: Politik, Ökonomie, Einwanderung
■ Auf dem Weg zum Bürgerstaat (9): Die Debatte übersieht, daß das Chaos in der Einwanderungspolitik wirtschaftliche Interessen befriedigt
Vor einiger Zeit sprachen wir mit einem französischen Dokumentarfilmer arabischer Herkunft über die unterschiedlichen politischen Ausgangsbedingungen für Einwanderer in Deutschland und Frankreich. Wie sehr sich diese unterscheiden, wurde deutlich, als er irgendwann meinte, manche Dinge in Deutschland seien so haarsträubend, die könne man von Frankreich aus nicht einmal nachvollziehen – etwa, daß aufgrund von Arbeitslosigkeit der Anspruch auf Einbürgerung erlöschen soll.
Das ist tatsächlich schwer zu glauben, gerade wo man ja weiß, daß Migranten in der Wirtschaft oft als sogenannte „Konjunkturpuffer“ fungieren: Da sie zum überwiegenden Teil im unteren, unsicheren Segment des Arbeitsmarktes beschäftigt sind, werden sie in Krisen gewöhnlich als erste entlassen und „puffern“ damit etwa hierzulande strukturell die Mehrheitsdeutschen gegen das Risiko des Arbeitsplatzverlustes ab.
Nichtsdestotrotz erscheint es jetzt völlig selbstverständlich, daß jene, von deren Arbeitslosigkeit das „Volk“ profitiert hat, gerade wegen dieser Arbeitslosigkeit nicht zu „uns“ gehören sollen. Klingt ja auch logisch: Wär' eigentlich nicht schlecht, wenn wir unsere eigenen Arbeitslosen abschieben könnten, da werden wir nicht so blöd sein, uns noch ein paar „fremde“ dazuzuholen.
Derweil treibt die alte Regierungskoalition nach sechzehn Jahren Totalversagen auf dem Gebiet der Einwanderung die vorgeblichen „Reformer“ von SPD und Grünen vor sich her wie einen aufgescheuchten Hühnerhaufen. Und das, man mag es kaum glauben, unter dem Banner der „Integration“. Und Otto Schily, der vollmundig angetreten war, um Einbürgerung zu erleichtern, brüstet sich mittlerweile im Parlament als Verschärfer: Früher hätte man bezüglich der Unterhaltsfähigkeit der Einbürgerungswilligen ja ziemlich großzügige Ausnahmen zugelassen; damit sei aber jetzt Schluß.
Auch sonst stelle man nun weit höhere Ansprüche: Deutschkenntnisse und die schriftliche Loyalitätserklärung gegenüber der Bundesrepublik seien zuvor nicht verlangt worden. Schon beim sogenannten „Kurden-Krieg“ hatte Schily letztlich seine vollständige Verwandlung in Kanther abgeschlossen.
Während man sich auf seiten der CDU tatsächlich beglückwünschte, daß man diese gewalttätigen Typen nicht eingebürgert hatte – als seien solche Ausschreitungen nicht gerade ein Ergebnis mangelnder Integration –, bellte Schily in Richtung des imaginären Gesamtkurden die bekannten Sprüche: „Wer in Deutschland das Gastrecht mißbraucht...“, „volle Härte des Gesetzes“, „Ausweisung und Abschiebung“ etc.
Sonja Margolina hat uns vor kurzem hier erklärt, die ganze Staatsbürgerschaftsdebatte sei ja nichts anderes als ein ideologisches Syndrom von Ausländerlobby und linken Flagellanten. Dagegen verwies sie auf die angeblich „harten“ Fakten: Eine vernünftige Einwanderungspolitik stünde auf der Tagesordnung – und zwar eine, die nicht von Ideologie und der Sorge um die Bedürftigkeit der halben Welt geleitet werde, sondern vom (wirtschaftlichen) Interesse der Bundesrepublik Deutschland.
Doch der großspurige Verweis auf die angebliche Wirklichkeit zeugt von ziemlicher Naivität. Denn obwohl seit dem Anwerbestopp von 1973 zweifelsohne das Asylgesetz hierzulande im Zentrum eines inkohärent und chaotisch wirkenden Einwanderungskomplexes steht, äußert sich darin kein Humanismus. De facto befriedigt das institutionelle Chaos in der Einwanderungspolitik in erster Linie wirtschaftliche Interessen. Während der Asylparagraph als Einwanderungsregulativ es gestattet, sich selbst immer wieder für die eigene Hilfsbereitschaft zu loben, sorgen gleichzeitig Arbeitsverbot und Mittelbeschränkung für Asylbewerber, aber auch die hohe Wahrscheinlichkeit der Ablehnung des Asylantrages dafür, daß ein bedeutender Teil der Flüchtlinge in die illegale Beschäftigung gedrängt wird. Das bedeutet Dumpinglöhne und null Protestpotential. Darüber hinaus können diese Illegalen fast überhaupt nicht mehr mit Solidarität rechnen: Für den Mittelstand entsprechen sie nicht dem Ideal des guten politischen Flüchtlings, und bei den unter Lohndruck geratenen Arbeitern gelten sie als Ursache der Misere. Die restriktive Einbürgerungspolitik gegenüber den „Gastarbeitern“ und ihren Nachkommen hat ähnliche Effekte. Die Nichtzugehörigkeit sorgt für eine mangelnde Berücksichtigung im Bildungssystem, verringert die Chancen auf dem Arbeitsmarkt und schränkt zudem die Möglichkeiten ein, gegen all das aufzubegehren: So produziert man Anwärter auf miese Jobs. Tatsächlich macht die jetzige „Reform“ ausschließlich den von Margolina gelobten und begehrten jungen, qualifizierten, städtischen Einwanderern ein Integrationsangebot. Und auch das ist ja im Sinne der Wirtschaft.
Klare Regeln, Transparenz und Kontrolle sind in erster Linie das Ergebnis politischer Regulation. Politik aber setzt eine Vorstellung davon voraus, wie die politische Gemeinschaft aussieht, wer die Entscheidungen trifft und wie die Mitgliedschaft geregelt ist. Es gibt also nicht hier Paß und da Arbeit, hier Staatsbürgerschaft und da Wirtschaft, sondern das alles gehört von vornherein zusammen.
Als ich vor einiger Zeit einem US-Amerikaner asiatischer Herkunft die Situation hierzulande schilderte, konnte dieser kaum fassen, daß Einwanderer, die ja schließlich bereit waren, „ganz unten“ auf dem Arbeitsmarkt anzufangen, nicht mit der Staatsbürgerschaft „belohnt“ würden. Nicht mal für diese rudimentäre Logik scheint man in der Bundesrepublik offen zu sein: Hier wünscht man noch bei den Nachkommen der Einwanderer ausschließlich Unterordnung und Produktivität.
Und daß alles weiter beim alten bleibt, garantiert in Deutschland immer noch die Stimme des „Volkes“, wie man sie in Unterschriftenaktion und Hessen-Wahl zu hören meint. Daher fehlen weiter grundsätzliche und einigermaßen gerechte Normen für Einbürgerung sowie Einwanderung, während die privilegierten „Volkszugehörigen“ entscheiden, wer dazugehören soll und wer nicht. Dabei fordert dieses Volk angeblich den superangepaßten Normalo vergangener Tage. Und wer schließlich im Alter von 23 diesem Bild nicht entsprechen kann oder will (das wird gleichbedeutend sein mit der mangelnden Bereitschaft, den alten Paß aufzugeben), der wird in Zukunft dann nicht mehr nur nicht eingebürgert, sondern sogar ausgebürgert. Schily kann beruhigt sein: An Härte lassen diese Regelungen wirklich nichts zu wünschen übrig. Mark Terkessidis
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