Henning Harnisch: Schütteln und Backen
■ Der elendigliche Februar sollte unbedingt verboten werden
Traurig ist, wenn man im sattesten Wintergrau in einem morgendlichen Stau steht, im Schrittempo vorwärtseiert, eine Verkehrsinsel ins Blickfeld gerät, dort ein Mann neben seinem geparkten Auto steht und sich leicht vornübergebeugt mit schmerzverzerrter Miene die Kotze aus dem Mund wischt.
Bitter dieser Winter, wenn die Heizungen dominieren und Kindheitserinnerungen von Robert Lembke bestimmt werden, der vor mattem Studiohintergrund Sparschweine mit Fünfmarkstücken füttert und das philosophische Grundproblem „Was bin ich?“ durch berufsorientierte Antworten zu lösen vorgibt. Verfluchen möchte man den Herrenausstatter am Heinrich- Platz in Berlin-Kreuzberg, der sein Schaufenster mit der Lüge „Winter adé!“ schmückt.
Wie ungerecht die Welt doch im Februar scheint, wenn sich z.B. die taz-Fußballmannschaft in letzter Sekunde aus dem Hallenfußballturnier der Berliner Medien verabschieden muß. Und das durch einen Elfmeter, den die bis dahin chancenlose Fußballwoche kaltblütig verwandelt.
Die Welt ist nicht fair im Februar. Das ist sie auch bei schönem Wetter nicht, aber müssen die Chicago Bulls gerade jetzt aufhören zu existieren? Warum gerade jetzt, wo die Menschen einem absichtlich Einkaufswagen in die Haxen rammen und sich der Ku-Klux-Klan ausgerechnet den Marktplatz meines Viertels für seine Aktivitäten aussucht – sein krudes Kürzel geschickt hinter dem Tarnnamen „Krauses Kartoffel Kiste“ verbergend.
An Tagen, an denen junge Menschen tagsüber mit Bierflaschen spazierengehen und halterlose Kampfhunde Kinder aufessen, konnte man sich letzten Winter noch an Ausnahmesportlern wie Michael Jordan, Scottie Pippen und Kroatiens Magic, Toni Kukoc, erfreuen. Die gaben einem, im Verbund mit so wichtigen Rollenspielern wie Rebounder Dennis Rodman, Distanzschütze Steve Kerr oder All- around-nice-guy Ron Harper, wenn auch nur in sportlichen Gefilden, den Glauben an das Kollektiv zurück. Beseelt von der Philosophie ihres Trainers Phil Jackson, die sich mit dem kürzesten Gedicht der Welt „Me... We!“ (Muhammad Ali) umschreiben läßt, spielten sie Basketball, der Spektakuläres mit Effektivem, Spaß mit Ernst, Individualismus und Kollektivismus zu sechs Meisterschaften verband. Zwar wird auch in dieser NBA-Saison eine Mannschaft als Chicago Bulls verkleidet in den Hallen auftauchen, aber, wie vielleicht auch der Kettenraucher vom Balkon gegenüber registriert haben wird: Die wahren Bulls sind Geschichte!
Der fuckin' Februar bringt es zutage: Wie wir Linkshänder sind auch die großen Mannschaften vom Aussterben bedroht! Denn ohne das eingespielte Ensemble, das sich in alle Winde zerstreut hat, und ohne Meisterregisseur Phil Jackson, der für eine neue Bühnenästhetik des Basketballs verantwortlich war, bleiben nur Aufräumarbeiten. Die magischen Momente dieser Ausnahmemannschaft müssen auf Video-Tape gebannt und ins Archiv eingeordnet werden, gleich neben dem Triumph der französischen Fußballer vom letzten Sommer.
Zum Glück hat der Februar auch in der Stadt, wo heute kein Karneval beginnt, ein paar Tage weniger als andere Monate. Genügend Zeit aber, das Archiv aufzufüllen, mit tollwütigen Menschen U-Bahn zu fahren oder einen Künstler anzuschauen, der sich der „todtraurige Henning“ nennt. Ehrlich, mit dem habe ich nichts zu tun, erlaube mir aber zu fragen: Ist eigentlich bald Frühling?
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