: Tränen für Tito & Tudjman
■ Emigration ist eine komplizierte Angelegenheit: Ein Gespräch mit der im Exil lebenden Autorin Dubravka Ugresic über die Erfindung der kroatischen Sprache, die Schwäche der Opposition, schleichende Faschisierung,
taz: Frau Ugrešić, gibt es eine europäische Literatur?
Dubravka Ugrešić: Ich habe darüber nicht nachgedacht, bis ich vor kurzem einen hochkompetenten New Yorker Literaturagenten kontaktiert habe. Ich bekam einen ablehnenden Brief, in dem er schrieb: „Sehr geehrte Frau Ugrešić, ich habe Ihr Buch („Das Museum der bedingungslosen Kapitulation“, Red.) gelesen, und es ist wunderbar, aber ein zutiefst europäischer Roman.“ Da bemerkte ich, daß wir europäischen Schriftsteller alle im selben Boot sitzen.
Was bedeutet es also, ein europäischer Schriftsteller zu sein?
Ich weiß es nicht und möchte auch nicht verallgemeinern. Aber es reicht schon, amerikanische Besprechungen europäischer Literatur zu lesen. In der amerikanischen Literaturkritik läßt sich eine verborgene oder auch völlig offene Propaganda für jenen Typ von Literatur beobachten, der vom Markt bevorzugt wird. Wenn das gut ist, was sich gut verkauft, was machen wir dann mit Robert Musil? Erst unlängst las ich in in der New York Times Bookreview eine riesige Besprechung, die ein Buch von Martin Amis lobte, weil er der einzige „amerikanische“ Schriftsteller sei, den die Engländer hätten. Das ist gefährlich.
Es passiert alle paar Wochen, daß sich das deutschsprachige Feuilleton darüber beklagt, daß „wir“ nicht erzählen können.
Warum sollten wir auch? Ich meine, warum sollen wir alle das tun? Nur weil sich Coca-Cola am besten verkauft, ist es noch nicht das beste Getränk.
Wie hat sich Ihr eigenes Werk verändert, seit Sie „Post-Jugoslawin“ sind?
Als ich noch im ehemaligen Jugoslawien lebte, habe ich amerikanischer geschrieben, besser in den postmodernen Trend gepaßt — einfach, weil ich im Universitäts- Ghetto existierte und allerhand Theorie gelesen habe. Ich war näher an der „Literarizität“ von Literatur, habe mich mit allen möglichen Experimenten befaßt. Meine frühen Bücher, die damals als „postmodern“ bezeichnet wurden, sind allerdings nicht ins Deutsche übersetzt. Heute fühle ich mich freier, weil ich älter bin, weil ich von Moden und der Meinung der Kritiker nicht mehr so beeinflußbar bin.
In ihrem Buch „Die Kultur der Lüge“ beschreiben Sie, wie sich ein Schriftstellerkollege in „eine lebende Metapher der Leiden von Sarajevo“ verwandelt. Was haben Sie für Erfahrungen gemacht?
Es kommt sehr darauf an, ob man das akzeptiert oder nicht. Ich habe gelernt, mich zu wehren. Als mich irgendein TV-Kanal gebeten hat, die Wiederwahl Tudjmans zu kommentieren, habe ich das abgelehnt. Als mein jüngster Roman erschien, hat mich niemand gefragt. Warum soll ich also den Umstand kommentieren, daß wieder einmal ein Narr gewählt wurde? Die Reaktion war natürlich, daß ich gefragt wurde, ob ich denn nicht mehr für die Demokratie meines Landes kämpfe. Das ist Blödsinn! Ich bin eben Schriftsteller und kein politischer Kommentator.
Vor kurzem erschien ein Artikel von Ihrer Kollegin Slavenka Drakulić, in dem sie schrieb, daß sich die Situation in Kroatien substantiell verändert hat und bei den nächsten Wahlen die Opposition gewinnen könnte.
Das ist wahr. Bloß bedeutet es nicht viel. Die kroatische Opposition unterscheidet sich nicht wesentlich von Tudjmans Propaganda. Außerdem ist sie genauso unprofessionell wie Tudjman. Niemand von denen weiß, wie man ein Land organisiert. Das einzige, was sie wissen, ist, daß sie „nach Europa“ wollen. Aber wissen sie, wie das geht und was es bedeutet? Nein. Wenn die Menschen, die an der Macht sind, den eigenen Haushalt bestehlen, den Leuten absolut alles wegnehmen — Geld, Jobs, Existenz, die Zukunft ihrer Kinder —, wie kann man da optimistisch sein? Die Zukunft ist einfach 50 Jahre im voraus aufgefressen.
Haben Sie vor, jemals nach Kroatien zurückzukehren?
Ich bin aus dem literarischen Leben Kroatiens vollkommen ausgelöscht. Ich kann nicht einmal sagen, warum das ausgerechnet mir passiert ist. Der Feral Tribune (Wochenzeitung mit Sitz in Split, die das Tudjman-Regime mit Satire und politischen Analysen bekämpft, Red.) habe ich entnommen, daß sogar lokale Bibliotheken meine Bücher auf den Müll schmeißen. Ich existiere nicht. Mein jüngster Roman ist in Kroatien nicht erschienen, ein einziges „oppositionelles“ Wochenblatt hat es sehr eilig gehabt, in seiner deutschen Ausgabe einen Verriß zu veröffentlichen. Damit hat sich's. Für mich ist Kroatien fremder als jedes andere Land. Ich habe alle meine Freunde verloren. Außerdem mag ich es nicht. Emigration ist eine komplizierte Angelegenheit. Zunächst lebt man völlig impulsiv, ohne den Gedanken daran, daß es für immer sein könnte. Wie in der optimistischen Vision von Slavenka Drakulić denkt man: Eines Tages wird alles wieder gut.
Gab es, als Sie denunziert und zur Persona non grata erklärt wurden, keine einzige Solidaritätskundgebung unter ihren Kollegen?
Nein. Der einzige Artikel zu meiner Verteidigung stammte von Viktor Ivancić und erschien in der Feral Tribune. Und meine zwei, drei allerbesten Freunde hielten zu mir. Es war schon erstaunlich, wie dein ganzes Leben vor deinen Augen zerfällt. Auf einmal rufen gute Freunde nicht mehr an, beginnen einen zu meiden. Daß man es zurückbekommt, wenn man jemanden attackiert, ist zu erwarten. Aber daß einen Kollegen und Freunde im Stich lassen, war die größte Überraschung. Also habe ich mir gedacht: Vielleicht hat ihnen ja jemand gedroht? Aber so war es nicht. Es war ihre Entscheidung. Man beginnt zu verstehen, warum eine schleichende Faschisierung so einfach verläuft. Die Leute passen sich einfach dem ideologischen Mainstream an. Sie wollen bloß nicht gestört werden.
Eine gängige Deutung des jugoslawischen Bürgerkriegs besagt, daß die Aggressionen und der Nationalismus immer schon latent vorhanden waren und nur vom Tito-Kommunismus unterm Deckel gehalten wurde.
Dem stimme ich nicht zu, weil ich das nie gesehen habe. Mag sein, daß fünf Prozent der Menschen wirklich unter dem Kommunismus gelitten haben, die Mehrheit aber sicher nicht — die hat geweint, als Tito starb; genauso wie sie geweint hat, als Tudjman gewählt wurde. Sie weinen überhaupt dauernd.
Vor kurzem erklärte Peter Handke in einem Interview: „Mein Platz ist in Serbien, wenn die Nato-Verbrecher das Land bombardieren.“
Um sein Leben zu geben? Um sich der Bombe auszusetzen? Um zu sagen: „Erschießt mich, denn ich bin mit diesen Menschen solidarisch?“ Das ist sehr mutig von ihm. Ich kenne Handke nicht persönlich, aber es könnte sich um eine trotzige permanente Provokation handeln. Ich glaube, das mag er.
Sie machen klar, daß „Die Kultur der Lüge“, die Sie beschreiben, letztendlich eine Entlastung von jeglicher Verantwortung oder Scham ist.
Es ist kompliziert. Weil es nämlich für die Menschen sehr schwer wird, authentisch zu bleiben. Ich versuche zu verstehen, wie „normale“ Menschen denken. Zuerst hat man ihnen erklärt, daß sie im Sozialismus leben. Der Begriff Kommunismus wurde nicht verwendet. Plötzlich finden sie heraus, daß sie im Kommunismus leben und wurden gezwungen, auf ihr Leben zu spucken. Selbst wenn sie nie bei der kommunistischen Partei waren oder irgend etwas mit dem Kommunismus am Hut hatten, wurde ihnen nun von Tudjman erklärt, wie schlecht sie waren, weil sie doch unter dem Kommunismus gelebt hatten. Also waschen sie sich rein und passen sich der herrschenden Ideologie an, dem Nationalismus. Man hat sie also zu ihrer ersten Lüge gezwungen. Nun wirft man ihnen vor, Nationalisten zu sein. Also versuche sie wieder, das abzustreiten. Sie sind sogar bereit, den Kapo des Konzentrationslagers Jasenovac zu verteidigen. Warum? Weil Tudjmans Presse sie dazu zwingt, Lügen zu akzeptieren. Hier beginnt der Wahnsinn: Alle sind gegen uns. Keiner versteht uns. Es ist, als hätten sie einen Adapter implantiert. Tudjman selbst ist ein Konvertit. Er war ein Partisan, Titos ergebener General. Dann erklärte er, daß der Kommunismus seine Eltern getötet habe, obwohl er zu dieser Zeit Kommunist war. Er hat ständig gelogen. Und die Menschen folgen ihm. Aber die Leute wissen, daß ständig gelogen wird?
Nein. So funktioniert das Gedächtnis. Es interpretiert die banalsten Ereignisse und verfälscht sie. Dennoch ist man überzeugt, daß es nichts als die Wahrheit ist. Fragen Sie mal Ihre Eltern. Sie werden Ihnen ihre Ehe wie ein Familienalbum präsentieren. Und sie lügen nicht! Ihre Mutter ist überzeugt davon, daß Ihr Vater der beste Liebhaber der Welt war. Je älter sie wird, um so trotziger wird ihr Bild des Glücks werden.
Wie ist das mit der Sprache? Sie schreiben ja noch auf Kroatisch.
Das ist die häufigste Frage: Vermissen Sie Ihre Sprache nicht? Aber Kroatisch ist ja eine Sprache, die gerade für die Zwecke der Politik erfunden wird. Die Sprache unterliegt einer Zwangskroatisierung. Warum sollte ich das vermissen? Warum sollte ich dem folgen? Ich würde eher Worte aus dem Serbischen oder Türkischen einschleusen, um diese Sprachideologie zu unterlaufen.
Aber gerade diese verschiedenen Färbungen und Verunreinigungen lassen sich schwer in eine andere Sprache übersetzen.
Ja, aber es kommt darauf an, was man will. Will man mit Menschen auf der ganzen Welt kommunizieren? Ich bin froh darüber, daß meine Sachen übersetzt werden. Also sorge ich dafür, daß meine lokalen Fußnoten leichter übersetzbar werden. Warum sollte ich so bedacht darauf sein, Texte für jemanden zu schreiben, der sie ohnehin nicht als literarische Texte liest, sondern nur herausfinden will, ob ich mein Land betrogen habe oder nicht? Interview: Klaus Nüchtern
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