: „Schlimmer als Doping“
Die Schachwelt erregt sich weiter über den unter digitalem Betrugsverdacht stehenden Spieler Allwermann ■ Von Hartmut Metz
Der deutsche Großmeister zitterte während der ersten Runde beim 15. Schachfestival in Bad Wörishofen. „Hoffentlich verliert Clemens Allwermann heute und liegt immer mindestens einen halben Punkt hinter mir“, bangte die Koryphäe und ulkte, „ansonsten kann ich nur noch hoffen, daß ihn die Polizei abführt, wenn er mir ein Matt in sieben Zügen ankündigt.“
Zu beidem wird es in dem Kneipp-Kurort nicht kommen, auch wenn die Staatsanwaltschaft Stuttgart Ermittlungen aufgenommen hat. Allwermann hatte am Jahresende beim Turnier in Böblingen dem russischen Großmeister Sergej Kalinitschew im Rausch des erreichten ersten Platzes ein „Matt in acht Zügen“ angekündigt – und damit die neugierig gewordene Szene auf seine Fährte gelockt. Beim Nachspielen der Partien des Kreisligaspielers, der plötzlich wie einer aus den Top 40 der Weltrangliste agierte, zeigte sich eine frappierende Übereinstimmung mit den Zugvorschlägen des Schachprogramms „Fritz 5.32“. Die einzige Frage, die sich den Experten noch stellte, blieb, wie der bis dato Unbekannte die gegnerischen Züge an einen Komplizen am Computer übermittelte und seine genialen Tips ans Brett zurückbekam.
Inzwischen scheint sicher: Der 55jährige benutzte den im Fernschach üblichen vierstelligen Nummerncode zur Übermittlung der Züge. Diese erfolgte mit dem Handsprechfunkgerät P 93. Zwei jener Geräte kaufte der Berkheimer unweit seines Wohnortes bei der Albert Klein Funktechnik GmbH (Bad Grönenbach). Der patentierte Digitalruf wird üblicherweise mit zwei Ziffern bedient; zur Überraschung von Firmeneigner Klein benötigte Allwermann jedoch „vierstellig wählbare Ziffern“. Der Gehilfe saß wohl in einem Zimmer des Böblinger Novotels, wo das Turnier stattfand, las die vier eingetippten Fernschach-Zahlen vom Handsprechfunkgerät ab, gab sie in den Computer ein und sprach die Antwort von „Fritz 5.32“ in das P 93.
Daß Allwermann unter seinen langen Haaren einen kleinen Ohrhörer versteckte, scheint ebenso sicher. Das übliche Aufsteckgerät lehnte der ehedem in der Unterhaltungselektronik-Branche tätige Frührentner „zielsicher“ ab, auch ein empfohlener Ohrhörer war ihm zu groß. „Er hat einen bestellt, der genau ins Ohr paßte“, berichtet Klein, der sich „zu 98 Prozent“ sicher ist, daß der Kunde sein Patent zum Betrug nutzte.
In Bad Wörishofen war bereits nach zwei Niederlagen in den ersten drei Runden Allwermanns Traum von einer neuerlichen Sensation geplatzt. Allwermann spielte unter den wachsamen Augen der Zuschauer, die sein Brett wie kein zweites umsäumten, wieder in „Normalform“. Das Angebot des Verdächtigen, ihn vor der ersten Partie auf Hilfsmittel zu untersuchen, lehnte Schiedsrichter Christian Krause ab. Er hoffe aber, gab der Referee dem 55jährigen zu verstehen, daß er sich auch nach einem überraschenden Sieg so „kooperativ“ zeigen werde.
Neben der Staatsanwaltschaft sitzen Allwermann auch die Schachverbände im Nacken. Kreisturnierleiter Peter Taschner setzte alle Begegnungen des SK Memmingen 1907 aus. Egon Ditt, Präsident des Deutschen Schachbundes (DSB), plädiert für eine mehrjährige Sperre, handele es sich bei Allwermann doch „um mehr als einen Ausreißer. Wir müssen ein Signal setzen, um unseren Turnierbetrieb nicht zu gefährden. Analog zum chemischen Doping in der Leichtathletik sollte das elektronische Doping bestraft werden.“ Die Leistungsexplosion des Berkheimers, die in etwa einer Steigerung der Hundertmeterzeit von 14,0 auf 10,0 Sekunden entspricht, erachtet Klaus-Norbert Münch als „Quantensprung, der schlimmer als Doping ist“. Der mit der Untersuchung betraute Präsident des Bayerischen Schachbundes plädiert vor der Vorstandssitzung am 20. März für die drakonischste aller Maßnahmen: Ausschluß. Spätestens dann hätte sich Allwermanns Ankündigung des „Schachmatts in acht Zügen“ zu einem Selbstmatt gewandelt.
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