haben, die man auch sonst im Leben schätzt: lange Öffnungszeiten, freundliches Personal, leistungsfähgie Museumsshops, Gastronomie. Für mich ist das Museum ein Gesamterlebnis.
Auch das zweite Standbein der Stiftung, die Staatsbibliothek, ist im noch nicht im Informationszeitalter angekommen. Kann sie jemals zu einer deutschen Nationalbibliothek werden?
Ich bin kein Freund von solchen Etiketten. Die Staatsbibliothek hat einen Bestand, der sich international wirklich sehen lassen kann. Wenn sie diese Bestände gut zugänglich macht, etwa durch Online-Zugänge zu ihren Katalogen, werden wieder Wissenschaftler von auswärts nach Berlin kommen. Dann wird man sich nicht mehr darüber unterhalten, ob das eine Nationalbibliothek ist oder nicht, sondern die Leistungsfähigkeit schätzen.
Trotzdem bleibt die Bibliothek, auf zwei Standorte verteilt, ein Provisorium.
Das ist kein Provisorium. Am Potsdamer Platz haben wir eine wirkliche Universalbibliothek mit Schwerpunkt in den nichthistorischen Fachgebieten, Unter den Linden entsteht ein Zentrum für historische Forschung mit den Altbeständen der Preußischen Staatsbibliothek und Sondersammlungen. Ein Autodienst wird dafür sorgen, daß nicht die Besucher pendeln, sondern die Bücher.
All Ihre Pläne kosten Geld. Wie wollen Sie das finanzieren?
Man soll den Staat nicht aus seiner Verantwortung entlassen, die Grundfinanzierung bereitzustellen. Durch das Einwerben von privaten Mitteln können wir aber das eine oder andere Sahnehäubchen draufsetzen. Für die Bauinvestitionen braucht die Stiftung eine gesicherte mittelfristige Finanzplanung. Günstig wäre es, man könnte das Finanzvolumen auf einen kürzeren Zeitraum konzentrieren. Dabei sollten auch andere Finanzierungsmöglichkeiten wie Leasing in Betracht gezogen werden.
Der Bund hat aber bereits angekündigt, die Baumittel um 20 Millionen Mark zu kürzen.
Dazu hat mir Herr Naumann inzwischen mitgeteilt: Die Kürzung ist vom Tisch, für die Stiftung ändert sich nichts.
Die Bund-Länder-Finanzierung der Stiftung ist bis zum Jahr 2005 gesichert. Können Sie die Länder danach bei der Stange halten?
Ich werde alles versuchen, ein gesamtstaatliches Modell zu erhalten. Es geht nicht um ein Notopfer für Berlin, sondern um eine gemeinsame Anstrengung von Bund und Ländern, in der Hauptstadt die Kultur auch dem Ausland gegenüber sichtbar zu machen. Wenn die Länder sich herausziehen, bleibt nur die Lösung einer Nationalstiftung. Dann ist der Kulturföderalismus kräftig angekratzt.
Bislang umfaßt die Stiftung nur Museen, Bibliotheken und Archive. Können Sie sich vorstellen, auch Theater und andere Kultureinrichtungen aufzunehmen?
Theater haben eine ganz andere Ausrichtung. Sie sind für den Tag konzipiert, für das Herausragende, Spektakuläre. Das zieht auch sehr viel Geld auf sich. Die Aufgabe der Stiftung ist aber die kulturelle Überlieferung. Sie könnte in einer solchen Konkurrenz auf der Strecke bleiben.
Sie hatten sich zuletzt auch als Gegner des Holocaust-Mahnmals zu Wort gemeldet. Warum?
Das reine Mahnmal war in seiner Monumentalität ein Schlußstein. Wenn jetzt aber ein aufklärerischer, didaktischer Teil hinzukommt, könnte ich meine Bedenken zurückstellen. Dann kann man auch die jeweils zeitgemäßen Betrachtungsweisen mitführen und läuft nicht Gefahr, daß man in 20 Jahren gar keinen Bezug mehr zum Mahnmal hat.
Ihr Vorgänger hat zu Fragen der allgemeinen Kulturpolitik stets geschwiegen. Ist es Programm, daß sich die Stiftung künftig stärker in Debatten einmischt?
Die Stiftung muß eine offensive Rolle spielen. Sie hat auch das Zeug dazu. Ich habe die Stiftung nie als bloße Verwalterin eines Erbes gesehen. Sie geht damit auch eine lebendige Verpflichtung ein und muß sich ins aktive Kulturleben einmischen. Interview: Ralph Bollmann
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