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Rußland entdeckt kosovo-albanische Flüchlinge

■ Russische Medien ändern ihre Berichterstattung. Jetzt ist auch von den Albanern und ihrer Vertreibung die Rede. Überdies werden die serbisch-russischen Beziehungen kritisch hinterfragt

„Was im Kosovo und Belgrad tatsächlich passiert“, titelte die Iswestija in ihrer gestrigen Ausgabe. Das seriöse Flaggschiff des russischen Journalismus gestand damit indirekt ein, seine Leser in den zurückliegenden zwei Wochen nicht mit der ganzen Wahrheit bedient zu haben. Andere Presseorgane leisteten nicht gleich einen Offenbarungseid, aber auch sie besinnen sich auf ihre journalistische Sorgfaltspflicht. Selbst der russische Generalstab, schrieb die Sewognja, „zweifelt an den Informationen, die aus Belgrad kommen“.

Die Wende in der Berichterstattung hatte am Wochenende der private Fernsehsender NTW eingeleitet. Plötzlich erfuhren die russischen Fernsehzuschauer, daß der Krieg auf dem Balkan nicht geführt wird, um das orthodoxe Brudervolk der Serben zu tilgen und dem katholischen Westrom wie seinem Handlungsgehilfen Washington die geistliche und weltliche Vorherrschaft zu ertrotzen.

Zum ersten Mal hörten die Russen von einer albanischen Minderheit muslimischen Glaubens in Jugoslawien. Bisher präsentierte das Fernsehen mutige Serben, die bereit waren, sich mit Hacken und Mistgabeln dem „Aggressor“ in den Weg zu stellen. Krankenhäuser mit Opfern und zerbombte historische Museen halfen, die Emotionen der Massen gegen den Westen aufzupeitschen. Die Sendung der orthodoxen Kirche, „Das russische Haus“, lud alte KGB-Spitzel ein, die das wahre Ausmaß der serbischen Tragödie und eine gefilterte Version der bilateralen Geschichte darstellten. Danach verlas ein Moderator Adressen, wo sich Kriegsfreiwillige für Serbien melden konnten. Zumindest die Zuschauer in den Großstädten wissen nun über die ethnischen Säuberungen im Kosovo Bescheid. Bis die Aufklärung die Provinz erreicht, wird noch Zeit vergehen. In weiten Gebieten müssen die Zuschauer mit der einseitigen Berichterstattung der staatlichen Sendeanstalten vorliebnehmen. Das Fernsehen ist in Rußland mit Abstand die wichtigste und neben dem Radio die einzige Informationsquelle. Jedoch dürfte die Konkurrenz unter den Medien einen Wandel bewirken. Auch die staatlichen Sender ORT und RTR haben die albanischen Flüchtlinge entdeckt, doch bleibt die Wahrnehmung tendenziös. Ähnlich jener Bemerkung von Außenminister Igor Iwanow: „Wollen die europäischen Völker wirklich auf ihrem Kontinent einen Hebel des islamischen Extremismus erhalten?“

Die Mitarbeiter der politischen Magazinsendung „Itogi“ auf NTW räumten ein, daß sie in Belgrad überwacht und ihre Berichte zensiert würden. Warum kam die Einsicht so spät ? NTWs Chefredakteur Wladimir Kulistikow begründet die Verzögerung mit materiellen Schwierigkeiten. Man wollte einfach warten, bis ein eigener Korrespondent vor Ort sei. Die Übernahme ausländischen Materials wurde gar nicht erwogen, weil die Öffentlichkeit es ohnehin für Propaganda gehalten hätte.

Der Starmoderator „Itogis“, Jewgenij Kiseljow, erklärte den Wandel mit der innenpolitischen Entwicklung: „Es gibt Momente in der Geschichte, wo wir an unsere Bürgerpflicht denken sollten.“ Kiseljow warnte indes davor, daß „die Anti-Nato-, Anti-Amerika- und Anti-Westen-Hysterie zu einer Situation führen kann, in der die Kommunistischen Partei ihre Herrschaft wiedererrichtet und wir uns vor dem Hauptquartier der Partei anstellen müssen, um eine Empfehlung für eine Auslandreise zu erhalten“.

Auch die Radioanstalt „Echo Moskau“ wagte sich an ein heißes Eisen heran und unterzog die Geschichte der serbisch-russischen Beziehungen einer kritischen Betrachtung. Von Treue kann kaum noch die Rede sein. Ein pikantes Detail. Die Geliebte des jugoslawischen Marschalls Tito, eine Russin, wurde von Stalin nach ihrer Rückkehr in einem Straflager liquidiert. Auch die Zeitung Nowaja gaseta veröffentlichte einen Beitrag des bekannten Publizisten Andrej Piontkowskij: „Braucht Rußland einen Sieg Milošević'?“ Das Blatt hielt es für nötig, in einer Notiz darauf zu verweisen, die Redaktion teile die Ansicht des Autors.

Der Iswestija-Korrespondent, der noch aus Jugoslawien berichten kann, verwarf die serbischen Angaben über Tausende von zivilen Opfern als Propaganda. Die Bombardements seien meist „auf den Punkt genau“, man frage sich nur, „was für einen Sinn sie machen“. Klaus-Helge Donath, Moskau

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