: Unbekannt: Der schwangere Mann
■ Es gibt ihn: den schwangeren Mann. Wie funktioniert seine Geburtsvorbereitung? Muß er Hecheln lernen? Pro Familia organisiert jetzt Vorbereitungsgruppen für Paare mit ausdrücklichem Angebot für werdende Väter
Der große Augenblick rückt näher. Die Erstgebärende ist pflichtschuldigst dauerglücklich, man tut ja sein bestes. Mann auch. Mann ist hilfsbereit, verantwortungsbewußt, sensibel. Mann faßt kugelrunde Frau nicht mehr an, weil sie keine Lust hat. Mann kauft Wollsocken und wackelt hinter praller Frau her zur Geburtsvorbereitung. Mann lernt komische Hechelatmung und alles über das psychische Erleben der Werdemutter. Mann ist selbstverständlich während der Geburt dabei, mit der gebotenen Zurückhaltung. Stets bereit, hier zu drücken und da zu halten. Mann bejubelt Frau und Baby. Mann belästigt Frau im Wochenbett nicht mit – ähemm – sexuellen Bedürfnissen, und später auch nicht. Mann wickelt stattdessen. Nach fünf Jahren trifft man Mann mit Frau bei Pro Familia wieder – „Beratung bei Partner- und Sexualproblemen“. Beziehungsweise in den Armen einer anderen. Tja.
„Der schwangere Mann ist immer noch weitestgehend unbekannt,“ sagt Thomas Jürgens. Jürgens organisiert ein für Pro Familia neues Angebot an werdende Eltern: „Geburtsvorbereitung für Paare“, acht Abende à zwei Stunden, mit allem, was herkömmliche Kurse auch bieten, plus dem speziellen Blick auf den Mann. Entspannen, Atmen, Medizinisches, Gymnastisches, Geburtsverlauf, Vorbereitung auf die Zeit mit Kind und eben „Gesprächsrunden für Männer“. Als hätten die irgendwas zu melden bei der Geburt.
Die haben was zu melden. Denn ebensowenig wie für die Frau die schönste Zeit ihres Lebens anbrechen muß, wenn erstmals der braune Ring im Teströhrchen zu sehen ist, muß der Übergang vom Mann zum Vater den Schritt ins Paradies bedeuten. Oft geschieht das krisenhaft, noch öfter unausgesprochen. Ethnologen kennen Völker, da legen sich die Männer ins Wochenbett und wimmern. Auch Thomas Jürgens kennt Männer, die nach der Geburt krank wurden. Psychosomatisch, versteht sich.
Früher stand bei der Geburtsvorbereitung „natürlich“ die Frau im Mittelpunkt. In einigen Hebammenpraxen hat man das Problem schon länger erkannt und bietet spezielle Zeiten und Räumlichkeiten für den werdenden Vater an. Bei Pro Familia ist ab sofort neben der Hebamme Monika Haas auch ein Beratungsmann dabei. Reinhard Dietrich ist ein Sozialpädagoge, der sich mit Familienkrisen auskennt, sexualpädagogische Elternarbeit macht und unter anderem eine „Überlebensgruppe für Eltern pubertierender Kinder“ leitet. So einer kriegt die Spätfolgen mit, wenn der Wurm schon von vornherein in der neuen Familie steckt.
Früher, ein zwei Generationen zurück, waren die Verhältnisse klar: Frau gebar (ganz früher im Kreis von Frauen), Mann drückte sich in einem Wartezimmer rum oder betrank sich zusammen mit Geschlechtsgenossen in einer Kneipe. Vielleicht keine schöne, aber auch eine Gebärkultur. Heute traut sich kaum ein Kerl mehr, die ganze Geburt fies zu finden und sich zu verpissen. Neue Tabus umlagern das Ereignis. Für männliche Angst vor Geburt und Vaterschaft gibt es keinen Platz mehr. Der Neue Mann ist Supervater vom Start weg.
Dabei hat Mann was zu verlieren. Zum Beispiel die alte Beziehung. Wenig bleibt wie früher, wenn man statt zu zweit zu dritt ist. Wenn man plötzlich ein ernstzunehmendes Rivalchen unterm Dach hat. Das neuerdings den Busen gepachtet hat, und die liebevollen Blicke. Das der offensichtliche Grund dafür ist, daß Mama immer dann ihre Ruhe haben will, wenn Papa angekrochen kommt: Essig mit Sex, monate-, manchmal jahrelang. Nebenbei geht es bei der Geburt auch um Potenz, und die Psychoanalyse lehrt uns, daß es keinen größeren Phallus gibt als das frisch schlüpfende Baby.
Bei Pro Familia können die männlichen Ängste und Verluste zu Wort kommen. Müssen nicht, aber dürfen. Jede Gruppe wird anders sein, verschieden „dynamisch“. In einer Gruppe werden Männer untereinander die erotischen Aspekte eines prallen Weibes diskutieren können. In der anderen die Vorzüge und Nachteile der ambulanten Geburt (man wickelt das Neugeborene in Alufolie und verläßt das Krankenhaus so schnell wie möglich). Vielleicht geht es auch mehr um das Nachher: Parkt Papa Baby die ersten vier Jahre bei Mama, weil er mit ihm nix anfangen kann? Oder mischt er mit? Wie wäre es mit Erziehungsurlaub statt Extrarackern, weil Nachwuchs da ist ? Nur mal so als Idee. Und ist es nicht beziehungsmäßig von Vorteil, gegen die objektiven Interessen des Kindes zu verstoßen, einen Babysitter anzurufen und zu zweit ins Kino zu gehen?
Mit dem neuen Angebot begibt sich Pro Familia auf einen gutbesetzten Markt. Geburtsvorbereitung ist traditionell das Geschäft von Hebammenpraxen und Krankenhäusern. Auf diesem Markt wollen die Bremer Berater sich profilieren, indem sie ihre in zahllosen Paar- und Elternschaftsberatungen gewonnene Kompetenz herausstreichen. Hecheln, Pressen und Schreien findet ja leider nicht nur im Kreißsaal statt. BuS
Der erste Kurs von Pro Familia beginnt am 8. Juni und läuft bis zum 20. Juli 1999. Kosten 240 DM, davon werden mindestens 140 DM von den Kassen erstattet. Info: 0421/3406030
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