: Akws abschalten kommt billiger
Es ist günstiger, Alt-Akws in Obrigheim und in Stade stillzulegen, als sie am Netz zu halten, so eine Studie. Betreiber wollen Castor-Transporte verdoppeln ■ Von Matthias Urbach
Berlin (taz) – Die größte Keule der Stromkonzerne gegen die rot-grünen Ausstiegswünsche heißt Entschädigung. Sie wurde ihnen vom Kanzler Gerhard Schröder selbst in die Hand gelegt, als der festlegte, ein Atomausstieg komme nur entschädigungsfrei in Frage. Seitdem zerschlugen die Konzerne mit diesem Knüppel schon manchen Vorstoß des grünen Umweltministers Jürgen Trittin – etwa zum Ende der Wiederaufarbeitung – so gut er die auch panzerte.
Die grüne Bundestagsfraktion verfiel nun auf eine bessere Strategie. Sie fingen selbst an zu rechnen, mit Hilfe der Wirtschaftsprüfer BPG. Deren Ergebnis: Der Betrieb der alten Atommeiler Obrigheim und Stade ist so teuer, daß die beiden Besitzer Energie Baden-Württemberg (EnBW) und PreussenElektra billiger davon kämen, wenn sie die beiden abschalteten und den Strom lieber an der Börse einkauften. Mit anderen Worten: Genaugenommen müßten die Konzerne Entschädigungen verlangen, wenn die Regierung ihre Meiler nicht vom Netz nimmt.
„Die Anlagenbetreiber müßten demjenigen dankbar sein, der die Stillegung dieser Werke fordert“, sagte der grüne Fraktionschef Rezzo Schlauch genüßlich zu seinem Judotrick. Mit hoher Plausibilität lasse sich annehmen, daß diese Rechnung auch für andere ältere und kleinere Atommeiler gelte. Entscheidend bei dieser Rechnung ist allerdings, daß die Meiler weitgehend abgeschrieben und die Rückstellungen für den Abriß vollständig angesammelt seien, urteilen die Wirtschaftsprüfer.
Für den ältesten deutschen Reaktor Obrigheim veranschlagten sie eine Nutzungsdauer bis 2007, für Stade bis 2012. Bei den Rechnungen gingen die Prüfer von einem durchschnittlichen Strom-Einkaufspreis bis 2007 von fünf Pfennig pro Kilowattstunde aus. Da liegt noch eine kräftige Sicherheitsmarge drin: Der Stromtagespreis (Swep) an der Schweizer-europäischen Strombörse beträgt heute 3,3 Pfennig. Vergangenes Jahr schwankte er zwischen 3,4 und 4,6 Pfennig pro kWh.
Der Strom aus dem Akw Obrigheim ist demnach 2,3 Pfennig zu teuer und der aus Stade kostet 1,7 Pfennig zu viel, um wirtschaftlich rentabel zu sein. Verlust bis zum jeweils angesetzten Laufende: 1,1 Milliarden Mark durch das Akw Stade für PreussenElektra und eine halbe Milliarde Mark für die EnBW durch Obrigheim. Atomkraftbegeisterung kann teuer sein.
Schlauch sieht durch die Studie nun wieder Raum für Bewegung in den Energie-Konsensgesprächen, denn die Abschaltung einiger Akws bedeute nun kein „Bauernopfer“ für die Betreiber mehr.
Derweil berichtet Der Spiegel von einem Papier der Stromkonzerne fürs Kanzleramt, laut dem bis 2022 insgesamt 495 Castorbehälter zurückgeholt werden müßten – dafür seien zunächst zwei Transporte mit je sechs Containern pro Jahr geplant. Ab 2004 sollten drei Transporte pro Jahr rollen, ab 2008 vier. NiedersachsensMinsterpräsident Gerhard Glogowski (SPD) erklärte: „Ich will diese neuen Transporte auf keinen Fall.“ Sein Umweltminister Wolfgang Jüttner (SPD) verlangte von der Bundesregierung, mit Frankreich über eine Zwischenlagerung der Castoren dort zu verhandeln, bis der Standort für das deutsche Endlager feststünde, anstatt die Castoren im niedersächsischen Gorleben zwischenzulagern.
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