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Indianer beim Zahnarzt

■ Beißende Bohrer, häßliche Haken: Die Weisheitszahnruine hinten rechts muß raus

Indianernamen sind praktisch. Heißt ein Kind „Der mit dem Wolf tanzt“, haben seine Eltern Geschmack bewiesen und ihren Erstgeborenen wenigstens nicht „Kevin“ genannt wie alle anderen. Früher hießen alle kleinen Kinder Martin, was mich in meiner Altersklasse leider zum Inhaber des VW Golf unter den Vornamen macht.

Praktischerweise kann man aber auch noch Jahre nach der Geburt einen authentischen Indianernamen abkriegen. Man muß ihn sich nur verdienen. Meinen habe ich mir redlich erworben. Ich heiße „Jämmerliches Bündel, das zitternd auf das hoffentlich baldige und möglichst wenig schmerzensreiche Ende seines kümmerlichen irdischen Daseins wartet“, jedenfalls immer dann, wenn ich beim Zahnarzt sitze und darauf warte, daß sich beißende Bohrer, häßliche Haken, zornige Zangen und spitzige Spritzen durch meine dentale Trümmerlandschaft arbeiten, literweise Blut vergossen wird und dezibelweise Schmerzensschreie durch die Praxisräume schallen, die vom Zahnarzt meines Vertrauens wirklich geschmackvoll eingerichtet sind und auch noch mit erlesenen Melodien berieselt werden und dennoch – seltsam! – auf mir selbst nicht richtig erklärliche Weise schon beim Reinkommen furchteinflößend auf mich wirken.

Diesmal soll die Weisheitszahnruine hinten rechts raus. Vielleicht hören dann die Schmerzen auf. Zum Lernen und Behalten: Indianer kennen sehr wohl Schmerz! Erst eine schnelle Spritze zur Betäubung. Dann, um die Zeit zu überbrücken, bis sie wirkt, wird ein bißchen Zahnstein weggemeißelt. Jetzt will er anfangen zu ziehen. „Jämmerliches Bündel“ äußert Bedenken. In der kurzen Zeit könne die Betäubung noch nicht vollständig ... Ob er nicht vielleicht noch fünf Minuten was anderes zu tun hätte? Hat er. Ist allerdings erstaunt, weil er meint, die meisten Leute hätten es eher eilig, vom Stuhl runterzukommen.

Enthusiastisch lobt Jämmerliches Bündel den Stuhl, der sei sehr komfortabel, wirklich, der Stuhl sei überhaupt nicht das Problem, wenn es nur der Stuhl wäre, würde Jämmerliches Bündel täglich kommen! So ein bequemer Stuhl! Der Doktor gibt fürs erste auf. Nach zehn Minuten kommt er wieder rein, jetzt gebe es keine Ausreden mehr. Jämmerliches Bündel schließt also die Augen, verkrampft seine Finger in die Oberschenkel und wartet, bis es anfängt weh zu tun. Es knistert seltsam. Jetzt gehts los! Panik!

„Fertig!“ sagt der Doktor. Augen wieder auf. Wie jetzt? Das war doch nur eine Sekunde! Es muß doch noch gezerrt werden, Knochenstücke müssen bröckeln und brechen, Helferinnen müssen zum Festhalten gerufen werden! „Das kann ja wohl nicht alles sein!“ insistiert Jämmerliches Bündel. Grinsend deutet der Doktor auf einen eigentlich ganz hübschen Zahn, am einen Ende leicht blutig, der auf dem Tischchen liegt und glänzt. „Fertig!“ Jämmerliches Bündel lehnt sich wieder zurück: „Dann ziehen wir jetzt alle anderen auch! Das ist ja easy! Und nie wieder Zahnweh! Ha!“ Doch da weigert sich der Doktor und wirft „Völlig entspannter, cooler Typ, der früher mal Zahnschmerzen hatte“ kurzerhand aus der Praxis.

Mein neuer Name gefällt mir. Ich denke, ich werde ihn behalten. Möchte vielleicht jemand eine Barmer-Versichertenkarte kaufen? Martin Nusch

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