: Der Fluch des Klezmer-Hypes
■ Teil zwei des „Pro Musica Antiqua“-Festivalresümees: Dreimal „Jüdisches“ mit der Gruppe Sklamberg, dem Kantor Estrongo Nachama und dem Sänger Zrihan
Vielleicht war nicht, wie Festivalkoordinator Peter Schulze vermutete, das schöne Wetter der Grund für den mäßigen Besuch in der Schauburg. In der Ankündigung des Konzerts von Lorin Sklamberg fehlte (zu Recht!) das Zauberwort: Klezmer! Und schon sind wir mittendrin in einer der wichtigsten Debatten um Musik, und deren Rezeption. Was ist jüdische Musik, lautet die Frage. Gibt es sowas?
Sklamberg, Frank London und Uri Caine kommen von da, wo sich die ganze Chose derzeit wohl am besten diskutieren läßt, aus New York. Da gibt's die „Klezmatics“; die Basis der Arbeit des Sängers und Akkordeonspielers Sklamberg sowie des Trompeters London. Da gibt's das Projekt „Radical Jewish Culture“ von John Zorn. Judentum und Musik ist stets als Frage gedacht. Die einzige Gewißheit ist der gemeinsame Referenzpunkt: die Shoah. Sonst, zynisch genug, würde diese heterogene wie dynamische Szene schlicht nicht existieren.
Nicht schlecht, was, zumal hierzulande, oft unfreiwillig trendy ist, mal in ganz anderem Zusammenhang zu hören. Spirituelle Bewegungen dieses Jahrtausends, lautete das Thema des Festivals. Hier ist es der Chassidismus, jene jüdische Bewegung, die die Durchdringung jüdischen Alltagslebens mit religiöser Mystik propagierte. „Every-thing should be done with great Joy“, sagte Frank London, nachdem er mit den Worten „Let's have a little cosmological discussion“ zu einer kurzen Einführung anhob.
Das Trio besteht aus sehr unterschiedlichen Musikern. Chassidische Lieder und Tänze bilden den Ausgangspunkt. Vor diesem Horizont suchen sie nach Aktualisierung fernab jeglicher Authentizitätshuberei. Während London eine Art Multikulti-Weltumarmungs-Messianismus pflegt, ist Pianist Caine eher weltlicher Jazzmusiker. Doch verlaufen die Brechungen des traditionellen Materials hier anders als bei seiner genial-verspielten Mahlerbearbeitung. Die oft simpel-schönen Melodien, die sich wiederholenden Rhythmuspatterns werden angereichert mit Jazzelementen. Hier und da klingt's nach Brettl-Tradition und ein Stück wird auch mal durch sehr freie Piano- und Trompetenausflüge durchbrochen. Über all dem die klare Stimme Lorin Sklambergs.
So weit, so gut. Nur muß (und möchte) dann, alles kleine Chassiden, das Publikum mitklatschen. Was tut man nicht alles, um Auschwitz ein bißchen zurückzunehmen! So bekommt man kaum mit, wie London ein paar Takte aus Zorns bitterbösem Programmstück „Kristallnacht“ einspielt. Oder abwinkt und aufhört, von unterschiedlichen zeitgenössischen Schulen in chassidischer Tradition zu erzählen. Perlen vor die Gutmenschen. Trotzdem ein überzeugendes Konzert.
Als er den Berliner Kantor Estrenge Nachama ankündigte, lieferte Schulze ein weiteres Stichwort. Vom 'Sänger von Auschwitz' zum 'Sänger von Berlin', stellte er lapidar und ungewohnt neumittig fest ... Ansonsten umschifften vorbildliche Programmzusammenstellung und –präsentation weitgehend alle Ethnisierungsfallen. Nur die Klezmatics sind statt einer „jiddischen Band“ zunächst vor allem eines: Very New York!
Der 1918 geborene Nachama, Kantor und Vater des gegenwärtigen Vorsitzenden der Berliner Jüdischen Gemeinde, verband im geschickt ausgewählten Programm synagogale Musik mit Bearbeitungen chassidischer Lieder. Ganz anders als beim Kammertrio am Vortag. Ruhiger, gedehnter, aber auch raumgreifender sind sie. Und gepägt vom Synagogenritus der aufgeklärt-liberalen jüdischen Gemeinden Westeuropas. Orgel, Chor und Solostimme erzeugen eine gewissen Nähe zu christlicher Kirchenmusik. Aber nur eine Nähe: Langgezogene Melodiebögen, weitgehender Verzicht auf Phrasierungen lassen diese Musik sich nur langsam entwickeln. Zurückhaltend und behutsam intoniert vom Krefelder St. Josef-Chor, vor allem aber von der phantastischen Stimme Nachamas. Die zweite Hälfte mit Liedern zu Feiertagen wie Purim ist deutlich beschwingter. Chor und Kantor singen verschränkter, auch mal im Kanon. Nachama schließt mit ein paar Soli und einem Segen als Zugabe.
Das abschließende Konzert von Emil Zrihan ist vergleichsweise lau. Der israelische Kontratenor und seine Begleiter spulen ihr Programm aus nordafrikanischer jüdischer und andalusischer Musik eher lustlos ab. Gewiß eine faszinierende Stimme, voller Vibrati und dennoch beeindruckend klar. Doch kam die treibende Musik im großen Raum der Liebfrauenkirche nicht richtig durch. So konnte man nur ahnen, wie sich Singstimme und sparsame Instrumentierung in ständigem Wechsel aufeinander zu-, dann wieder voneinander wegbewegen.
Die drei Konzerte, die im Kontext der Frage „(Was ist) Jüdische Musik“ zusammengehörten, sind, sagen wir, modern. Aktualität und Aktualisierung bestimmen das Geschehen. Nicht, weil zwingend Popkontexte geschaffen werden, sondern weil die Aufbereitung des Materials vom gegenwärtigen Standpunkt nicht zu trennen sind. Den Biographien sind ausnahmslos politische Entwicklungen dieses Jahrhunderts eingeschrieben. Ohne der Musik zu viel aufzuladen, findet man mit Israel, den USA und der Bundesrepublik auch drei Orte heutigen jüdischen Lebens repräsentiert. Entsprechend vorsichtig muß man die Identifizierung der Musik mit Bewegungen wie dem Chassidismus oder der Spiritualität des sephardischen Judentums betreiben. Wenn das überhaupt nötig ist. Tim Schomacker
Der erste Teil des Festivalresümees ist gestern erschienen
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