: Warten auf den ratlosen Fahrgast
■ Mit einem einzigen Ticket per Bus und Bahn von Berlin nach Wittenberge: Morgen startet der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg als Europas größtes einheitliches Tarifgebiet. BVG kann die Tickets aber nicht verkaufen
Unscheinbar in blauen und orangen Nuancen kommt er daher, der Fahrausweis, der ab morgen laut Eigenwerbung nicht nur „angefaßt“ werden darf, sondern Berlin und Brandenburg zu einem einheitlichen Tarifgebiet vereinigt. Elf Landkreise und die Städte Berlin, Potsdam, Frankfurt und Brandenburg hängen dann im System des Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg (VBB) zusammen.
Der VBB, die gemeinsame Organisation von bislang 16 unterschiedlichen Tarifsystemen, erschließt sich als somit größter Verkehrsverbund Europas ein Einzugsgebiet mit sechs Millionen potentiellen Kunden. „Mehr Leistung fürs Geld“ verspricht der VBB. Doch mit den Neuerungen ist es wie mit dem Wetter: Es ändert sich oder bleibt, wie es ist.
Für den Berliner Fahrgast bleibt zumeist alles beim alten, der Einzelfahrausweis fürs Stadtgebiet kostet auch weiterhin 3,90 Mark, die Kurzstrecken- und Monatskartenpreise bleiben erhalten. Auch das „bewährte“ ABC-System bleibt erhalten.
Ein Erfolg des Verbundtarifs entscheidet sich auch am Fahrscheinautomaten, von denen allein die Deutsche Bahn AG über 80 neue hat aufstellen lassen.
Das Tarifgebiet selbst ist nun in 1.500 Tarif-“Waben“ eingeteilt, aus denen sich der Fahrpreis errechnet. Zwei „Waben“ lassen sich für 2,10 Mark durchfahren, ab der sechsten wird wiederum in Kilometern weitergerechnet. Bis 35 Kilometer Entfernung kostet das Ticket 8,50 Mark, für jede weiteren zehn Kilometer kommen 2,20 Mark dazu. Eine Fahrt von Ruhlsdorf-Zerpenschleuse nach Wendisch-Rietz kostet also im Regeltarif 12,90 Mark. Übersichtlicher ist es da bei den Monatskarten: Die kosten fürs Gesamtnetz dann aber auch stolze 240 Mark in der Standard- bzw. 276 Mark in der Premium-Ausführung.
Ein eigens entwickeltes Dialogsystem an den neuen Automaten soll den Reisenden „Schritt für Schritt“ zwar nicht seinem Ziel, aber doch dem Besitz des entsprechenden Fahrausweises näherbringen. An einigen Automaten soll dies sogar mit EC-Karte möglich sein. Als „Unternehmen der Zukunft“ preist der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) den VBB.
Doch der vollmundig angekündigte Start ins neue Tarifsystem geht nicht ohne Einschränkungen vonstatten. Insbesondere kleinere Orte tauchen in den Automaten-Anzeigen nicht auf. Der entsprechende Fahrschein muß dann eben „unterwegs“, etwa beim Busfahrer, nachgelöst werden.
„Gänzlich außen vor“ in puncto Gemeinschaftstarif sind die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG). Während die Berliner S-Bahn ihre 480 Fahrausweisautomaten bereits umgestellt hat, hat die BVG die neuen Fahrscheine im Bus und am Bahnsteig nicht im Sortiment – wer nach Brandenburg fahren will, muß sich am Fahrkartenschalter der Bahn anstellen. „Bei uns gibt es keine Perspektive, die VBB-Fahrscheine zu verkaufen“, sagt BVG-Sprecherin Regina Raetz: „Unsere Automaten sind zu alt, die Busdrukker können wir softwaremäßig nicht umstellen.“
Ganz ohne Reibungen wird der VBB-Start also nicht ablaufen, die Verkehrsunternehmen rechnen zunächst mit einem Ansturm ratloser Kunden. „Der Teufel steckt im Detail“, kritisiert Michael Cramer, verkehrspolitischer Sprecher der Berliner Bündnisgrünen, das VBB-“Tarifwirrwarr“. „Es handelt sich hier um eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für die Automatenindustrie“, so Cramer. Christoph Rasch
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen