: Schreibtischtäter hinter der Kamera
Der Film „Fotoamator“ von Dariusz Jablonski dokumentiert die Arbeits- und Vernichtungsmaschinerie des Ghettos Lodz und entlarvt den Hobbyfotografen Walter Genewein als einen Verwalter des Todes ■ Von Christoph Rasch
Korrekt gescheitelt und mit schmalem Oberlippenbart sitzt er hinter der wuchtigen Rechenmaschine. Ein Schreibtischtäter vor der Kamera. Buchhalter Walter Genewein 1941 an seinem Arbeitsplatz in der Verwaltung des größten jüdischen Ghettos Europas – in Lodz, das von den deutschen Besatzern seit 1940 Litzmannstadt genannt wird.
Blauer Himmel über Bergen von konfiszierten Kleidungsstücken, der jüdische Friseur vor seiner Baracke, Himmler zu Besuch im schwarzen Dienstmercedes. Der Schreibtischtäter hinter der Kamera: „Neuestes Dia-Farbmaterial“, eine technische Neuheit, forderte Hobbyfotograf Genewein „für dienstliche Zwecke“ bei der IG-Farben-Schwester Agfa an. Bis zur „Liquidierung“ des Arbeits-Ghettos 1944, die nur 12.000 Juden überlebten, arbeitet Genewein in Lodz und schießt mit seiner Mowex-Kamera Hunderte Bilder des schleichenden Genozids.
1987, dreizehn Jahre nach dem Tod des „unbescholtenen Bürgers“ Genewein, tauchen die Dias in einem Wiener Antiquitätenladen auf. „Ich war geschockt, daß so etwas noch existierte“, berichtet Arnold Mostowicz, der das Lodzer Ghetto überlebte: Die Dias, heute im Besitz des Jüdischen Museums in Frankfurt am Main, „waren zwar echt, aber dennoch erzählen die Fotos nicht die Wahrheit“, erzählt der damalige Ghettoarzt Mostowicz. Das letzte Bild Geneweins mit der Archivnummer 343 zeigt eine Anzahl zusammengepferchter nackter Menschen. „Judenbad“ ist in Sütterlinschrift auf dem Diarahmen vermerkt.
Den Bildern des Österreichers Genewein stellt der polnische Regisseur Dariusz Jablonski die Berichte des heute 85jährigen Mostowicz gegenüber. Sein daraus entstandener Film „Fotoamator – der Amateurfotograf“ nähert sich dem Menschen, der dem Mord an Hunderttausenden von Menschen – nach der Ausbeutung ihrer Arbeitskraft – „Auge in Auge“ gegenübersteht und sie gleichzeitig akribisch verwaltet. Geneweins Bilder wirken vor allem deshalb so schockierend, weil sie – im filmischen Wechsel mit Listen und Rechnungen aus der Ghettoverwaltung – eine kalkulierte Idylle zeigen. Jablonski, Assistent bei Krzysztof Kieslowskis „Dekalog“, bettet die technisch teils brillanten Bilder und Zeitdokumente in ein harmonisches Umfeld aus monochromen heutigen Stadtansichten und abstrahierten Spielszenen ein. In 80 Minuten schildert der 1998 entstandene Film – untermalt von der Musik Michael Lorenc' – das Schicksal des Ghettos von der Ankunft Geneweins bis zur bereits 1942 begonnenen „Säuberung“. Allein aufopfernder Arbeitseinsatz bewahrte viele Juden zumindest kurzfristig vor dem Gaskammertod – und vor allem die deutsche Bekleidungsindustrie, wie auch Ghettoleiter Hans Biebow, der sich die Hungerlöhne in die eigene Tasche steckte, verdienten daran nicht schlecht. Der Film fährt bei der Dokumentation der Ghetto-Arbeitsmaschine dicht an die kleinen Rädchen im Getriebe heran. Genewein plagt sich mit dem Bericht des Wirtschaftsprüfers über „erhebliche Rückstände in der Buchhaltung“ und beklagt sich bei der Agfa über die bei der Entwicklung auftretende Rotbrauntönung des Filmmaterials. Und während bei der „Freimachung“ des Ghettos schließlich Hunderttausende „nicht arbeitsfähiger Juden“ in die Vernichtungslager wandern, stellt Genewein die Verwaltung auf moderne Maschinenbuchhaltung um und berichtet nüchtern von seinem Aufstieg durch die Gehaltsgruppen. Als er schließlich selbst 1947 in Salzburg verurteilt werden soll, macht der Diabetiker Genewein Haftverschonung geltend. „Ich bin das Opfer eines Denunzianten geworden“, wettert er damals. Nun denunzieren ihn seine Bilder als schlechten Fotografen, der auch mit der Kamera nicht dokumentierte, sondern verwaltete. Christoph Rasch
„Fotoamator – der Amateurfotograf“: heute, 19 Uhr, Akademie der Künste, Hanseatenweg 10; morgen, 20 Uhr, im Polnischen Kulturinstitut, Karl-Liebknecht-Straße 7. Der Regisseur Dariusz Jablonski sowie der Zeitzeuge Arnold Mostowicz sind heute abend anwesend.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen