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Der Ottmar, der ist ehrlich, lieb und nett

Gerhard Schröder wird an dem nicht unumstrittenen Bundesgeschäftsführer der SPD, Ottmar Schreiner, festhalten – vorerst  ■ Von Markus Franz

Bonn (taz) – Friedrich Merz lächelt. Der CDU-Bundestagsabgeordnete sitzt im Fernsehstudio neben Ottmar Schreiner und ist abwechselnd erstaunt und belustigt. Der SPD-Bundesgeschäftsführer Schreiner bezeichnet den Umweltminister Jürgen Trittin als „kleinen Störfall“ und legt sich auf „drei Millionen“ als Marke für die Senkung der Arbeitslosigkeit fest. Der Ottmar, sagen sie bei der SPD, der sei eben eine ehrliche Haut. Zu ehrlich für einen Bundesgeschäftsführer?

Vor drei Wochen trat Schreiner völlig unmotiviert eine Debatte über das Verhältnis der SPD zur PDS los. Schreiner sagt heute, er habe „bewußt ein Zeichen setzen“ wollen. Wegen der Bedeutungslosigkeit von Grünen und FDP sei sonst die „Gestaltungsoption“ in den neuen Bundesländern auf die Möglichkeit der Großen Koalition beschränkt. Nicht alle Parteifreunde nehmen ihm aber ab, daß er mit seinem Vorstoß nichts im Schilde führte. Der Ottmar, heißt es, trage sein Herz eben auf der Zunge. Ist er zu unbedacht für einen Bundesgeschäftsführer?

Ende Januar erklärte die designierte Parteisprecherin Dörte Caspary, daß sie ihr Amt aufgrund der Stasi-Vorwürfe doch nicht antreten werde. Schreiner, der sich bis zuletzt für die Ostdeutsche stark gemacht hatte, reagiert auch heute noch sehr emotional auf das Thema. „Das ist mir echt an die Nieren gegangen.“ Er habe „bis zur letzten Patrone“ um Caspary gekämpft. Unmittelbar nach ihrem Rücktritt sagte er: „Wer von uns ist ohne schuldhafte Verstrickung? Ich habe auch schon gelogen.“ Das sei ja alles sehr nett von dem Ottmar gewesen, sagt jemand von der Parteizentrale. Aber er hätte ihr nicht so lange glauben dürfen. Ist Schreiner zu gutgläubig für einen Bundesgeschäftsführer?

Zwei Themen läßt Schreiner beim Reden nur selten aus: Fußball und seine Heimat, das Saarland. „Fußball“, sagt Schreiner, „hat mich stark geprägt. Das hat was zu tun mit sozialem Verhalten.“ Und am Saarland hänge er sehr wegen des besonderen Schicksals des Landes. Sowohl Fußball als auch das Saarland verkörpern für Schreiner ein „Stück sozialer Geborgenheit in sozialer Gemeinschaft“. Einer aus der Partei sagt, genau das charakterisiere Schreiner: „Saarland, Plüsch, Nestwärme.“ Ist Schreiner zu provinziell für einen Geschäftsführer?

Der Schreiner, lautet seit Wochen eine fast schon stehende Redewendung bei vielen Sozialdemokraten, werde das Jahr als Bundesgeschäftsführer nicht überstehen. Das gilt erst recht, seitdem Schreiners Mentor, Oskar Lafontaine, als Parteichef zurückgetreten ist. Gerhard Schröder, der neue SPD-Vorsitzende, hat zwar weitere Personalwechsel an der Parteispitze ausgeschlossen und Schreiner in einem persönlichen Gespräch die Weiterarbeit zugesichert. Aber das kann sich schnell ändern, wenn die Wellen in Bonn nicht mehr so hoch schlagen. In der SPD ist es ein offenes Geheimnis, daß Schröders Verhältnis zu seinem Bundesgeschäftsführer nicht das beste ist. Schreiner gilt als Linker.

Eigentlich wollte der 53jährige nach dem Wahlsieg der SPD Fraktionschef werden, nachdem Scharping aus dem Amt gemobbt worden war. Er unterlag aber Peter Struck. Schreiner hatte sich bis dahin nur als Sozialpolitiker einen Namen gemacht. Kaum ein anderer in der Partei genießt aber derart viele Sympathien wie der Saarländer. Seine Mitarbeiter loben an ihm, daß er zuhören könne. Daß er einer sei, der schon mal im Sekretariat sitze, Zeitung lese und Witzchen mache. Ganz anders als der hierarchiebewußte Vorgänger Franz Müntefering. Einige Abgeordnete beschreiben Schreiner geradezu enthusiastisch. „Das ist einer der zupackendsten, engagiertesten Abgeordneten!“ schwärmt der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Ludwig Stiegler aus Bayern. Schreiner sei ein Politiker mit Herz, mit Liebe zu den Menschen.

Eigentlich trägt Schreiner den Spitzname „Ali“, weil er wegen der dunklen Hautfarbe und dem Schnäuzer so südländisch aussieht. Einige in der Fraktion nennen ihn aber auch „Regine“. Nach der brandenburgischen Sozialministerin Regine Hildebrandt. Stiegler: „Weil er mit Leidenschaft für die Rechte der klassischen Sozialdemokraten kämpft.“

Schreiners oberstes Anliegen ist es, den „Menschen zu helfen“. Er sei unter „ärmlichsten Bedingungen großgeworden“. Als eine seiner prägenden Erfahrungen nennt er, daß seine Mutter in der schwierigen Nachkriegszeit jederzeit für die vier Kinder da gewesen sei. Bei Schreiner sind das keine leeren Worte. Seit den 80er Jahren ist er der einzige Jurist im Bundestag, der dem Sozialausschuß beigetreten ist. Darauf angesprochen, begründet er: „Weil da Dinge verhandelt werden, die die Menschen unmittelbar berühren. In der SPD setzen viele ihre Hoffnung darauf, daß der traditionelle Sozialdemokrat Schreiner der Partei wieder mehr Leben einhauchen kann. Aber die Sympathie ist eben auch mit Zweifeln durchsetzt, ob dieser kumpelhafte, heimatverbundene Saarländer es packt, einer, der antiquarische Bücher, Ofenplatten sowie Grenzsteine sammelt und der für seine Kinder eigenhändig einen Hühnerstall baut, nur weil sie täglich ein frisches Ei haben wollen.

„Entscheidend wird sein, ob Schreiner genug Durchsetzungsvermögen hat“, sagt einer aus der Fraktion. Ein Mitarbeiter sieht das Problem darin, daß Schreiner mit Organisation nichts am Hut habe. Ein anderer hätte sich mit Rücksicht auf die Mediengesellschaft einen anderen Bundesgeschäftsführer gewünscht: „Der Schreiner sieht immer so sorgenzerfurcht aus.“ Aber das sind nur die kleineren Bedenken von wohlgesonnenen Parteifreunden. Jemand aus dem Kanzleramt lästert mit Anspielung auf Dörte Caspary: „Was hat der Schreiner denn bisher schon erreicht? Eine Personalentscheidung – und die ist auch noch schiefgegangen.“

In der Tat sieht die Situation im Ollenhauerhaus unerfreulich aus. Knapp fünf Monate nach seinem Amtsantritt steht Schreiner immer noch ohne Parteisprecher und Stellvertreter da. Zudem sind zwei der fünf Abteilungsleiterposten unbesetzt. Und wer die drei von Schreiner initiierten Projektgruppen „Zukunft der Arbeit“, „Familie und sozialer Zusammenhalt“ sowie „Neue Selbständigkeit“ betreuen soll, ist bis zur Stunde ebenfalls unbekannt. Kritiker werfen Schreiner vor, daß er bislang noch keine politischen Impulse setzen konnte, obwohl er sich gerade das vorgenommen hat. Im Gegensatz zu Müntefering, der allein mit der Organisation des Wahlsieges beschäftigt war, hatte Schreiner angekündigt, eine „politische Parteizentrale“ aufbauen zu wollen, die sich wieder mehr der konzeptionellen Seite der Politik widmet.

Aber Schreiner hat auch mit objektiven Schwierigkeiten zu kämpfen, für die er nichts kann. Nach der Bundestagswahl gingen einige der besten Leute aus der Parteizentrale in die Regierung. Finanziell ist die Partei nach dem teuren Bundestagswahlkampf ausgeblutet. Die gestrenge Schatzmeisterin Inge Wettig-Danielmeier, heißt es, rücke einfach nicht genug Geld heraus. Gegen die habe es jeder schwer. Einer wie Schreiner vielleicht besonders.

Anders als Müntefering, der auf Durchzug stellen kann und sich stur durchsetzt, läßt sich Schreiner auf zermürbende Diskussionen ein – und beugt sich dann schon mal dem scheinbar Unvermeidlichen. Auch jetzt, wo es um seinen Job geht, wirkt er nicht gerade kämpferisch. Gefragt, ob er sein Amt behalten werde, sagte er sorgenvoll: „On verra.“ Man wird sehen.

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