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Armer kleiner Frankenstein

Keine Chance für Körper und Seele, eine Einheit zu bilden: Michael Laub und Remote Control beenden mit „Frankula“ den Tanzwinter im Hebbel-Theater  ■ Von Katrin Bettina Müller

„That doctor is an asshole.“ Der erste Mann, der ans Mikro tritt, erzählt aus der Perspektive des Monsters über Dr. Frankenstein und dessen Unfähigkeit, die Verantwortung für seine Schöpfung zu tragen. Nicht einmal eine Frau „as ugly as I am“ gibt er dem Dämon zum Trost. Das Fehlen der Braut liefert dem zweiten Erzähler sein Stichwort, der trotz seines aus jedem Knopfloch platzenden Selbstbewußtseins für „girl- trouble“ kein Rezept weiß. Er ist ein selbstgemachtes Arschloch, ohne Zweifel, das keinem Dr.Frankenstein für seine soziale Unfähigkeit die Schuld zuschieben kann.

Frankensteins Monster, aus Leichenteilen zusammengeflickt, begann seine Karriere im 19. Jahrhundert als romantische Schauergeschichte von Mary Shelley, um im 20. Jahrhundert immer mehr zum prophetischen Mythos zu werden. Der Regisseur Michael Laub quält uns in „Frankula“ nicht mit den Skandalthemen Organhandel, Klonen und künstlicher Befruchtung. Dennoch entspringt aus diesem Kontext die Mischung von Ekel, Obsession und Mitleid, mit der sich die Spieler der Geschichte annehmen. Unter die literarischen und filmischen Vorlagen streuen sie andere Legenden, persönliche Erinnerungen und Wichsgeschichten, denen eines gemeinsam ist: Sexualität wird in ihnen nur um den Preis ihrer Skandalisierung zum Thema, Befriedigung funktioniert höchstens für Einzelteile. Gefühle und Körper kommen nicht mehr zusammen.

Verschiebung, Verzerrung, Entfremdung: Das ist es, was die Schauspieler und Tänzer der Gruppe Remote Control perfekt beherrschen. Eine, die voller Traurigkeit über Dr. Frankensteins ruhelose Suche nach dem Monster in den Eiswüsten des Nordpols erzählt, scheint dabei das Unglück ihres eigenen langen Körpers zu beklagen, der im schwarzen Kleid wie ein gespenstischer Schatten über die Bühne huscht. In ihrer Rührung über die Morde, die das Monster aus Versehen beging, spürt man die Angst vor dem Ungeschick des eigenen Körpers.

Sie wird von explosiven Musikschüben und Tanzausbrüchen unterbrochen, als würde jemand mittendrin die Tür zu einem Techno- Club aufreißen. Der Tanz und die Musik von Larry Steinbachek (ehemals Bronski Beat), der seit zehn Jahren mit Laub zusammenarbeitet, bauen Gegenbilder zum Tempo und Rhythmus der Sprache. Als dramatischer Soundtrack beschwört die Musik einerseits die Stimmung der alten Frankenstein- Filme mit dem Zirkulieren der Elektroblitze und der klirrenden Kälte der Eiswüste, andererseits hält sie Sprache und somnambulen Tanz zusammen.

Denn oft bewegen sich die Tänzer hinter den Erzählern in Slow Motion; gegen die Beschleunigung der Texte und deren grausame Bilder von gequälten und verstümmelten Körpern klagen sie deren Unversehrtheit ein. Ihre Langsamkeit paßt zu der Kälte des Bühnenbildes, das von Marina Abramovic mit drei kleinen Eisbergen, drei Bahren und kalten Operationslampen ausgestattet wurde.

Wie die Tiere, deren Herzschlag sich im Winterschlaf verlangsamt, erinnert der Tanz an ein Leben jenseits des wachen Bewußtseins. Er paßt zugleich zu dem flackernden Schwarzweiß der alten Filme, die, in falscher Geschwindigkeit vorgeführt, auf einmal so zerbrechlich wirken können. So schafft die Choreographie eine Stimmung ähnlich den Träumen, die man vor dem Fernseher hat, wenn sich die Geräusche des Films und die eigenen Tagesreste zu vermischen beginnen.

Letztes Jahr waren Remote Control mit „Planet Lulu“ in Berlin, dieses Jahr beendeten sie mit „Frankula“ den Tanzwinter im Hebbel-Theater, das mit drei weitern Häusern in Groningen, Hannover und New York zu den Koproduzenten des Stücks gehört. Ihre kühle Ästhetik läßt Raum, der Entwicklung zwischen der Herkunft der hysterischen Stoffe und ihren Funktionalisierungen als Klischee nachzuspüren.

Die äußeren Bilder sind nur der Rahmen, die inneren Bilder aufzufangen; das unterscheidet Remote Control wohltuend von jenen Gewaltszenarien, die alles ausagieren wollen.

Regie: Michael Laub; Musik: Larry Steinbachek; Bühnenbild: Maria Abramovic; Darsteller: Hildigunn Eydsinsdottir, Almon Grimsted, Eva Gustaffson u.a.

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