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Auch Mama lernt jetzt Deutsch

Frankfurt animiert Migrantenmütter, sich zu ihren Kindern auf die Schulbank zu setzen. Lehrstoff sind Schul- und Alltagsprobleme, diskutiert wird auf deutsch  ■ Aus Frankfurt Heide Platen

Hatun O. ist manchmal sehr müde. Sie arbeitet hart, putzt das Geld zusammen für ihre fünf Kinder und den arbeitslosen Mann. Ein Sohn studiert. Die 46jährige Türkin lebt seit 25 Jahren in Deutschland. Seit ein paar Wochen sind ihre Kinder ganz besonders stolz auf ihr Mutter, denn „Mama lernt Deutsch“. Zweimal die Woche kommt sie in die Georg-Büchner-Schule in den Frankfurter Stadtteil Bockenheim.

An 13 Schulen gibt es das Angebot inzwischen, das ein Gemeinschaftsprojekt des Stadtschulamtes, der Volkshochschule und des Amtes für Mulitikulturelle Angelegenheiten ist. 1998 hatte es als Pilotprojekt begonnen und hieß eigentlich „Mama lernt Deutsch – Papa auch“. Es ist, sagt Projektleiterin Helga Nagel vom Amt für Multikulturelle Angelegenheiten, inzwischen bundesweit „ein Exportschlager“ geworden – bloß mit „Papa“ hapert es noch. Es kommen vorwiegend Frauen. Sie werden direkt über die Schulen angesprochen, in die ihre Kinder gehen, und lernen auch dort.

Das Lehrmaterial für diese besondere Kursform mußte erst erarbeitet werden. Nagel verspricht sich vom „interkulturellen Lernen“ eine Öffnung der Schulen in die Stadtteile, eine bessere Verständigung und Zusammenarbeit mit den Eltern, die bisher manchmal nicht einmal Formulare der Schule lesen, geschweige denn ihre Kinder unterstützen konnten.

Ein Vierteljahrhundert lebt Hatun in Deutschland. Warum lernt sie erst jetzt die Sprache? „Keine Zeit“, sagen die Frauen unisono. Kursleiterin Petra Laubenstein kennt viele Gründe. Da sind die Kinder, die Arbeit, die Moschee, der türkische Markt. Die Familien bleiben unter sich. Die Barrieren, diese Geborgenheit zu verlassen, sind hoch. Viele der Frauen sind kaum aus ihrer Wohngegend herausgekommen, waren nicht in den Parks und Gärten der Stadt. Auch an vielen Arbeitsplätzen, in Putzdiensten, Gaststätten, am Flughafen treffen sie auf Landsleute oder verständigen sich in internationaler Kurzsprache: „Gutes Deutsch wird dort nicht verstanden.“ Laubenstein hält die Eltern dennoch dazu an, mit ihren Kindern zu Hause nicht Deutsch, sondern in ihrer Heimatsprache zu reden, „damit sie wenigstens eine Grammatik richtig lernen“.

Elf Frauen lernen an diesem Vormittag in Zweiergruppen kleine Rollenspiele: Einkaufen im Lebensmittelladen. Zuerst einmal kommen die Artikel „der, die, das“ dran, die es in vielen Sprachen nicht gibt, für Apfel und Birne, Brötchen und Brezel, Käse und Kohl. Und Koteletts. Einige Musliminnen verziehen die Gesichter. Kursleiterin Petra Laubenstein: „Na ja, das Lammkotelett. Muß ja kein Schwein sein.“ „Der Kartoffel?“ „Die Blume, aber der Blumenkohl?“

Vasanthakumari aus Sri Lanka will es genau wissen: „Blumenkohl, das ist die weiße. Wie heißt die große, grüne mit Blätter?“ Laubenstein sucht im Lehrmaterial: in den Reklameblättern der Supermärkte. Kein Wirsing. Layla: „Und der ganz klein grün?“ Rosenkohl. Und wie heißt ein Laden, in dem es alles gibt, Obst, Fleisch, Gemüse, Butter? Nilüfer kichert: „Türk-Markt!“

Manche der Frauen haben in ihrer Heimat nicht lesen und schreiben gelernt. Hatun ist nur zwei Jahre zur Schule gegangen. Sie kämpft gegen ihre Verlegenheitan: „Ich möchte ein Kilogramm Birne“, flüstert sie. Dann traut sie sich: „Ich möchte... Haben Sie Kartoffeln?“ Sie lacht verlegen, als sie gelobt wird.

Die meisten Kursteilnehmerinnen kommen aus dem Arbeiterviertel Kuhwald-Siedlung. Sie müssen mit dem Pfennig rechnen. Gülnaz treibt die Preise im Einkaufsspiel hoch. Nilüfers Wortschatz reicht schon zum Protest: „Ich komm hier nie wieder!“ Im zweiten Durchgang brilliert Hatun und kauft grüne Bohnen, Petersilie und zwei Flaschen Orangensaft. Die Frauen stecken die Köpfe zusammen, lachen und gönnen sich Luxusgüter: teure Baumtomaten, Hühnerbeine, Schokolade – eine Tafel ist „ein großes Stück“ –, Lauch, aber den dünnen, türkischen bitte, kiloweise Oliven, schwarzen Tee.

Helga Nagel verspricht sich von dem Projekt auch eine Entlastung der Kinder, die sich als „kleine Dolmetscher“ häufig überfordert fühlten. Sie hat erfahren, daß es in den Familien vor allem die Kinder sind, die „der Mama“ Druck machen, endlich Deutsch zu lernen. Daß der Unterricht auf ihrer eigenen Schulbank stattfindet, „wertet die Schule auch für die Kinder wieder auf“. In der Georg-Büchner- Schule kontrolliert Petra Laubenstein am Ende des Unterrichts streng die Hausaufgaben: „Hatun, hast du die selbst gemacht? Oder wieder deine Tochter?“

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