: Polizei bewacht jetzt Londons Synagogen
Drei Tote bei Anschlag auf Pub in Soho. Britische Neonazi-Gruppen wie „Combat 18“ oder die „Weißen Wölfe“ drohten schon seit Jahren Anschläge auf „Nichtweiße, Schwule und Juden“ an ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck
Als nächstes die jüdische Gemeinde? In Großbritannien geht bei Minderheiten die Angst um, nachdem Neonazis am Freitag abend beim dritten Bombenanschlag innerhalb von zwei Wochen drei Menschen getötet und fast 60 verletzt hatten. Diesmal explodierte eine Nagelbombe in einer Schwulenbar im Londoner Viertel Soho. Die ersten beiden Anschläge galten einem multikulturellen Markt in Brixton und der Brick Lane im asiatischen Viertel Ost-Londons.
Die Polizei hat am Wochenende die Bewachung von Synagogen und jüdischen Geschäften verstärkt.
Am Freitag, dem Todestag Hitlers, hatte die Londoner Schwulenzeitung „Pink Paper“ ihre homosexuelle Leserschaft gewarnt, daß sie demnächst Angriffsziel der Neonazis werden könnten. Dennoch traf der abendliche Anschlag auf das Admiral Duncan Pub, eine von vielen Schwulenkneipen in der Old Compton Street, reichlich unerwartet. „Schwule haben sich in der Old Compton Street sicherer gefühlt als irgendwo anders im Land“, sagte Mark Watson von der Homosexuellen-Organisation Stonewall. „Deshalb ist der Angriff besonders schockierend.“
Die Bombe war in einer Sporttasche versteckt, die von einem jungen Mann mit Ziegenbart und gelber Baseball-Mütze vor der Theke abgestellt worden war. Die Polizei hofft, ihm mit Hilfe der Sicherheitskameras, die die Londoner Innenstadt überwachen, auf die Spur zu kommen. Videoaufnahmen aus Brixton hatten in der Nacht zum Samstag zur Festnahme eines Mannes in Hampshire geführt. In seinem Haus fanden die Beamten eine Kiste Sprengstoff.
Daß britische Neonazis Bomben werfen, überrascht die Polizei wenig, schließlich haben verschiedene Gruppen seit sechs Jahren damit gedroht. Eine Broschüre von Combat 18 – die Zahl steht für den ersten und achten Buchstaben des Alphabets, Adolf Hitlers Initialen – aus dem Jahr 1993 enthält eine Liste mit Angriffszielen. Ganz oben stehen alle „Nicht-Weißen“, die, so die Diktion der rassistischen Gruppe, im Sarg nach Afrika geschickt werden sollen.
Außerdem, so heißt es in der Broschüre, wolle man „alle Schwulen, weißen Rassenschänder und Juden hinrichten“, dazu gibt es Anleitungen, wie man Bomben baut und der Aufmerksamkeit der Geheimdienste entgeht. Combat 18 hat die Verantwortung für die drei Bombenanschläge übernommen.
Das hat aber auch eine Abspaltung dieser Organisation getan, und da könnte ein Hinweis zu finden sein, warum die Neonazis gerade jetzt zuschlagen: Die „Weißen Wölfe“ haben sich nach einer serbischen Terror-Organisation benannt. Die englische Variante wurde 1995 von Del O‘Connor gegründet, der damals die Nordengland-Sektion von Combat 18 leitete. Sein Ziel ist es, einen „Rassenkrieg“ zu provozieren, bei dem es „Auge um Auge“ gehe. Herman Ouseley vom staatlichen „Ausschusses für ethnische Gleichberechtigung“ prophezeite gestern Racheakte. „Man muß verstehen“, sagte er, „daß diese Minderheiten seit langer Zeit massiv von den Nazis bedroht werden.“
Nach dem Bombenanschlag vor neun Tagen schickten die „Weißen Wölfe“ eine Warnung an eine asiatische Zeitung in London und forderte alle „Juden und Nicht-Weißen“ auf, vor Jahresende Großbritannien zu verlassen: „Wenn die Uhr am 31. Dezember 1999 Mitternacht schlägt, beginnen die Weißen Wölfe zu heulen. Und wenn die Wölfe zu heulen beginnen, dann beginnen sie zu jagen. Ihr seid gewarnt.“ Daß der Brief authentisch war, bewiesen die Absender mit einem Kennwort, das der Polizei bekannt ist.
Für die Polizei ist es schwierig, die Neonazi-Szene zu überwachen. Anfangs war Combat 18 von Antifaschisten stark unterwandert, und bei manchen Nazi-Demonstrationen brachen innerhalb des Demonstrationszuges Schlägereien aus, während die Gegendemonstranten nur noch staunend zusahen. Doch seitdem hat Combat 18 sich, ebenso wie die Weißen Wölfe, eine Zellenstruktur gegeben. „Die rechtsextremen Gruppen predigen seit Jahren den Führer-losen Widerstand“, sagt Mike Whine, ein Terrorismus-Experte im Direktorium der britischen jüdischen Gemeinde.
Die Zellen von vier bis sechs Mann arbeiten völlig unabhängig voneinander, von einer Zentrale erhalten sie Flugblätter, Listen mit potentiellen Angriffszielen und Anleitungen zum Bombenbauen. Die Polizei befürchtet, die drei Anschläge könnten dazu führen, daß andere Zellen sich zur Nachahmung ermutigt fühlen.
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