Albert Hefele: Herr Hefele kriegt zwei Minuten
■ Meschugge können sie doch nicht alle sein, diese Hooligans. Oder doch?
Die Hooligans von Lens. Man schaut sich die Bilder dieser jungen Männer an und sucht in den Gesichtern ein Zeichen, das alles erklärt. Etwas Krankes, etwas „Dem sieht man's doch schon von weitem an ...“ Man sieht aber nichts. Normale, sauber rasierte, nett gescheitelte Burschen. Nicht mal Glatzen.
Herr Rauch zum Beispiel. Er ist so eine Art Berufsrandalierer, hat es mit seinen 23 Jahren bereits zum C-Hooligan gebracht und gehört damit zu den Aggressivsten seiner Zunft.
Herr Rauch legt Wert auf gutes Aussehen, heißt es. Darum trägt er auch Anzug und Krawatte und eine dicke Uhr. Auf einem Foto, das zum Prozeßbeginn entstanden ist, blickt er gelassen über den Rand seiner Brille in die Kamera. Gelassen und sogar etwas ironisch. Fast glaubt man ein feines Schmunzeln zu ahnen, das sich gleich Bahn brechen wird. Ein alerter junger Herr. Es ist sicherlich etwas fahrlässig, einen Menschen aufgrund eines Fotos zu beurteilen. Eines ist aber offenkundig: Zu entschuldigen hat sich der für nichts, und schämen tut er sich schon gar nicht. Dabei hätte er nicht wenig Grund dazu. Es gibt nämlich noch andere Bilder von Herrn Rauch. Da ist er gerade dabei, dem schon bewußtlosen Polizisten Daniel Nivel mit der Kante eines Reklameschildes den Schädel einzuschlagen.
Wenn man die beiden Bilder des jungen Herrn Rauch sieht, muß man aufpassen, was es so in einem denkt. Obwohl ich mich für jemanden halte, der sich bemüht, Dinge und Menschen – so gut es eben geht – objektiv zu betrachten, bin ich auch meinen Prägungen und Assoziationen mehr oder weniger hilflos ausgeliefert. Und dann muß ich mich dabei ertappen, wie ich plötzlich sehr schnell sehr rabiate Urteile fälle. Wie im Fall der Hooligans von Lens. Das sind die, die diesen Polizisten, der aussieht wie Jacques Tati, aber für sehr lange Zeit nichts mehr zu lachen hat, zum Krüppel geschlagen haben. An einem Nachmittag im französischen Sommer, weil es keine Karten mehr gab oder zu teure Karten, dafür aber zuviel Bier. Vor allem aber, weil der Polizist Nivel gerade da war und nicht schnell genug wegrennen konnte, und überhaupt weil sonst keiner da war, mit dem man sich hätte prügeln können. Oberflächlich formuliert: Junge Männer schlagen einen anderen, auch noch nicht so alten Mann aus Langeweile tot. Nicht so ganz, aber viel hat nicht gefehlt.
Die Erklärungen sind wohlfeil und allzeit parat und alle aus der Kiste für den Kleinen Amateurpsychologen. Die Rede ist von „Adrenalinstoß“ und „Tunnelblick“ und „irgendwie ist man so mittendrin ... und kann nicht mehr aufhören“. Amateurpsychologie, wie gesagt. Wo mittendrin? Leute totschlagen, aus Langeweile?
Massenphänomen! Ich weiß schon, daß es anläßlich von Menschenaufläufen immer mal wieder zu kaum nachvollziehbarem Unfug kommt. Bei den Hools von Lens war kein Massenphänomen die Ursache für ihre Tat. Die meisten der an dem Gemetzel Beteiligten waren mit der präzisen Absicht, Ärger zu machen, nach Frankreich gereist. Koste es, was es wolle. So was gibt's und ist alles andere als neu. Ob in Lens oder letztens in Rotterdam, der Hooliganismus ist allgegenwärtig und offensichtlich nicht zu bremsen. Und nicht zu erklären. Wie soll man das auch erklären? Daß junge Menschen ihrer Freizeit Sinn und Inhalt geben, indem sie in fremde Länder fahren und sich die Zähne ausschlagen lassen bzw. anderen deren Zähne ausschlagen. Man bemüht sich trotzdem, das zu verstehen, ein Körnchen wenigstens.
Meschugge können sie doch nicht alle sein. Oder doch? Und man versucht, seine Gedanken im Zaum zu halten und nicht nur „saudumme, stumpfe Idioten“ zu denken. „Nicht das Papier wert, auf dem die prima Untersuchungen über das Phänomen, dem man sie zurechnet, publiziert werden.“ Man will nicht so denken; will nicht plötzlich in einem Boot mit Michael Schumacher sitzen, der die Hooligans letztes Jahr mit tollwütigen Hunden verglichen hat. Man will verstehen, was sie und damit uns dazu treibt, so zu sein, wie wir Menschentiere nun halt einmal sind. Aber es ist nicht einfach.
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