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Ein Alter mit Prinzipien

Señor Pedrucho, Ureinwohner Cabo de Palos', trägt eine Geschichte mit sich, die sich mit Urlaubsidylle nicht verträgt  ■ Von Marc Bielefeld

Fast immer scheint die Sonne in Cabo de Palos, dem Fischerdorf an der Costa Calida. Aus der Hafenbar von Señor Pedrucho, den die Kellner zwischen siebzig und neunzig schätzen, blickt man weit über das Mittelmeer. Noch hat hier alles seine Ordnung. Die Flaschen stehen penibel sortiert im Regal, vorneweg die Cognacs und Rosados. Die Ober tragen weiße Oberhemden, schwarze Hosen und schwarze Schuhe. Über dem Eingang hängt, erst auf den zweiten Blick zu sehen, ein verblichenes Foto von einem sehr ernsten Mann, der auf einem Esel reitend ein Gewehr trägt.

Auf den Tischen liegen Baumwolldecken. Nie würde Pedrucho Plastikdecken („Nunca plastico“) dulden, auf denen verschütteter Wein nicht einzieht und man die Spuren eines Tolpatsches einfach wegwischen kann. Baumwolle ist zwar teurer, aber Tischdecken in einer Bar mit Restaurant sind nun mal Ehrensache. Verschüttgegangene Sitten, sagt er, seien schlimmer als verschütteter Wein. Man könne sie nicht nachkaufen.

Die Kellner respektieren seine Prinzipien. Der skurrile alte Kerl! Die verdammten Vertreter jagt er regelmäßig davon, besonders die mit den bunten Viva-España- T-Shirts, den Kitschpostkarten der heiligen Jungfrau und den Plastikgewehren für die Kinder. Jeden Monat kommen die Händler wie zähe Fliegen und behaupten, die Zeiten hätten sich geändert. Unten in La Manga, wo die Betonwüste für die Touristen beginnt, hätten alle Läden längst die beliebten Souvenirartikel. Wadenbeißer!

Pedrucho hat seine Regeln. Niemals würde er einem Gast den Blick aufs Meer verwehren. Tischreservierungen sind nicht seine Sache, ebensowenig junge Menschen, die Zigarren rauchen, und Urlauber, die auf dem Markt grünlich schimmernde Vexierbilder von Jesus Christus kaufen.

Am späten Nachmittag brummt Pedruchos Bar. Die Kellner arbeiten schnell und fleißig, vor allem der junge Antonio, dem Pedrucho versprochen hat, ihn im nächsten Sommer fest anzustellen. Die Touristen sitzen unter den Sonnenschirmen, blicken aufs Meer und aalen sich unter Spaniens wolkenlosem Himmel. Die Deutschen sind besser erzogen als die Engländer, weiß Pedrucho von seinen touristischen Völkerstudien. Die Deutschen schimpfen leise, wenn der Rosado zu warm ist, und kommen nie wieder. Aber die Engländer, vor allem die mit ein bis zwei Tätowierungen auf den Armen, rufen den Kellnern schon mal vergnügt zu, daß sie sich ihr verficktes spanisches Bier in den Arsch schieben könnten, und kommen am nächsten Tag wieder, very amused.

„Spanien lebt besser von Touristen als von Oliven“, stand im Wirtschaftsteil der letzten Ausgabe von La Verdad, der Lokalzeitung. „Und Pedrucho“, sagte Pedrucho, „lebt besser vom Blick aufs Meer als vom Blick in die Zeitung.“ Er zerknüllte das Blatt und sagte den Kellnern, daß er es nie mehr in seinem Lokal sehen wolle.

Die Costa Calida hat sehr gute Zeiten. Die Apartmentpreise steigen, die große Sportanlage in den Bergen wird ausgebaut, der nächstgelegene Flughafen Alicante erweitert – noch nie flogen mehr englische und deutsche Touristen hierher wie im vorigen Jahr.

Pedrucho ist ein Mann guten Humors und derber Witze, aber als er neulich einen sitzen hatte, kam er ins Grübeln. Plötzlich pöbelte er wie ein Rohrspatz. Behauptete allen Ernstes, den Glauben verloren zu haben. An die Menschen. Und an sein Land. „Was ist aus Spanien geworden?“ fragte er, und seine Augen starrten ins Leere. Zur Hölle mit Franco. Und mit den Sozialisten, zum Teufel mit den Fremdenverkehrsministern. Die Politik sei ein verseuchter Brunnen. Menschen mit unbeugsamer Überzeugung, philosophierte er trunken in rostigem Katalanisch, lebten an der Seite einer listigen Hure. Die Kellner guckten sich ungläubig an: Was war bloß in diesen Kerl gefahren? Und verflucht seien auch die Touristen, fuhr Pedrucho in einem fort.

Vor kurzem saßen zwei Deutsche Urlauber mit ihren Frauen an seinem besten Tisch, dem mit Blick auf die Islas Hormigas weit draußen im Meer. Sie aßen viel, tranken gut und lobten sein Spanien. Warm sei es hier, gepflegt, und die Golfanlage oben in den Bergen sei muy bonito. Pedrucho kam selbst an den Tisch und parlierte geduldig in langsamem Spanisch. Es war spät, die Kellner räumten die Kaffeetassen ab und brachten die Rechnung. Die Deutschen legten ein großzügiges Trinkgeld auf den Tisch und sprachen im Weggehen darüber, was Spanien nur ohne sie machen würde. „Das ist uns nun vom Krieg geblieben“, zischte Pedrucho. Niemand wußte, was der verrückte alte Kauz damit meinte.

„Heute machen wir das beste Geschäft aller Zeiten“, ruft Antonio ihm oft zu und trägt die Teller mit den Essensresten in die Küche. Pedrucho antwortet nie. Was weiß der Junge schon, Was wissen die Touristen? Der Alte ist einer der letzten Spanier, die die Groß- und Kleinkaliberhöllen im Bürgerkrieg und Weltkrieg miterlebt haben.

Keiner hier erinnert den kleinen, dicken Bürgermeister, der ihm damals dringend ans Herz gelegt hatte, das Franco-Porträt wieder vors Haus zu hängen, als die Falange erneut die Oberhand gewann. Niemand sonst hier hat je auf Oliven- und Obstplantagen gearbeitet oder gezwungenermaßen in den Minen vom nahe gelegenen Portman geschuftet, um Erz für die kriegswichtige Stahlgewinnung aus den Stollen zu hauen. Und niemand weiß von Pedruchos Vater. Eine Bande besoffener Faschisten, Spanier und Deutsche, hatte ihm die Genitalien abgeschnitten, in sein Maul gestopft und danach seine Mutter vergewaltigt.

Noch heute steht oben in Portmans Bergen ein verlassener Gefechtsstand, der mehr erzählt als Geschichtsbücher oder Mahnmale. Die beiden Kanonen sind wie stumme Zeugen noch immer aufs Mittelmeer gerichtet, als ob jeden Moment englische Kriegsschiffe am Horizont auftauchen könnten, die hier im Zweiten Weltkrieg patroullierten.

Noch immer sind in den Ausgucken die vermoderten Zeichnungen von U-Boot-Silhouetten, Zerstörern und Flugzeugen zu sehen, die Pedrucho damals bei der Identifizierung von Feinden helfen sollte. Auch Spanien war eben nur so neutral, wie man es von außen betrachten wollte. Sich hier als Pazifist zu outen, konnte Köpfe kosten. So war Pedrucho in den Kriegswahnsinn von Nationen geraten. Die einen die Guten, die anderen die Bösen? Verdammt, Pedrucho war Bauer.

Kein Schild weist heute den Weg zu den vergessenen Kanonen von Portman. Keine Touristen- broschüre erwähnt den beklemmenden Ort, der nur unweit von den Surfplätzen und dem großen Golfplatz entfernt liegt, wo heute Deutsche, Engländer, aber nur wenige Spanier gemeinsam um die Wette putten. Von längst vergessenen Kriegswirren will hier keiner mehr was wissen. Selbst Pedrucho hätte am liebsten alles verdrängt.

Nur fällt gerade ihm das manchmal schwer. Neulich kam der Bürgermeister – heute ist das Amt von einem quirligen, gut gekleideten Mann besetzt – und erzählte ihm etwas von einer achtbaren Investmentfirma, Engländern und Deutschen, mit viel Geld und großen Plänen. Sie wollen Portman sanieren, die Schwermetallablagerungen beiseite schaffen und ein paar Felsen wegsprengen, um eine Marina für die Yachten anzulegen. Das würde der Region Geld bescheren, und der neuen Apartmentanlage in Cabo de Palos stünde nur noch seine Bar im Weg.

Pedrucho weiß, daß der Bürgermeister recht hat, es wird der Region tatsächlich helfen. Nur die Hand würde er diesem Mann nie schütteln. Pedruchos Zeit ist abgelaufen. Der Alte erscheint wie ein letzter Blickwinkel auf vergangene Greuel, die im heutigen Tourismus einen zynischen, oft nur schwer verständlichen Widerhall finden.

Einen guten Vetrag hat Pedrucho abgeschlossen. Er bekommt für seine Bar soviel Geld, um die Kellner abzufinden. Nur nicht genug, um seine dummen Gedanken zu begraben, wegen denen er als senil gilt. Irgendwann demnächst wird der irre Pedrucho also seine Bar schließen.

Als der Bürgermeister nach vielen Verhandlungen das Lokal zufrieden verlassen hatte, blickte Pedrucho den jungen Antonio an und sagte müde: „Gib mir das Foto über dem Eingang, Junge, ich will nach Hause.“

Antonio, der junge Kellner, nickte und reichte ihm höflich das Bild. Pedrucho nahm es, ging das letzte Mal aus seiner Hafenbar, und die Sonne schien steil von Spaniens wolkenlosem Ferienhimmel.

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