: Da lachen Hühner und Russen
Jewgeni Kafelnikow demonstriert beim 3:2-Sieg der Russen im Davis Cup dem deutschen Tennisnachwuchs, wie weit der Weg zur Spitze noch ist ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt
Frankfurt/Main (taz) – Nun also Balsam auf der verwundeten russischen Seele. Sieg gegen (Nato-)Deutschland im Tennis. Davis Cup – die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln? Oder doch nur ein Ballsportereignis? Der Held der Russen jedenfalls heißt Jewgeni Kafelnikow. Der 25jährige „Eisenmann“ (Programmheft) kommt aus Sotschi am Schwarzen Meer, wo die traurigen Reste der Sowjetflotte vor sich hinrosten.
Kafelnikow spuckte in der Ballsporthalle Höchst beim Doppel mit Andrej Olschowski Gift und Galle: Gegen (Nato-?)Deutschland im allgemeinen, gegen Boris Becker im besonderen. Nach dem in dreieinhalb Stunden hart erkämpften Sieg der Deutschen Becker und Prinosil verweigerte er sogar den Handschlag. „Das habe ich in meiner langen Karriere noch nie erlebt“, sagte Becker zornig. In seinem letzten Einzel am Sonntag zertrümmerte Kafelnikow, die aktuelle Nummer drei der ATP- Weltrangliste, dann ebenso rüde das Spiel seines deutschen Gegners Thomas Haas aus Bradenton in Florida, der am Sonnabend 21 Jahre alt geworden war. Glatter Dreisatzsieg des Russen zum Zwischenstand von 2:2. „Tommy – hier kommt der Genuß“, hatten zwei Mädchen auf der Gegentribüne nebst zwei Herzen auf ihr Transparent gemalt. Mit Kafelnikow hatten sie nicht gerechnet.
Der deutsche Heroe ist und bleibt aber Boris Becker. Der Teamchef verlor beim Einsatz im Doppel erst nach zweieinhalb Stunden sein erstes Aufschlagspiel und spornte seinen Partner David Prinosil immer wieder zu Höchstleistungen an. Die „schmutzigen Tricks“ der Russen, so Coach Carl- Uwe Steeb nach dem Match, hätten DEUTSCHLAND nicht aus dem Rhythmus gebracht; nur beinahe. Die „schmutzigen Tricks“ der Russen? Das war die bewußt falsche Aufstellung bei einem Breakball von Prinosil. Irritationen bei den Deutschen, dann Proteste beim Schiedsrichter. Becker drohte Kafelnikow mit erhobenem Zeigefinger; der antwortete mit einer abfälligen Geste. Nervenkrieg auf dem Court. Für Kafelnikow war später alles „nur ein Scherz“. Becker sei aber „frech“ geworden und habe ihn beleidigt. Deshalb müsse sich der Deutsche bei ihm entschuldigen. Und was sagte Becker Böses? „Daran kann ich mich nicht mehr erinnern“, antwortete Kafelnikow. Und grinste dabei breit.
Jewgeni Kafelnikow weiß, daß er in einer anderen Liga spielt als die deutschen Cracks. In den Einzeln waren Haas und Nicolas Kiefer chancenlos gegen den Sieger der Australian Open, der noch in diesem Jahr die Nummer eins der ATP-Weltrangliste werden will. Und auch der zweite Russe, Marat Safin, aktuell die Nummer 26, stellte am Sonntag im alles entscheidenden letzten Einzel gegen Kiefer unter Beweis, daß er mit 19 Jahren in seiner sportlichen Entwicklung weiter ist als die Deutschen in der Zeit nach Becker. Der „Scharfschütze“, so nannte eine Boulevardzeitung den gebürtigen Moskauer Safin, der in Valencia in einem Tennis-Camp lebt, schlug Kiefer glatt in drei Sätzen und sicherte Rußland den 3:2-Sieg. Im Auftaktspiel am Karfreitag war er Thomas Haas noch knapp in fünf Sätzen unterlegen. Nato-blau war da das Leibchen von Haas gewesen; unschuldig-weiß das von Safin, dem 1,94 Meter großen „As- Mann“ (Haas).
Wie weiter mit dem deutschen Herrentennis nach dieser Niederlage? Im Davis Cup muß gegen den Abstieg gespielt werden. Mit Teamchef Becker, der lebenden Legende, aber dann wohl ohne den Spieler Becker. Der hat seinen endgültigen Abschied von der ATP-Tour für den Sommer erklärt und wohl auch beim Davis Cup zum letzten Mal selbst zum Schläger gegriffen. Und wie weit kommen Kiefer (Rang 30) und Haas auf der ATP-Tour? Am Unternehmen Haas jedenfalls ist ein Konsortium beteiligt, an das der Spieler und vor allem die Werbeträger (Seife) bis zu 20 Prozent der Einnahmen abzuführen haben. „Think big“ ist da das Motto, doch bis zur Klasse eines Jewgeni Kafelnikow, das zeigte die Davis-Cup- Partie in Frankfurt, ist noch ein weiter Weg. Der Sponsor des Davis Cups war im übrigen ein mittelständischer Putenfleischhersteller aus dem Oldenburgischen. Dessen Motto: „Pute mit Idee.“ Da lachten sogar die Hühner – mit den Russen.
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