piwik no script img

„... wünsche ich Ihrem Gedenkfest den würdigsten Verlauf“

Vor 50 Jahren wurde in Hamburg das Ehrenmal für die Opfer des Faschismus eingeweiht: Schon damals spaltete die Bewältigung von Vergangenheit die politischen Lager  ■ Von Bernhard Röhl

In der Nähe des Haupteingangs des Ohlsdorfer Friedhofes ragt das 16 Meter hohe Mahnmal für die Opfer des Faschismus empor. Das heute vor 50 Jahren, am 8. Mai 1949, eingeweihte Ehrenmal steht gegenüber dem Neuen Krematorium auf einem halbkreisförmigen Platz. Der Hamburger Architekt Heinz Jürgen Ruscheweyh entwarf den Betonrahmen, der oben die Inschrift „1933-1945“ trägt. Auf der Vorderseite steht unten zu lesen: „Unrecht brachte uns den Tod. Lebende erkennt Euere Pflicht.“ Auf der Rückseite heißt es: „Gedenkt unserer Not, bedenkt unseren Tod, den Menschen sei Bruder der Mensch.“

Im Rahmen des Ehrenmals sind 105 Urnen eingehängt, gefüllt mit Erde und Aschenresten aus 26 Konzentrationslagern, deren Namen auf einer Platte vor dem Monument verzeichnet sind, eins davon ist Neuengamme. Weitere 29 Urnen sind vor dem Ehrenmal beigesetzt worden.

In seinem 1986 veröffentlichten Buch „Vaterstadt, Vaterland ... Denkmäler in Hamburg“ kritisiert der Hamburger Denkmalschützer Volker Plagemann das Urnenmonument: „Das Denkmal ist kein sprechendes Kunstwerk, sondern die Gedankenkonstruktion eines Architekten. Auch die Inschriften erwecken kaum eine Bewegung. Niemand versteht, daß Tausende von Hamburgern verschleppt und fern ihrer Heimat ermordet wurden, daß außerdem Tausende von Fremden im Hamburger KZ Neuengamme getötet und auf dem Friedhof begraben liegen, der Standort des Denkmals ist.“

 Das Ehrenmal für die Opfer des NS-Regimes hat eine Vorgeschichte, die am 24. Juli 1945 begann. An diesem Tag unterzeichneten frühere Mitglieder von SPD und KPD in Hamburg ein Aktionsprogramm, das 25 Punkte umfaßte. Darin forderten sie auch die „Errichtung einer Erinnerungsstätte inmitten der Stadt, die in ihrer Ausgestaltung dem Gedenken aller Opfer des Hitler-Systems gewidmet ist.“

Ein Jahr später beschloß der Hamburger Senat, für die Ermordeten des Naziregimes ein Denkmal zu errichten. Neben dem Revolutionsdenkmal für die Toten aus den Jahren 1918/19 sollte für die „Opfer des nationalsozialistischen Terrors .. .ein schlichtes Ehrenmal errichtet werden“, so hieß es in einem Entwurf vom 9. August 1946. Im offiziellen Text für die Ausschreibung fehlte der Hinweis auf die Toten.

Ein Wettbewerb für das geplante Monument lieferte keine künstlerisch überzeugenden Entwürfe, daher erhielt der Architekt Heinz Jürgen Ruschweyh den Auftrag, ein Ehrenmal zu entwerfen. Die Schriftsteller Stefan Andres, Manfred Hausmann, Hans Leip und Max Sidow schrieben für eine kleine Ausschreibung Texte für das Denkmal, die jedoch abgelehnt wurden. „Stattdessen wurde eine Kombination des Textes von Max Sidow mit den Vorstellungen der Jury beschlossen“, berichtet Volker Plagemann.

In seiner Dokumentation über die Denkmäler der Elbmetropole zitiert er auch die Kritik der jüdischen Gemeinde, die am 23. November 1948 bedauernd feststellte: „Wir hätten es jedoch begrüßt, wenn auf dem Erinnerungsmal deutlich zum Ausdruck gekommen wäre, daß es sich um das Gedenken für die Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung handelt.“

 Um die Einweihung des Denkmals entwickelte sich im Zeichen des Kalten Krieges ein peinliches Tauziehen. Am 6. Mai 1948 beschloß der SPD-Vorstand, eine Mitgliedschaft in der Partei sei mit der Zugehörigkeit zur Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) nicht vereinbar. Die KPD mißbrauche die Organisation, die aus den Komitees ehemaliger politischer Gefangener hervorgegangen war, für ihre politischen Zwecke.

Kurz darauf tagte in Hamburg die Delegiertenkonferenz der VVN für die britische Besatzungszone. Von den 167 Vertretern gehörten 70 der KPD und 50 der SPD an. Die SPD-Delegierten beugten sich der Parteidisziplin und lehnten die Kandidatur für Vorstandswahlen ab. Die bürgerlichen Parteien folgten damals nicht der Ausgrenzungsstrategie des SPD-Vorstandes, daher setzte sich der neue Zonenvorstand der VVN folgendermaßen zusammen: 10 Kommunisten, acht rassisch Verfolgte, vier Mitglieder der FDP, drei CDU-Mitglieder, jeweils zwei Vorstandsmitglieder gehörten dem Zentrum, der Grupe 20. Juli, den Parteilosen, der Kirche und den Bibelforschern an.

Am 15. Februar 1949 schlug die VVN vor, das Ehrenmal für die Opfer des Naziterrors mit dem für den 8. Mai geplanten Internationalen Befreiungstag zu koppeln. Aus diesem Anlaß sollten auch Delegationen aus Osteuropa und der sowjetischen Zone nach Hamburg kommen.

Weil der Senat nicht wollte, daß letztere an einem Staatsakt teilnähmen, verfügte er, die Einweihung solle am 3. Mai – dem vierten Jahrestag der Kapitulation – stattfinden. Am 22. März 1949 lehnte der Erste Bürgermeister Max Brauer (SPD) auch die Bitte der VVN ab, das Protektorat für das internationale Befreiungstreffen zu übernehmen. In einer Senatserklärung hieß es, man lehne es ab, „sich für kommunistische Zwecke mißbrauchen zu lassen, wie es leider bei vielen gutwilligen Mitgliedern der VVN der Fall ist ...“

Am 4. Mai debattierte die Hamburger Bürgerschaft über den Antrag des KPD-Abgeordneten Fiete Dettmann, das Parlaments möge das Protektorat über die Befreiungsfeier der VVN übernehmen und die antifaschistischen Widerstandskämpfer empfangen. „Wir wollen uns abgrenzen von den Kommunisten und nicht mit ihnen im gleichen Verein mit den antifaschistischen Widerstandskämpfern sitzen. Das Bürgertum ist waschlappig, wenn es nicht die Mitglieder der bürgerlichen Parteien aus der VVN herauszieht“, wetterte der SPD-Senator Paul Nevermann. Er sagte gleichzeitig, Bürgermeister Brauer werde „einige ihm genehme ausländische Delegierte individuell empfangen“.

Der FDP-Abgeordnete Willi Max Rademacher sprach von einer durch die Senatshaltung heraufbeschworene außenpolitische Gefahr. Es sei nun einmal eine Tatsache, daß die Kommunisten die meisten Widerstandskämpfer stellten: „Wir überlassen es dem freien Ermessen unserer Parteimitglieder, der überparteilichen VVN anzugehören.“ Der CDU-Abgeordete Prof. Fischer äußerte ebenfalls Bedenken gegen die engstirnige Haltung des Senats. Die SPD-Fraktion lehnte schließlich mit ihrer Mehrheit den Antrag der KPD ab.

 „Die Wahrheit braucht kein Visum!“ lautete am 9. Mai die Schlagzeile der Hamburger Volkszeitung. Darunter befanden sich die Zeilen „Einig wie in den KZ-Lagern – Kundgebung der 25.000 vor dem Ehrenmal“. Die Zeitung der KPD veröffentlichte über die gesamte Seite ein fünfspaltiges Foto von der eindrucksvollen Kundgebung der VVN vor dem Ehrenmal am Vortag. Im Bildtext hieß es dazu: „Zwei Einweihungsfeiern unterschiedlicher Prägung. Oben: Die Massen vor dem Ehrenmal am 8. Mai, unten: die dem Ruf des Senats am 3. Mai folgten.“

Bürgermeister Brauer hatte an jenem Tag vor etwa 3000 Teilnehmern der Arbeitsgemeinschaft ehemals verfolgter Sozialdemokraten, der durch die Nürnberger Gesetze Betroffenen und der jüdischen Gemeinde gesprochen.

Von den etwa 350 ausländischen Widerstandskämpfern, die zur Einweihung am 8. Mai nach Hamburg kommen wollten, konnten nur zwei Franzosen und ein Niederländer in die Hansestadt gelangen. Die britische Militärregierung verweigerte den anderen die Einreise. Auch sozialdemokratische Mitglieder der VVN kamen in die Hansestadt, so Generalanwalt Dr. Philipp Auerbach, der im Namen der bayerischen Staatsregierung sprach. Ein Vertreter der Militärregierung – die den ausländischen Teilnehmern die Teilnahme verweigerte – erschien ebenso auf dem Ohlsdorfer Friedhof wie der polnische Konsul.

Der Schriftsteller Thomas Mann war ebenfalls nach Hamburg eingeladen worden. Er schrieb in einem Brief: „Nicht immer sind die Lebensäußerungen, die mir aus Deutschland kommen, von diesem wahrhaft gewinnenden Geiste erfüllt und es ist wohl kein Zufall, daß ein solches Dokument aus Hamburg zu mir gelangt ...“ Weiter meinte der Dichter in seinem Schreiben aus Kalifornien: „Es ist mir nicht leicht, auf einen Brief wie den Ihren mit einer schlichten Absage zu antworten, aber Ihrer Einladung, zur Befreiungsfeier am 7. und 8. Mai dieses Jahres nach Hamburg zu kommen, kann ich beim besten Willen nicht folgen ... Ich bitte Sie um Nachsicht für meine persönlichen Bedingungen und wünsche in herzlicher Verehrung für alle, die in Deutschland gelitten habe, Ihrem Gedenkfest den schönsten und würdigsten Verlauf.“

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen