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Commandante Bundesbankchef

Der hessische Landeszentralbankvorsitzende Ernst Welteke soll offenbar Nachfolger des scheidenden Hans Tietmeyer werden  ■   Aus Frankfurt/Main Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt (taz) – Das sind hessische Karrieren: Vom Streetfighter zum deutschen Außenminister (Joschka Fischer), vom RAF-Advokaten zum hessischen Staatsminister der Justiz (Rupert von Plottnitz). Und jetzt auch noch „Commandante Ernesto“ Ernst Welteke: Koalitionskreisen zufolge soll der Sympathisant der sozialistischen Revolution in Nicaragua und Landeszentralbankchef in Hessen neuer Präsident der Bundesbank werden.

Das Bundespresseamt wollte gestern lediglich bestätigen, daß das Bundeskabinett bei seiner heutigen Sitzung „über die Nachfolge von Bundesbankpräsident Hans Tietmeyer entscheiden“ wird, dessen Amtszeit am 31. August endet. Am Mittwoch soll sich dann der Zentralbankrat mit dem Vorschlag befassen – laut Bundesbankgesetz muß er bei der Nominierung angehört werden.

Welteke war in seiner Zeit als sozialdemokratischer Fraktionsvorsitzender des hessischen Landtags Mitte der 80er Jahre aufgefallen, als er mit einer rot-grünen Regierungsdelegation in das befreite Nicaragua gefahren war und sich dabei mit einem „gewaltigen roten Halstuch“ geschmückt hatte, wie grüne Mitdelegierte übereinstimmend berichten. In den letzten acht Jahren trug er allerdings ohne Identitätsproblem eher dezente Krawatten: Vor seiner Zeit bei der Landeszentralbank zunächst als hessischer Minister für Wirtschaft, Verkehr und Technologie und später als Finanzminister im Kabinett des damaligen Ministerpräsidenten Hans Eichel. In Bankenkreisen heißt es, er habe sich „durch sein Engagement für den Finanzplatz Deutschland verdient gemacht“.

Daß die neue Bundesregierung aus SPD und Bündnisgrünen dem „schwarzen“ Tietmeyer einen „Roten“ wie Welteke nachfolgen lassen würde, stand schon kurz nach dem Wahlsieg fest. Denn mit der Einrichtung der Europäischen Zentralbank (EZB) hat die Position des Bundesbankpräsidenten im Zentralbankrat, der über die Geschicke der europäischen Geldpolitik entscheidet, an Gewicht gewonnen – er ist dort der einzige Vertreter der deutschen Notenbank. Die übrigen sieben Mitglieder des Bundesbankdirektoriums und die neun Präsidenten der Landeszentralbanken bleiben außen vor. Somit könnte der 56 Jahre alte „Commandante“ Welteke nach dem Kanzler demnächst der zweitmächtigste Mann in der Republik werden.

Welteke wäre der achte Präsident der Bundesbank seit Kriegsende und der erste Landeszentralbankchef, der direkt auf diesen Posten gekürt wird. Seine Vorgänger waren zuvor bereits Vizepräsidenten oder kamen aus dem Bundesfinanzministerium. Der gebürtige Korbacher und gelernte Landmaschinenmechaniker kam über den 2. Bildungsweg zu Abitur und Studium (Volkswirtschaft). 1971 wurde er Mitglied der SPD, saß im Kreistag des Hochtaunuskreises und im Stadtparlament von Oberursel und wurde schließlich persönlicher Mitarbeiter des hessischen Ministerpräsidenten Holger Börner. Ab 1974 gehörte Welteke dem Landtag an, den Fraktionsvorsitz übernahm er 1984.

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