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Daunenjacke statt Staatshilfe

Die Textilarbeiter in der mittelchinesischen Stadt Xinzhou streiken um ihr Arbeitslosengeld – und bewahren trotzdem den Respekt vor der Pekinger Reformpolitik  ■ Aus Xinzhou Georg Blume

Protest ist ihre Sache nicht. „Wir wurden von der Fabrikleitung gezwungen, für unsere Arbeitslosenbezüge auf die Straße zu gehen, weil man uns statt Geld Daunenjacken aushändigte“, empören sich die ehemaligen Arbeiter der staatlichen Textilfabrik Nr.1 in Xinzhou, einer kleinen Handelsstadt in Mittelchina, 80 Kilometer nordöstlich der Provinzhauptstadt Wuhan. Dreihundert von ihnen blockierten Anfang Februar die Landstraße in die Provinzhauptstadt Wuhan – mit Erfolg. Wenige Tage später bekamen die Arbeiter ihr seit Oktober ausstehendes Arbeitslosengeld. Allerdings sprachen die westlichen Nachrichtenagenturen, die alle über den Protest berichteten, anschließend nicht mehr davon. Der Fall Xinzhou war für die Welt nur solange interessant, wie er die Ängste vor dem sozialen Chaos in China bediente.

Die Angst vor Arbeiterunruhen in der Volksrepublik verbreitet sich derzeit wie ein Lauffeuer. Die Unzufriedenheit in den chinesischen Küstenstädte sei so groß, daß ein „Pulverfaß“ entstehe, warnt der ehemalige Staatschef Singapurs, Lee Kuan Yew. Derweil die Far Eastern Economic Review in ihrere jüngsten Ausgabe eine „nie dagewesene soziale Krise in 50 Jahren komunistischer Herrschaft“ beschwört. Schon fürchten westliche Diplomaten in Peking, daß China-Kritiker in Washington, Brüssel oder Bonn nicht verstehen, welchem sozialen Druck die kommunistische Regierung ausgesetzt ist, und deshalb ihre Forderungen an China in Handels- und Menschenrechtsfragen überziehen.

Doch die neuen China-Ängste sind die alten. Für viele erscheint die Volksrepublik immer dann besonders bedrohlich, wenn sich das Verhalten der Arbeiter-und-Bauern-Massen nicht mehr prognostizieren läßt. Das war unter Mao so, ganz besonders während der Kulturrevolution, und das ist aufgrund der chinesischen Wirtschaftskrise auch heute wieder so.

Ein Beispiel dafür, wie fehlgeleitet diese Ängste oft sind, ist der Textilarbeiterstreik in Xinzhou. Die Binnenhafenstadt schaut auf die weite Flußebene des Jangtse herab, die im vergangenen Sommer das Zentrum der großen Überschwemmungskatastrophe bildete. So groß ist bis heute die Not der Flutopfer auf dem Land, daß die Sorgen der Arbeiter von Xinzhou aus Sicht übergeordneter Stellen leicht ins Vergessen geraten konnten. Das änderte sich erst nach der Straßenblockade.

Die Probleme von Xinzhou sind in China nichts Außergewöhnliches. Die einzige Fabrik des Ortes stellt Baumwollgarn her, ein veraltetes Produkt. „Unsere Fabrik hat keine Zukunft mehr, und eine andere gibt es hier nicht“, sagen die ehemaligen Textilarbeiter. Ursache des Niedergangs in Xinzhou war die Konkurrenz der Privatindustrie in den großen Städten wie Wuhan oder den Sonderwirtschaftszonen an der Küste.

Vor zwanzig Jahren wurde die Textilfabrik Nr.1 im Zuge einer Reformpolitik gegründet, die versprach, Fabriken aufs Land zu bringen. Damit sollte der Landflucht vorgebeugt werden. Das ging so lange gut, wie zwischen Stadt und Land kein Verdrängungswettbewerb herrschte. Doch nun diktiert die Wirtschaftskrise neue Bedingungen.

Niemand unter den Arbeitern in Xinzhou ist unfähig, diese Entwicklung nachzuvollziehen. Mehr noch: Die Arbeitslosen sprechen selbst von der Notwendigkeit weiterer marktwirtschaftlicher Reformen. Ihre Textilfabrik sei ein typisches Beispiel für die Mißstände, die auch die Zentralregierung in Peking anprangere. Seit Jahren mache die Fabrik Verluste. Die Werksführung habe über ihre guten Beziehungen zu den Banken immer wieder Kredite bekommen, unnütze Investitionen getätigt und sich ein schönes Leben gemacht. Ausdrücklich unterstützen die Textilarbeiter die Entrümpelung der Staatsbetriebe, wie sie Premierminister Zhu Rongji in Peking einfordert, „weil sie auch gegen die korrupten Banken steuert, die in Xinzhou fünf Filialen besitzen“.

Die Erfahrungen beim Gespräch mit den Arbeitslosen in Xinzhou hat der amerikanische China-Experte Edward Friedman verallgemeinert: „Die Arbeitslosen in China schieben der Regierung weit weniger Schuld zu, als man im Ausland denkt. Wenn sie wirklich explodieren, richtet sich ihr Protest gegen die korrupten lokalen Beamten. Dagegen zeigen sie für die Probleme der Zentralregierung sehr viel mehr Respekt und verlangen von ihr keinen schnellen Kurswandel.“ Friedmans Beobachtungen aber bilden derzeit eine Ausnahme in der ausländischen China-Wahrnehmung, die das Reich der Mitte heute mit Titeln wie „Am Abgrund“ (Far Eastern Economic Review) oder „Vor dem Sturm“ (Spiegel) charakterisiert. Nach Ansicht der Arbeitslosen in Xinzhou sind solche Warnungen bislang verfrüht, auch wenn ihr eigener Protest durchaus gute Gründe hatte.

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