: Verkorkste Existenzen
■ Die etwas andere Boulevardkomödie: Oliver Bukowskis derbes „Bis Denver“ feierte im Altonaer Theater Premiere
Zum Nachtisch gibt's leckeres Sperma. Mit Walnußgeschmack. Doch heute will Ina Terre (Hannelore Droege) es nicht so recht munden. Sie ist genervt vom edlen Spender. Ihr Ehemann (Ulrich Cyran) stichelt und mäkelt, statt zu erzählen, ob Sohn Thomas (René Bange) angerufen hat. Der kann aber gar nicht mehr anrufen. Er steckt im Umkleideschrank einer Badeanstalt und ist mausetot. Bademeister Horst Paschke (Jacques Ullrich) hat ihn dort nach einem bedauerlichen Unfall hineinverfrachtet. Gleich neben dem Schrank mit der aufblasbaren Puppe Moni von Kumpel Lothi (Frank Meyer-Brockmann), einem arbeitslosen Kohlenschipper. Nachdem der zerstreute Lothi fast zum Leichenschänder geworden wäre, läßt er sich zu einem anderen Coup überreden. Das Duo täuscht eine Entführung vor und erpreßt von den reichen Eltern des Toten Lösegeld.
Recht drastisch und zuweilen saukomisch geht es in Bis Denver zu. Autor Oliver Bukowski, 1961 in Cottbus geboren, bezeichnet seine Stücke selbst als „Boulevardkomödien“. Was stimmt, weil sie unterhaltsam sind, aber auch falsche Assoziationen weckt. Denn auf der schwimmbadgekachelten Foyerbühne des Altonaer Theaters schmiert keine harmlos-biedere Seifenoper ab. Zwischen wischfesten Wänden knallen Wut und Enttäuschung der kleinen wie der feinen Leute aufeinander. Verkorkste Existenzen auf beiden Seiten: Das zu kurz gekommene prollige Freundespaar Horsti und Lothi schimpft auf Frauen und Reiche, während der Professor die Wut auf seinen mißratenen Sohn in sadomasochistischen Spielchen mit seiner Frau auslebt. Zum Dank pißt ihm Ina, die den notorischen Nörgler verlassen will, in den Wein. Schmeckt irgendwie streng – aber das macht den Hausherrn nur umso schärfer.
Humor und Herz beweist Henning Bocks Inszenierung. Ein paar Running Gags werden zwar arg strapaziert, doch meistens stimmt das Timing so wie beim originellen Zweikampf in Zeitlupe. Vor allem aber kann Bock auf facettenreiche Schauspieler und einen ideenreichen Ausstatter (Hans Winkler) bauen. Ein Genuß, Ulrich Cyran und Hannelore Droege beim ritualisierten Ehestreit zuzugucken – auch wenn quer über die fein gedeckte Tafel gespuckt und gebrüllt wird, daß die Brocken nur so fliegen. Auch Frank Meyer-Brockmann überzeugt in der Rolle des zotenschwingenden Prolos Lothi, der als Ladyshaver wiedergeboren werden will.
„Bis denn, wa!“ So verabschiedet sich Lothi schließlich von seinem Kumpel Horsti. Für immer. Denn kleine, feine Unterschiede gibt es doch zwischen den kleinen und den feinen Leuten. Was für die einen nur dekadenter Zeitvertreib, ist für die anderen blutiger Ernst. Und Denver liegt für Horst Paschke schließlich im Nirwana.
Karin Liebe
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