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■ Der AugenblickIst das nicht ein bißchen zynisch?

Dienstag, das Flüchtlingslager „Stankovac“, Skopje, Makedonien.

„Kann ich dir helfen?“, fragt Adem Berisha aus Pritina hilfsbereit, als ich mich gerade mit dem suchenden fotojournalistischen Blick in dem Lager umsehe. „Nein“, antwortete ich. „Ich schaue bloß herum. Nach etwas Interessantem.“ Etwas Interessantes ... Ist das nicht ein bißchen zynisch, denke ich und versuche, diesen Ausdruck durch ein Lächeln gutzumachen.

Was ist es eigentlich, wonach ich Ausschau halte? Ist es ein starkes Foto von einem leidenden Flüchtling? Oder ist es das Foto eines sooo hilfsbereiten Nato-Soldaten? Wonach jage ich eigentlich? So arbeiten wir doch: Wir jagen, oder?

„Findest du nicht, daß hier genug Interessantes passiert ist?“, fragt Adem. Adem und seine elfköpfige Familie wohnen in Zelt Nr. 37. Draußen, vor dessen „Haupteingang“, gibt es eine kleine Erhöhung. Darauf sitzt er, um sich versichern zu können, daß das Feuer unter dem Topf noch brennt. Vor zwei Wochen war Adem noch Direktor des serbischen Zementwerks in Pritina. Jetzt ist er ein Flüchtling und hat alles verloren, was er besaß. „Nein, im Vergleich zu euch habe ich keine Probleme“, antworte ich.

Das Eis ist gebrochen. Jetzt sitze ich auf der kleinen Erhöhung, und, obwohl ich Nichtraucher bin, rauche ich mit Adem eine Zigarette.

Überall in der Welt, wo wir als Reporter arbeiten, läuft es ähnlich ab. Wir meinen, daß wir aufmerksam und objektiv berichten. Aber die Wahrheit ist, daß viel zu viele nur nach dem Sensationellen jagen. Die Sensation verkauft sich gut. Selten aber ist sie Ausdruck der ganzen Wahrheit.

Obwohl ein gutes Pressefoto die Leser stark beeindrucken kann, senden viele Medien nur schreibende MitarbeiterInnen in die Kriegsgebiete. So sind die Zeitungen und Magazine von Agenturfotos oder Fotos der freien FotografInnen abhängig. Diese Fotos unterliegen aber nicht notwendigerweise den gleichen presseethischen Richtlinien, die für eigene ZeitungsfotografInnen gelten. Zum Beispiel kann es passieren, daß einE FotografIn ein Foto unter einem falschen Etikett verkauft, weil sie oder er sich davon viel Geld verspricht. Dieses Foto erweckt dann einen falschen Eindruck.

Gerade zur Zeit scheint die Bevölkerung der Nato-Mitgliedsländer ihre Haltung zu der Frage des Einsatzes von Bodentruppen zu ändern. Hängt dies mit den häufigen Veröffentlichungen der Bilder von Flüchtlingen zusammen? Wenn das so ist, sind unsere Bilder dann nicht Propaganda, die sich kaum unterscheidet von der Propaganda in Jugoslawien?

Viele FotografInnen lesen keine Zeitungen – das ist ein großes Problem. Um guten Bildjournalismus betreiben zu können, muß man Wissen über die Konfliktparteien haben. Besonders wenn eine Konfliktpartei wie Jugoslawien westlichen JournalistInnen den Zugang zu dem Land versperrt.

Es wäre aber nicht viel einfacher, wenn die JournalistInnen direkt aus Jugoslawien berichten dürften, denn die serbische Informationspolitik ist sehr kontrolliert und die Bewegungsfreiheit äußert begrenzt. Nur wer trotz der Tag-und-Nacht-Überwachung der serbischen Sicherheitspolizei MUP die Nerven behält, kann sich ein Bild machen. Leider aber verlieren all zu viele JournalistInnen ihre neutrale Sichtweise, wenn sie an einem Tag vor oder hinter den serbischen Maschinengewehren stehen und am nächsten Tag mit sterbenden, hilfslosen Flüchtlingen konfrontiert sind.

Selbstverständlich ist es erlaubt, Angst zu haben, aber man muß es zugeben können. Sonst erfindet man abwegige Erklärungen, um die eigenen Reaktionen zu rechtfertigen. Es läßt sich auch nicht vermeiden, daß das menschliche Elend die eigene Seele beeinflußt. Auch das muß man zugeben können, sonst wird man außerstande sein, die Leiden und Demütigungen der Menschen wahrzunehmen.

Mit mir zusammen verlassen drei voll besetzte Busse mit Flüchtlingsfamilien aus dem Kosovo das Lager. Die Kinder im Bus lachen und winken mir zu. Solch eine Freude habe ich nicht mehr gesehen, seit ich vor einem Monat aus Berlin hierhin kam. Sie glauben wieder an eine Zukunft. Das haben sie nicht gewagt, seit sie von serbischen Polizisten aus ihrer Heimat vertrieben wurden.

Was einem professionellen Fotografen nicht passieren sollte, geschieht: Die Tränen laufen mir übers Gesicht.

Christian Joergensen

Der Autor ist freier Fotograf aus Dänemark. Er arbeitet für die Agenturen „laif“ und „zenit“.

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