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Funktionäre aufmischen

Das Lichtenberger Kinderparlament ist eines von dreien in der Hauptstadt. Wenn die Kids auch nicht von allen Politikern angehört werden: Sie nehmen die Politik ernst  ■   Von Christoph Rasch

Enrico hält „das Wort“ in der Hand. Der kleine rote Zettel ist die Berechtigung zum Sprechen im Lichtenberger Kinder- und Jugendparlament und ein wirksames Mittel, das zeitweilige Chaos zu beherrschen. Im „Plenum“ liegen neben Aktenordnern und Papierstapeln – Drucksachen landen auch hier – heute Ostereier und Kuchen. Quirlig geht es zu unter den 12- bis 18jährigen: „Wir wollen in die Politik“ heißt ihr Motto. Zu neunt sitzen die Polit-Kids an diesem Nachmittag um ihren Ikea-Tisch, der in dem alten Backsteinrathaus am S-Bahnhof Frankfurter Allee steht. Draußen schießen wenige Meter weiter die ersten Plattenbauten des Ostberliner Bezirks empor, hier unter dem Bezirkswappen prangt auf einer Papptafel das erklärte Feindbild der kleinen „Abgeordneten“: der raffzähnige, ignorante Funktionärstyp. „Es reicht nicht aus, unfähig zu sein“, steht daneben, „man muß auch in die Politik gehen.“

Das tun die Jugendlichen mit Elan, auch wenn das mit dem „Politikeraufmischen“ sich komplizierter gestaltet als gedacht. Denn: Aller Anfang ist Debatte, „was zählt, ist der demokratische Lerneffekt“, heißt es. So funktioniert Kommunalpolitik.

Anfragen an die Ausschüsse der Bezirksverordnetenversammlung (BVV), Demos für eine kinderfreundlichere Verkehrsplanung und Schüler-Malwettbewerbe zur Jugendpolitik haben die Kids in den vergangenen Jahren initiiert. „Die Politiker spielen fast immer mit, auf taube Ohren stoßen wir kaum“, sagt Sabine Pechardschek, Angestellte bei der Lichtenberger Jugendförderung. Sie betreut das Projekt seit seiner Gründung 1995 und sitzt auch heute wie jede Woche dabei und moderiert.

„Kids beraten den Senator“, hieß die dahinter stehende Senatsidee einmal, die sich im „Sozialpädagogischen Institut“ (SPI) kanalisierte, aus dem wiederum das Lichtenberger Projekt hervorging. In seiner Form sei es für Berlin einmalig, bestätigt auf Anfrage Jutta Witt vom SPI, die für den Senat das Projekt „Drehscheibe Kinderpolitik“ betreut. „Inzwischen haben sich die Kids zwar wichtige Rechte erkämpft“, meint Jutta Witt, etwa das Rederecht in den Ausschüssen der BVV, doch „im besten Fall können die Kids beraten, mehr auch nicht.“ Und während die „Zusammenarbeit“ zwischen Schülern und Politikern auf bezirklicher Ebene „gut läuft“, sagt sie, „drückt sich der Senat weiterhin davor, diesen politischen Spielraum der Kinder zu erweitern.“

Im „Leitlinien“-Entwurf, an dem Witt mitarbeitete, werde die Idee des Kinderparlaments positiv erwähnt, aber Unterstützung gebe es keine: „Am Ende ist es ein Papier, das keiner bezahlen will.“ „Gelder beim Senat beantragen“, haben sich die Lichtenberger Kids gerade wieder einmal in ihre Merkliste geschrieben, doch aus dem Haus der Jugendsenatorin Ingrid Stahmer (SPD) heißt es lapidar: „Ein gutes Projekt, aber die Förderung obliegt allein den Bezirken.“

Der Lichtenberger Bezirksbürgermeister Wolfram Friedersdorff (PDS), der ein paar Räume weiter im selben Rathaus seinem Tagesgeschäft nachgeht, betont immerhin, daß er „sein“ Nachwuchsparlament gern hat, wie auch alle Fraktionen der BVV: „Wir können und werden es auch in Zukunft alleine weitertragen“, sagt er, „denn die Beiträge sind kreativ und durchdacht“ – wenn sie auch manchmal wie eine Beschäftigungsmaßnahme für ambitionierte Schülersprecher anmuten. Der Einfluß ist ohnehin gering. Als „Highlight“ aus der Arbeit des Kinderparlaments nennt Pechardschek eine Anfrage an die BVV, warum ein neuer Fahrradweg im Bezirk noch über Wochen gesperrt war: „Da wurde die Öffnung dann etwas beschleunigt.“

Der Bezirk, dem kaum Kosten für sein Jugendgremium entstehen, kann sich immerhin mit einer publicityträchtigen Ausnahme-Institution schmücken. „So richtig ernst nehmen uns die da oben oft dennoch nicht“, findet Enrico, der seine Motivation ganz pragmatisch sieht: Die hier gewonnenen Insidernews verarbeitet er in seiner Schülerzeitung, anderen hilft die Praxis im Studium, wieder andere mögen einfach die Atmosphäre. So bleibt als aktive Arbeit für die Kinderparlamentarier zum Beispiel die Erstellung von Info-Broschüren – eine für die Eigenwerbung, eine, die Schulgesetze in Juristendeutsch auch für Schüler verständlich machen soll.

Katja kämpft sich durch die entsprechende Senatsbroschüre. Die 20jährige – auch Studenten bleiben dem Schülergremium treu – hat Bedenken: „Wir dürfen den Text nicht verfälschen“, gibt sie in die Diskussion: „Wichtig ist es“, meint sie, „die Jüngeren für Politik einfach zu interessieren, was sie daraus machen, ist ihre Sache.“ Lebhaft wird debattiert, über den Zustand von Toiletten an den Schulen und über deren Ausstattung mit ebenso wichtiger Computertechnik. „Unsere Aufgabe heißt, Dinge zu benennen, auf Mißstände hinzuweisen – ändern müssen das andere“, faßt Pechardschek die Aufgaben zusammen.

„Unsere Schule ist schon im Internet“; sagt der 13jährige Willy und platzt fast vor Stolz. „Na und, – werden die Klos dadurch sauberer?“ fährt ihm die sechs Jahre ältere Stefanie in die Parade. Auf den lauten Disput folgt der Beschluß: „Sollen wir jetzt eine zweite Anfrage starten oder nicht?“ „Irgendwann ist es eben nicht genug, nur über die Schulsenatorin zu meckern“, finden die „Jung-Demokraten“ - und ergreifen zumindest in Lichtenberg auch weiterhin das Wort, wann sie wollen. Und vielleicht wird aus dem roten Zettel ja mal ein rotes Tuch.

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