: Ein Schloß für König Gerhard
Als ob es in Berlin nicht genug Luftschlösser gäbe, findet nun auch der Bundeskanzler: Das Berliner Stadtschloß muß her! Doch die Berliner SPD ist da weitaus weniger monarchistisch. Vor allem aber ist sie realistischer ■ Von Ralph Bollmann
Gerhard Schröder war vorgewarnt. „Zur Zeit haben wir eine Diskussionskultur“, klagte er vergangene Woche im Interview mit der Zeit, „bei der jedes Wort, das mißverständlich sein mag, gleich als Schlaginstrument gegen denjenigen gewendet wird, der es benutzt.“ Also gebrauchte er diesmal klare Worte. Von seinem künftigen Büro im Staatsratsgebäude, so klagte er, müsse er „immer auf den Palast der Republik gucken. Der ist so monströs, daß ich da lieber ein Schloß hätte.“ Und zwar das ganze Schloß: „Eine Fassade würde mir nicht reichen. Dann würde ich mir getäuscht vorkommen.“ Und weiter: „Wenn ich einen Wunsch zu äußern hätte, dann wäre ich für das Schloß. Und zwar einfach, weil es schön ist.“
Klare Worte? Nicht ganz, glaubt Berlins SPD-Landeschef Peter Strieder. Nicht allein, daß Schröder nur im Konjunktiv gesprochen habe. Mit seinem Wunsch nach einer vollständigen Rekonstruktion habe der Kanzler „die Latte hoch genug gelegt, um unten durchzulaufen“, versuchte der Senator für Stadtentwicklung gestern den Zigarrendunst um die Kanzlerworte zu lichten. „Die Bundesregierung legt nicht eine Milliarde für das Schloß auf den Tisch, wenn sie nicht einmal die Autobahn nach Schönefeld finanzieren kann“, so Strieder.
Doch das kann den Jubel der Schloßfreunde nicht trüben, die seit vergangenem Donnerstag dank Schröder auf ungeahnten Wogen des Glücks schwimmen. Das Boulevardblatt B.Z. jubelte über „König Gerhard und Königin Doris“, machte seine Leser vorsorglich mit der „Hofrangordnung“ vertraut und sprengte den asbestverseuchten Palast der Republik gleich per Fotomontage in die Luft. Und der „Förderverein Berliner Stadtschloß“ von Wilhelm von Boddien, der 1994 die Schloßdebatte durch eine riesige Fassadenattrappe erst in Gang gebracht hatte, streute in sechsspaltigen Anzeigen erneut seinen Aufruf „Berlin braucht sein Stadtschloß“ unters Volk. Unterschrieben hat auch rot-grüne Prominenz, darunter Regine Hildebrandt, Richard Schröder, Ingrid Stahmer, Wolfgang Thierse und Antje Vollmer. Kein Wunder also, daß Berlins Christdemokraten die Chance wittern, den sozialdemokratischen Koalitionspartner in die Bredouille zu bringen. Per Parlamentsbeschluß wollen sie den Senat auffordern, den Wiederaufbau des Prachtbaus zu beschließen und einem privaten Investor dafür den Zuschlag zu geben.
Doch einen solchen Investor gibt es nicht. Zwar erbrachte ein vor anderthalb Jahren ausgeschriebenes „Interessenbekundungsverfahren“ 14 Konzepte für eine private Finanzierung eines Neubaus in den Ausmaßen des früheren Stadtschlosses. Aber ohne öffentliche Finanzierung wäre das Projekt nicht zu realisieren. Soviel ist jetzt schon klar, auch wenn das Verfahren noch nicht offiziell beendet ist. Über die äußere Gestalt – Schloß oder Neubau – müßte ohnehin ein weiterer Wettbewerb entscheiden.
Einen „Blankoscheck für den Wiederaufbau des Schlosses“ werde es daher von der SPD nicht geben, versichert der Berliner Fraktionssprecher Peter Stadtmüller. Zuerst müßten Finanzierung und Nutzung geklärt sein, dann erst könne man über die äußere Form reden. Der Gedanke jedenfalls, das historische Schloß mitsamt seinen 1.200 Räumen zu rekonstruieren, sei „außerordentlich infantil“. Realisierbar sei nur ein modernes, funktionales Gebäude – ganz gleich, ob mit der alten Schloßfassade oder einem neuen Äußeren. Bis zum Abschluß der Asbestsanierung im Palast der Republik im Jahr 2001 solle ein Ergebnis vorliegen.
Parteichef Strieder stellt sich unterdessen schon auf „längere Zeiträume“ ein. „Ich sehe nicht, daß man solch ein riesiges Bauwerk sofort braucht“, sagt der Senator – und plädiert dafür, den Palast der Republik notfalls im Jahr 2001 wieder in Betrieb zu nehmen. Schließlich habe die Entscheidung des neuen Bonner Bauministers Franz Müntefering (SPD), den Palast nicht völlig zu entkernen, „ganz neue Umstände geschaffen“.
Den Rest des Schloßplatzes, so Strieders Linie, könne man dann im Laufe der Zeit bebauen. Am liebsten mit einem „Haus der Demokratie“, einem deutschen „Centre Pompidou“, in dem sich Politik, Gesellschaft und Kultur des ganzen Landes präsentieren könnten – allerdings in einer modernen architektonischen Hülle, denn „eine Demokratie baut anders als eine Monarchie“.
Damit ist die Debatte im Grunde nicht weiter als zu Beginn des Jahrzehnts, als ein völlig unbekannter Architekt den „städtebaulichen Wettbewerb Spreeinsel“ mit dem abstrakten Vorschlag gewann, ein Gebäude mit der äußeren Form des Schlosses und einem eiförmigen Hof im Inneren zu errichten.
Immerhin bröckeln inzwischen die finanziellen Illusionen. Schloßfreund Wilhelm von Boddien sieht seine Felle schon davonschwimmen. Nur weil die öffentliche Hand die Hälfte des Schlosses kostenlos nutzen wolle, behauptet er, trügen sich die Investorenmodelle nicht mehr. Damit hätten Bund und Land den Wiederaufbau torpediert.
Selbst SPD-Spitzenkandidat Walter Momper kann sich für die Schloßgelüste des Kanzlers nicht begeistern. „Er sagt, er hätte vor seinem Fenster gern ein Schloß“, sagte Momper der Jungen Welt. „Wer hätte das nicht? Ich auch. Aber in der Fichtestraße in Kreuzberg gibt es keines.“
Neidisch braucht Momper auch dann nicht sein, wenn das Schloß tatsächlich gebaut wird: Bis dahin ist der Kanzler längst an den Spreebogen umgezogen.
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