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Alles im Griff

Wie die deutschen TV-Sender die Nacht der Nato-Angriffe bewältigten. Routinierte Korrespondenten, beruhigende Nachrichten und gegen 23 Uhr Bilder der Bombeneinschläge  ■ Von Matthias Urbach

Um halb acht ist die Nachrichtenmaschinerie noch im Leerlauf – wenngleich schon amerikanische B-52-Bomber in der Luft sind. Auf Pro 7 laufen computeranimierte Bilder, die zeigen, wie die Nato- Raketen fliegen. Im „ZDF-spezial“ sprechen nüchterne Korrespondenten ihre Berichte aus dem Kosovo, aus Belgrad, Brüssel und Washington. Selbst der jugoslawische Botschafter, Zoran Jeremic, aus Bonn zugeschaltet, wirkt ruhig. Die „Aktivität der Nato ist blanke Aggression“, sagt er, als spreche er den Wetterbericht. ZDF-Moderator Peter Frey: „Herr Botschafter, vielen Dank für dieses Gespräch“ – „Vielen Dank“.

Nun läuft die Nachrichtenroutine. Die Unsicherheit der Lage weckt beim Mediennutzer das Bedürfnis nach Information. Wer in den Newsrooms die Reporter arbeiten sieht, in den Studios die Moderatoren und in den Hauptstädten die Korrespondenten, ist schon beruhigt. Alles im Griff.

Im ZDF nun die Ansprache von Boris Jelzin. Ähnlich unversöhnlich wie er sieht Igor Maximitschew aus, ein russischer Europaforscher, der zugeschaltet wird: „Morgen wird die Welt ganz anders aussehen als heute.“

Mit seinen Experten und Korrespondenten vertreibt das Fernsehen sich die Zeit, bis es richtig losgeht mit dem Krieg. Um 19.58 Uhr, als das ZDF nach Brüssel schaltet, sieht es zunächst so aus, als ob das nur eine weitere Schaltung ist. Karin Storch steht vor irgendeinem Gebäude im Dunkeln und hat die „traurige Botschaft“, daß es nicht mehr um „Stunden, sondern um Minuten“ geht. Neben ihr ein Nato-Sprecher in Grau: Es ist gerade losgegangen.

Jetzt kommt der Moderator im Studio ins Stottern. Auf ARD beginnt zur gleichen Zeit die „Tagesschau“. Deren Sprecher weiß zwar, daß was im Gange ist. Er hat aber noch keine Bestätigung. Erst um 20.12 Uhr vermeldet auch das Erste, daß es definitiv losgegangen sei, und verweist auf CNN. Im „ARD- Brennpunkt“ kommt darauf Staatsminister Günter Verheugen ins Bild, aber er wird nicht nach einer Bestätigung gefragt. Weiß der denn auch nichts?

Bei n-tv spricht derweil bereits Kanzler Schröder zu den „Mitbürgerinnen und Mitbürgern“. Das Bücherregal, vor dem er mit versteinerter Miene sitzt, sieht aus wie eine Filmkulisse. Nur „eine Flugstunde“ entfernt sei das Kosovo. Dann sein Aufruf, „in dieser Stunde zu unseren Soldaten zu stehen“. Gleich darauf fragt n-tv-Redakteurin Leo Busch ihren Reporter, der in Tetova bei der Bundeswehr steht: „Hatten die Soldaten noch mal die Chance zu sagen: Jungs, in diesem Fall gehe ich nach Hause?“. Probleme mit der Leitung. Der Reporter vor Ort weiß aber: Soldaten, die jetzt rausgehen, müssen „Waffe, Schutzweste und Helm tragen“.

Im Ersten endet der „Brennpunkt“. Sigmund Gottlieb: „Guten Abend – soweit man das sagen kann.“ Es folgen die für 20.15 Uhr geplanten „Holstein Lovers“.

Kurz nach neun bringen auch Sat.1 und RTL einen mageren Überblick. Im „heute-journal“ betont Moderator Alexander Niemetz, daß dies „Krieg“ ist. Dirk Sager reportiert aus Moskau, Niemetz warnt vor Rußland, Klaus- Peter Siegloch beschwichtigt aus Washington: Das seien nur Drohgebärden, sagt er selbstgefällig wie die US-Diplomatie gegenüber Rußland. Das alles kommt geübt rüber und beruhigt.

Die „Tagesthemen“ beginnen mit Schröders Worten über die deutschen Soldaten. Gabi Bauer bleibt bei ihnen: „Warum sind noch nicht alle zurück?“ Der Reporter am italienischen Nato- Stützpunkt weiß es auch nicht. Er erklärt ihre Aufgabe: „Radarstellungen ausschalten“.

Um 23 Uhr kriegt Gabi Bauer eine Meldung „aus der Regie“: „Gerade bestätigt die Nato, daß eines der Kampfflugzeuge abgeschossen wurde.“ Sie würden auf „allen Kanälen“ recherchieren, ob ein Deutscher darin war. Berichte aus Washington und Moskau. Dann Bilder von Explosionen aus Belgrad, von einem italienischen Team: Flammen am Horizont. Zwischen den Bildern versichert Gabi Bauer: „Wir recherchieren.“

Auf Sat.1 läuft ein Laufband mit der Nachricht über das vermißte Flugzeug über Harald Schmidts Sakko. Die Show ist eine Aufzeichnung. Um Mitternacht das RTL- „Nachtjournal“. Auch hier haben deutsche Soldaten Priorität. Jutta Wiedig bringt eine „gute Nachricht“ von der italienischen Basis. „Die vier Maschinen mit ihren deutschen Piloten sind hier heil wieder angekommen.“ Um 0.15 Uhr bekommt RTL den Verteidigungsminister vor die Kamera: Alle Tornado-Piloten seien heil zurückgekommen. Nicht nur die Deutschen, fügt er an. Der Sender beschreibt die taktischen Probleme der Nato: Auch gegen Hitler seien „die Serben“ mit „ihrer Partisanentaktik“ sehr erfolgreich gewesen.

Am Ende müssen die Sender weiter warten auf das, was diesen TV-Krieg anders machen könnte als die bisherigen: den ersten getöteten Bundeswehrsoldaten.

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