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Wider das kurze, für das schnelle Denken

■ Die „45. Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen“ feierten Kurzkunst, Videoclips und hinterfragten Großstadtvisionen. Statt der Digitalkünste dominierte die 35-mm-Perfektion

„Think short!“ lautete der Aufmacher der diesjährigen „45. Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen“. Er führte zunächst geradewegs aufs politische Glatteis, als bei der Festivaleröffnung zwei Dutzend Friedensaktivisten das sofortige Ende des Krieges im Balkan forderten. Sie riefen dazu auf, das „Kurzdenken“ zu überwinden.

Doch „Think short!“ sollte eigentlich „denke schnell!“ heißen, was auch meint: „denke präzise & mach es kurz“. Tatsächlich brachten viele Beiträge Krieg, Massaker und andere Fatalitäten des Alltags knapp und gezielt auf den Punkt. Der Kurzfilm ist eben ein Medium des Stakkato. Das weltweit älteste Kurzfilmfestival – dessen politische Tradition der Filmemacher Stefan Heyn aufgrund der beschwichtigenden, eine Parteinahme vermeidenden Reaktion der Festivalleitung auf die Friedensdemo gleich mal für bankrott erklärte – erwies sich als Insidertreff mit intellektuellem Kongreßcharakter, der knapp 200 in- und ausländische Produktionen präsentierte.

Keine einzige „neue deutsche“ Komödie fand übrigens Einzug in den Wettbewerb. Die Themen Liebe und Beziehung dagegen hatten – auch international – reichlich Produktivkräfte freigesetzt. Es dominierten klassisch erzählte Geschichten, die sich oftmals komplex und surrealistisch verdichteten oder minimalistisch auf bisweilen recht skurrile Pointen zusteuerten. Während die Zeit des Experimentalfilms vorbei zu sein scheint und die Digitalkünste in Oberhausen keinesweg boomten, dominierte die 35-mm-Perfektion.

Eine das Festival grundlegend prägende Innovation galt der Ausrichtung des „MuVi“-Preises, des ersten Festival-Musikvideopreises Deutschlands. Der Gewinner: Sensorama (Oliver Husain und Michael Klöfkorn) mit „Star Escalator“ – ein originelles Stück Videoclipkunst sich öffnender und schließender Garagentore. Ralph Christoph und Olaf Karnik (beide Spex) hatten darüber hinaus visuelle Höhepunkte der Geschichte der Videoclips recherchiert: Urbane Zeitrafferästhetiken wechselten zu psychedelischen „Transit(t)räumen“ und die Techno- und HipHop-Klassiker verdeutlichten, wie sehr die zum Teil sehr aufwendigen und perfekten Produktionen inzwischen zur Herausforderung für die klassische Videokunst wurden. Gleichwohl ist zweifelhaft, ob die nicht fürs Kino bestimmten Clips der inhaltlichen Tiefenschärfe des Kurzfilms standhalten können.

Die Fülle der Programme war kaum zu bewältigen: Ob die „urbane Jugendkultur Südafrikas“, das Kinderkino, ob James-Herbert-, Werner-Schroeter- oder Wood-&-Harrison-Specials oder auch das „Internationale Jugendfilmfestival“ der Filmothek, das einen spannenden Wettbewerb bot – die Auswahl aus dem Gesamtpaket der knapp 3.000 Einreichungen gab dem eher akademischen Festivalbetrieb einen gesunden Kick Jugendfrische.

Mit „Think big!“ ließe sich ein weiteres, insgeheimes – dem Festivalgedanken freilich entgegenstehendes – Motto der Stadt Oberhausen benennen. Erfreut sich die Stadt doch des größten Einkaufsparadieses Deutschlands. Von der allgemeinen Tendenz der Konsum- und Freizeitverführung in ganzheitlich gestylten Plastikpalmenbiotopen ausgehend, lud das Festival zum breitgefächerten Sonderprogramm „Städte, Territorien“.

In der von Jochen Becker kuratierten Veranstaltungsreihe wurden unter dem Stichwort „Bigness“ urbane Entwicklungen hinterfragt, die das Filmprogramm zur Kenntlichkeit illustrierte, besser: illuminierte.

Während früher das Stadtzentrum als Ort der Prosperität galt, wird es heute als ein Raum interpretiert, in dem sich der Mensch als Sozialfall einfindet. Dementsprechend gilt es, diese Unfallstelle durch architektonische Raumkonzepte not- beziehungsweise wegzuoperieren. Der Ordnung der Wasserwaage folgend, werden selbst Bahnhöfe zur Mall, und einst kommunikative Orte wie Park, Straße und Platz degenerieren zu obsoleten innerstädtischen Wurmfortsätzen.

Klaus Ronneberger analysierte die Bemühungen, Städte visitenkartengerecht umzufrisieren und sie zugunsten der Kapitalzufuhr aufzupolieren. Geschäftsinhaber agieren kollektiv als Mall-Imitatoren, indem sie den öffentlichen Raum privatisieren und unter ihre Hausordnung stellen. Selbst hübsch angelegte Springbrunnen fungieren dann als Burggräben wider zwischenmenschliche Begegnungen.

Mit „Städte, Territorien“ boten die Kurzfilmtage den Bürgern Oberhausens ein spannendes Forum der Auseinandersetzung mit ihrer Stadt. Gleichwohl war die angereiste Kurzfilmgemeinde weitgehend unter sich. Dies ist um so bedauerlicher, als es der neuen Festivalleitung nun im zweiten Jahr gelang, auch populärverträgliche Themen zu integrieren. Die Bürger Oberhausens haben sich vermutlich längst gemütlich in der Mall-Realität eingerichtet. Der HipHop des Kurzfilms dürfte somit kaum Schäden hinterlassen haben. Matthias Groll

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