: Ist das Glas halb voll oder halb leer?
UN-Veto, Satellitenexport, Menschenrechtsverletzungen: Die Politik der chinesischen Führung ist ambivalent. Auch auf Bonner Regierung wächst jetzt der Druck, zur Reformpolitik in Peking Position zu beziehen ■ Aus Peking Georg Blume
Manch kritischer Betrachter deutscher Außenpolitik hat der neuen Bonner Botschaft in Peking den äußeren Charme eines Konzentrationslagers angedichtet. Das macht die Bauweise: Den flachen, langgestreckten Klinkerkörper krönt der metallbedeckte First eines grauen Satteldaches. Hinter dem Lager-Image, das die Unauffälligkeit eines so repräsentativen Baus unwillkürlich auf sich zieht, steht der Versuch des Architekten, an die alte Pekinger Hutong-Bauweise zu erinnern, die sich durch graugedeckte Flachbauten und kleine Innenhöfe auszeichnet. So gesehen wirkt der KZ-Vergleich wie ein weit hergeholter Versuch, in China „deutsche Schande zu instrumentalisieren“ (Walser).
Hans-Christian Ueberschaer will die unsägliche Pekinger Walser-Debatte nicht fortsetzen. Der neue Hausherr der Botschaft, bis Januar noch Leiter der Wirtschaftsabteilung im Auswärtigen Amt, kann mit der Schlichtheit seines Anwesens leben lernen. Mit der teutonischen Tendenz, Schande zu instrumentalisieren, aber könnte es ihm in Peking schlecht ergehen. „Schwerpunkt der (deutschen, d.R.) Menschenrechtspolitik ist China“, prophezeit die FAZ. Noch ist das nicht der Fall. Tritt er jedoch ein, macht es den Botschafterjob nicht leichter.
Schon wächst der Druck auf Bonn, sich gegenüber Peking zu bekennen. Am Donnerstag nutzte die Volksrepublik ihr Vetorecht im Weltsicherheitsrat, um die Stationierung von UN-Soldaten in Makedonien zu beenden – womit in Erinnerung gerufen war, daß China-Politik keine fernöstliche Spielwiese mehr ist. Das zeigte auch die Entscheidung Washingtons, aus militärischen Überlegungen die Lieferung von Satelliten an China zu stoppen. Ein amerikanischer Parlamentsbericht hatte unlängst den Verdacht untermauert, Peking würde kommerzielle Weltraumgeschäfte zur Entwicklung seiner militärischen Raketentechnologie nutzen. Die nicht bewiesene Vermutung könnte bald auch Bonn Kopfschmerzen bereiten, wenn sich China ersatzweise um europäische Satelliten bemüht.
Ernst wird es für die Bundesregierung auch in der Menschenrechtsfrage: In dieser Woche votierte der amerikanische Senat für die Verurteilung Chinas vor der Menschenrechtskommission in Genf Ende März. Clinton zögert. Am Montag gastiert Außenministerin Madeleine Albright in Peking, um Konzessionen zu gewinnen. Doch nach dem Ende des Amtsenthebungsverfahrens ist der US-Präsident mehr denn je auf einen Kongreß angewiesen, der gegen China Sturm läuft. Als „vollständige Repression“ geißeln Republikaner die Lage in der Volksrepublik. Ähnlichen Einflüssen ist Bonn ausgesetzt: Von Hessens künftigem Ministerpräsident Roland Koch bis zur grünen Parteibasis reicht die in Amerika vorexerzierte chinakritische Allianz aus rechten Kalten Kriegern und linken Menschenrechtlern.
So wundert es nicht, daß die beiden deutschen Hauptakteure, Bundeskanzler Gerhard Schröder und Außenminister Joschka Fischer, ihre Haltung gegenüber China bislang nicht offengelegt haben. Zwar kann vor allem Schröder an einer Konfrontation mit China derzeit nicht gelegen sein: Er will im Mai nach Peking reisen. Offen ist, ob der Kanzler die deutsche China-Politik dann zur Chefsache erklärt oder nur einen Routinebesuch plant. Ebenso unklar sind die Motive Fischers: Niemand weiß, ob der Minister in China einen Beelzebub sucht, um die grüne Menschenrechtslobby zu bedienen, oder langfristige Überlegungen ausschlaggebend sind, die auf die Solidarität mit dem chinesischen Reformprozeß setzen.
Die Bundesregierung muß entscheiden, ob sie das Glas für halb leer oder halb voll befindet. Vieles liegt in China im argen, und vieles entwickelt sich gut. Kürzlich gastierten deutsche Richter und Rechtsanwälte in einem Pekinger Gerichtshof, um chinesischen Juristen einen fairen Prozeß zu demonstrieren. Gleichzeitig liefen Schnellverfahren ohne Verteidigung gegen die Gründer einer neuen Partei, die zu langjährigen Haftstrafen führten. Einerseits spricht die Flutbekämpfung Pekings im vergangenen Sommer für einen transparenten und effektiven Nothilfeapparat, andererseits drohen den Flutopfern heute Hunger und Seuchen. Die chinesischen Ambivalenzen reichen bis zur Energiepolitik, wo Peking zwar der Atomkraft abschwört und alternativen Versorgungsquellen größere Chancen einräumt, jedoch noch dreiviertel seines Energieverbrauchs mit Kohle deckt.
Vor diesem zwiespältigen Hintergrund wagen es derzeit wenige deutsche Verantwortungsträger, sich öffentlich zur chinesischen Reformpolitik zu bekennen. Alle warten auf ein Machtwort aus Bonn. Auch Hans-Christian Ueberschaer zögert noch. Doch man versteht seine Worte als Warnung im Sinne Martin Walsers: vor dem falschen Instrumentalisieren einer richtigen Debatte, in diesem Fall der Menschenrechtsdebatte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen