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Im Zeichen der Massenarbeitlosigkeit

■ Während „Anders arbeiten“ früher Selbstbestimmung bedeutete, steht heute das Gemeinwohl im Vordergrund. Die Projekte können die Arbeitslosigkeit lindern, aber nicht entscheidend verringern

Anders arbeiten: Seit mehr als 20 Jahren zirkuliert diese Utopie durch die Köpfe kritischer Geister – und wurde in Kollektiven, alternativen Betrieben und neuerdings in sozialen Unternehmen immer wieder ausprobiert. Mittlerweile freilich hat sich die Bedeutung des Begriffs stark verändert.

Der klassische Alternativbetrieb

Leuten, die 1980 einen alternativen Betrieb gründeten, ging es vornehmlich um ihre Selbstbestimmung, ihre Freiheit von der Macht eines Unternehmers. Als der Sozialismus als gesamtgesellschaftliche Utopie versandet war, entstanden die Kollektive, die gemeinsames, weniger entfremdetes Arbeiten im Alltag realisieren wollten. Neben dem Eigeninteresse der gleichberechtigten Beschäftigten wähnten sich manche Unternehmen allerdings immer auch als Keimzelle größerer gesellschaftlicher Veränderungen. Außerdem wollte man durch „sinnvolle“ Produkte Konsum- und Produktionsmuster ändern. Der klassische Alternativbetrieb stellte Fahrräder, Sonnenkollektoren oder biologische Möhren her.

Heute ist „Anders arbeiten“ einfacher und zugleich komplizierter. Die Vorstellungen stehen im Zeichen der Massenarbeitslosigkeit. Angesichts von vier Millionen Erwerbslosen in Deutschland geht es den GründerInnen von sozialen Betrieben und Beschäftigungsprojekten zunächst schlicht darum, neue Arbeitsplätze zu schaffen.

Die utopische Qualität dieses Ansatzes liegt im „Wie“ der Arbeitsförderung. Viele Initiativen nehmen für sich in Anpruch, eine gemeinnützige Rolle zu spielen und Dienstleistungen anzubieten, an denen die gesamte Gesellschaft ein Interesse haben müsse. Dieses Argument dient dazu, staatliche Gelder einzuwerben, ohne die die Bezahlung der Löhne des „3. Sektors“ in fast allen Fällen unmöglich wäre. Angesichts der Ebbe in den staatlichen Kassen setzt sich aber zunehmend der Gedanke durch, daß eigene Gewinne die öffentlichen Mittel ergänzen müssen. Außerdem fordert man, die staatlichen Gelder so flexibel zu vergeben, daß Arbeitslose in ihrer jeweiligen Situation sich selbst eine neue Berufsperspektive aufbauen können, anstatt in aussichtlosen ABM-Projekten von einer deprimierenden Warteschleife in die andere zu ziehen.

So groß freilich die Hoffnungen in eine menschenfreundlichere Ökonomie immer noch sind, so marginal nehmen sich die praktischen Ergebnisse aus. ForscherInnen des Wissenschaftszentrums Berlin etwa gaben die Zahl der Vollzeitarbeitsplätze im 3. Sektor Deutschlands mit rund 1,5 Millionen an. Dieser Bereich wächst zwar stärker als der Rest – trotzdem spielt er im Vergleich zu den rund 40 Millionen Jobs, die über den normalen Markt finanziert werden, eine denkbar geringe Rolle. Und eine entsprechend geringe Wirkung in bezug aufs Ganze haben auch Maßnahmen, die – gestützt auf den 3. Sektor – die Massenarbeitslosigkeit bekämpfen wollen.

Einen Fortschritt zumindest kann man jedoch verzeichnen: Die Alternativökonomie der 70er und 80er Jahre hatte niemals ähnliche Dimensionen erreicht. Die ehemaligen Kollektive sind heute auf dem Rückzug oder haben sich in normale Betriebe umgewandelt, die sich hinsichtlich ihrer internen Atmosphäre und der Produktpalette noch von tradtionellen Unternehmen unterscheiden mögen. Der Abbau spiegelt sich aber in den Mitgliederzahlen des Berliner Netzwerks wider, einer alten Lobbyorganisation der Alternativbewegung. Standen 1983 noch 3.100 Leute und Gruppen auf der Liste, sind es heute nur noch 900.

Die Industrie wittert Konkurrenz

So ablehnend die Wirtschaftsverbände und vielfach auch die Gewerkschaften früher der utopischen Ökonomie gegenüberstanden, so kritisch beäugen sie heute die Versuche der gemeinnützigen Projekte. Allenthalben wittert die Industrie- und Handelskammer Konkurrenz. „Warum soll eine Gärtnerei, die Arbeitslose beschäftigt, öffentliche Förderung erhalten, ein normaler Betrieb aber nicht?“ wird gefragt. Die sozialen Unternehmen kontern dann, indem sie auf das Gemeinwohl verweisen, das ihrer Arbeit innewohne. Hannes Koch

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