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Disput über Erziehung oder Strafe

■ Leiter der für Raubdelikte zuständigen Kriminalinspektion beim Landeskriminalamt fordert harte Strafen für jugendliche Wiederholungstäter. Justizsprecherin warnt vor "Panikmache"

Eine härtere Gangart der Justiz gegenüber jugendlichen Wiederholungstätern forderte gestern Kriminaloberrat Deflef Schade, beim Landeskriminalamt zuständig für Raubdelikte. Anlaß waren mehrere Überfallserien in den vergangenen Monaten in Neukölln und Kreuzberg, die gestern auf einer Pressekonferenz vorgestellt wurden. Bei den 46 Überfällen auf Lokale, Schlecker-Drogerien, Spielhallen, Postämter, Bordelle und sonstige Geschäfte ermittelte die Kriminalpolizei 26 Tatverdächtige, die Mehrzahl von ihnen jünger als 21 Jahre. 25 sitzen in Untersuchungshaft, einer ist flüchtig.

Nach Angaben von Schade ist „mindestens die Hälfte“ vorbestraft, „dominierend“ seien „türkische Heranwachsende mit erheblich krimineller Energie“. Die Täter beschrieb Schade als Jugendliche „mit besten Milieukenntnissen“, die arbeitslos sind und „mit ihrer Zeit nichts anzufangen wissen“. „Unsere bisherigen Erfahrungen bei Gericht zeigen“, so Schade, „daß Bewährungsstrafen spurlos an ihnen vorübergehen.“ In einigen Fällen könnten Jugendstrafen erfolgreich sein, doch es gebe „Persönlichkeiten, die sich nicht beeinflussen lassen“. Zur Untermauerung zitierte er Aussagen von Jugendlichen, in denen es um „Shows vor dem Richter“ und vorgetäuschtem schlechten Gewissen geht. „Bei diesem Kreis muß ein Umdenken bei der Justiz stattfinden“, forderte Schade. Die Täter müßten für eine „abschreckend lange Zeit, fünf bis sechs Jahre, aus dem Verkehr gezogen werden, um ein Signal zu setzen“.

Justizsprecherin Svenja Schröder-Lomb wies diese Forderung zurück. „Der Gedanke der Abschreckung darf bei der Jugendstrafe keine Rolle spielen“, sagte sie. Schröder-Lomb warnte vor „falscher Panikmache“ und verwies darauf, daß 95 Prozent aller jugendlichen Straftäter „nur in geringem Umfang auffällig werden“. Nur bei fünf Prozent handele es sich um „Intensivtäter“. Die Berliner Staatsanwaltschaft schöpfe ihre Möglichkeiten aus, betonte die Sprecherin. Weil Jugendrichter für bestimmte Bezirke zuständig sind, landeten die Jugendlichen immer bei dem gleichen Richter. „Die kennen ihre Pappenheimer.“

Nach Angaben der Justizpressestelle wurden 1997 3.893 Jugendliche unter 21 Jahren nach dem Jugendstrafrecht verurteilt. In 710 Fällen ging es um Raub, Erpressung und Angriffe auf Kraftfahrer. Erst kürzlich hat Justizsenator Erhart Körting (SPD) einen Entwurf einer neuen Richtlinie zum Jugendgerichtsgesetz vorgestellt, nach dem die Kriminalisierung von Jugendlichen vermieden werden soll und bei dem Erziehung statt Strafe im Vordergrund steht. Barbara Bollwahn de Paez Casanova

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