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Der „rote Oskar“ wirft lange Schatten

■ Einhelliges Echo bei Briten und Franzosen: Die Linke hat verloren

Jubel bei den Briten, Trauer bei den Franzosen – zwischen diesen beiden Extremen bewegte sich gestern die internationale Reaktion auf den Rücktritt Oskar Lafontaines. Am meisten freute sich Großbritanniens größte Boulevardzeitung The Sun, die Lafontaine schon mal auf ihrer Titelseite mit der Frage „Ist dies der gefährlichste Mann Europas?“ verteufelt hatte. Jetzt variierte das Blatt eine berühmte Phrase englischer Kriegsfilme in: „We haf vays of making you quit!“ Und wendete so die tumb-brutale Art deutscher Soldaten, Kriegsgefangene zum Sprechen zu bringen, um Lafontaine „zum Abtreten zu zwingen“.

Der britische Premierminister Tony Blair war international der erste, der Lafontaines Nachfolger Hans Eichel gratulierte. Oskar Lafontaine war in britischen Augen die Inkarnation des gefürchteten Superstaats Europa, eine perfekte und unheimliche deutsch-französische Symbiose. Ihm wurde alles angelastet, was London an der EU ablehnt und als Garant des baldigen Scheiterns des Euro deutet: Vereinheitlichung von oben, Zwangsharmonisierung, Dirigismus. Paradoxerweise fürchtet die euroskeptische Rechte deswegen, daß das Euro-Projekt ohne den „roten Oskar“ (The Times) an Respektabilität gewinnt. Ein Bericht des konservativen Daily Telegraph trug den Titel: „EU sagt Bravo zu Oskars Abgang.“ Der Kommentator der Daily Mail lamentierte: „Er war eine nützliche Haßfigur, und ich werde ihn vermissen.“

Ganz anders die Sicht in Frankreich. Für Lionel Jospins sozialistisch geführte Regierung war Lafontaine das französische U-Boot in Bonn. Auf ihn konnte man sich verlassen, um Schröders befürchtete Anglophilie zu bremsen – und der Pariser Vorliebe für komplexe intellektuelle Überbauten zur europäischen Einigung Gewicht zu verleihen. „Mein Freund“, nannte ihn sein Pariser Amtskollege Dominique Strauss-Kahn und sagte, er „bedauere“ den Rücktritt. Das kommunistische Parteiblatt L'Humanité schrieb eine regelrechte Eloge auf Lafontaine: Seine Positionen „waren im Einklang mit dem sozialen Klima“, sein Abtritt „ein harter Schlag für einen von der Lorelei des Sozialliberalismus allzu betörten Kanzler“.

„Das Scheitern der deutschen Linken“, titelte knapp die sozialistische Libération und erinnerte daran, wie auch in Frankreich nach dem Wahlsieg der Linken 1981 ein Rechtsruck eingetreten sei, der 1984 mit dem Austritt der Kommunisten aus der Koalition seine politische Entsprechung gefunden habe. Nun sei auch in Deutschland eine „Wende zur Mitte“ zu erwarten. Dominic Johnson

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