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Die auf ihre Kosten kommen

Die amerikanische Moderne – ein Architekturthriller. In den Hauptrollen: Ayn Rand, Walter Gropius, Louis H. Sullivan, Frank Lloyd Wright, Gary Cooper, Josef von Sternberg, Richard Neutra und Richard Meier. Über King Vidors Film „The Fountainhead“  ■   Von Heinz Emigholz

Imaginäre Gärten  mit realen Kröten   (Marianne Moore)

Filme sind imaginäre Architekturen in der Zeit und haben für sich, daß ihre Existenz auf Speichermedien nicht raumgreifend ist. Noch ein Plus: Ihre Präsenz in den Gehirnen der Konsumenten läßt sich schlecht auf einen Nenner bringen. Raffiniert passiv wie schweigende Gräber, in die etwas versenkt wird, sitzen wir im Kino und reimen uns die Welt zusammen. Die Folgen werden abgespeichert und vergessen. Jedenfalls verschandeln sie nur kurzfristig die Aussicht.

Bei Häusern ist das anders. Wenn man auf dem Weg zur öffentlichen Toilette im Will Rodgers State Park den Sunset Boulevard von Los Angeles hinunterfährt, erlebt man an der Kreuzung zum San Diego Freeway einen seltsamen Anblick. Auf einem platt gemachten Ausläufer der Santa-Monica-Berge erheben sich feinziselierte Gebäude aus hellem Tuffstein – das neue, von Richard Meier & Partners designte Getty Center. So klar zeichnen sich aus der Entfernung Details ab, daß man geneigt ist, an ein Trugbild zu glauben – verbaute Treppenhäuser, Irrgärten aus monströs balustrierten Gängen und isolierte Bäume, die ein Stück Natur aufführen müssen. Die Kunst hängt derweil – ein Exemplar pro Epoche, nicht das beste, bestimmt aber das teuerste – verloren an den Innenwänden riesiger Schlote: Kunst im Kamin. Als Zentralfriedhof seiner Exponate bildet das Ensemble für den Architekten eine ausführliche Bewerbung zum Produktionsdesigner eines zukünftigen James-Bond-Filmes. Ein klarer Fall von medialer Verwirrung.

Abgerissene Villen, beendete Affären

1971: Jenseits der damals noch von Meier verschonten Berge wird im San Fernando Valley die 1935 von Richard Neutra für Josef von Sternberg erbaute Villa wieder abgerissen. Ein Jahr nach Neutras Tod und zwei Jahre nach dem von Sternberg, das Ende einer Affäre. Die Animositäten zwischen den beiden Anfang der neunziger Jahre in Wien Geborenen sind Legende. Der Streit hat gewiß auch mit ihrer unterschiedlichen Besetzung medialer Räume zu tun. Neutra, zehn Jahre nach Sternberg 1923 auf Kosten Rudolph Schindlers in Amerika gelandet, bettelte schon im Folgejahr mit der Namensgebung seines ersten Sohnes Frank Lloyd um Familienanschluß an die amerikanische Moderne. Sternberg etablierte sich zu der Zeit gerade als Regisseur in Hollywood und definierte danach aktiv die Parameter des Films. Wer ist amerikanischer, kalifornischer, imaginärer?

Neutra, der am Anfang seiner Karriere stand, als Sternberg ihn beauftragte, „meine Ideen umzusetzen, was ein Haus zu sein hat“, erzählte später, Sternbergs einzige Bedingung sei die Bausumme gewesen: Sie durfte die Höhe einer Wochengage des Regisseurs nicht überschreiten. Zu diesem Spruch von ihm zur Rede gestellt, antwortete Neutra: „Meinen Sie nicht, daß er Sie interessant macht?“ Imagepflege ist Programm in Hollywood. Daran möchte der Architekt gern aktiv teilnehmen.

Das Haus aus Glas und Stahl hatte, aus der Luft gesehen, die Form eines Flugzeugträgers und wurde auf Übungsflügen zu einem beliebten Zielpunkt für Piloten der Marine. Der Grund für Sternberg, es wieder zu verlassen, war noch ein anderer: „It reflected me too much“, auf deutsch gesagt: „Es hat meine Intimsphäre verletzt.“ „Später verscherbelte ich Haus und Grundstück zu einem Preis, den ich allein schon für den Bau des Tennisplatzes bezahlt hatte.“

Gekauft hat es Ayn Rand. Sternberg über sie und Neutra, ohne die Namen zu nennen und so den Zutritt zum Index der Autobiographie verwehrend: „Es bleibt zu erwähnen, daß in den meisten Büchern über seine Arbeit dieses Haus seinen Angaben zufolge nicht für mich, sondern für seine jetzige Besitzerin gebaut worden ist, heute bekannt als die Autorin von The Fountainhead. Obwohl die so geadelte Autorin zur Zeit des Hausbaus gerade mal Angestellte in der Kostümabteilung eines Hollywood-Studios war.“

Ayn Rand hatte allerdings, bis sie sich ihren Traum vom Leben in einem modernen Haus erfüllen konnte, einen Aufstieg hinter sich, der sie zum wandelnden Mahnmal für Überkompensation werden ließ. Von der Revolution angeekelt, verließ sie 1925 als Zwanzigjährige die Sowjetunion und begann ein Jahr später in Hollywood als Extra zu arbeiten. Zuerst redigiert sie Filmskripts, dann schreibt sie welche, danach großangelegte Ideologieromane zu Ehren eines rigorosen Individualismus nach dem Motto Gib mir die Freiheit, oder gib mir den Tod. Einer von ihnen, The Fountainhead, wird 1943 zum Bestseller. Ihre Privatphilosophie des Kapitalismus, lange Zeit amerikanische Standardliteratur in Millionenauflage, nennt sie Objektivismus. Alan Greenspan, jetzt noch in den USA verantwortlich für Zinssätze und Geldpolitik, war einer ihrer größten Fans.

Man fragt sich, wie Ayn Rand zu ihrer publizistischen Macht kommen konnte. Weil Amerika seine Exzentriker liebt? Weil es seine ideologische Frontarbeit – wie auch im Falle der Gropius-Breuer-Gruppe an der Graduate School of Design in Harvard – gern von sozial übermotivierten Immigranten ausführen läßt? Es erfüllt sich damit das Klischee der Zugänglichkeit, nutzt den Impetus der Einwanderer, ihre Motivation, Unbedingtheit und Konsequenz für die eigenen Zwecke und bleibt im Kern ungerührt. Walter Gropius 1928 nach einer Reise durch die USA: „Es gibt noch gar keine wahre amerikanische Architektur.“ Er mußte erst kommen.

Das Drehbuch zu dem Architekturthesenthriller The Fountainhead, King Vidors Film von 1949, schreibt Ayn Rand selbst, Gary Cooper ist als Star gebucht. Subtext ist der von Walter Gropius in Harvard entfachte Kulturkampf um ein neues Bauen in den USA. Daß dessen amerikanische Ursprünge nur am Rande eine Rolle spielen, ist ein Fall für sich. Hier geht es schlicht und ergreifend um die korrekte Gestaltung des höchsten Gebäudes der Welt. An den Wolken zu kratzen wäre zuwenig, deren Penetration ist angesagt. Darunter macht es Ayn Rand nicht. Der Film gilt seit seiner Erstaufführung als durchgeknallt. Die New York Times am 9. Juli 1949: „The Fountainhead ist ein Film, den Sie nicht zu sehen brauchen, um ihm nicht zu glauben.“

Als experimentelles Meisterwerk des kommerziellen Films, zu seiner Zeit ein Flop und heute in Vidors und Coopers Filmographien so gut wie gelöscht, erzählt der Film die Kehrseite einer Mythenbildung. Was als demokratisches Bauen antrat, endet in verbiesterter Egomanie. Das verdrängte Psychologische erhebt prompt sein Haupt. Zwei soziale Aufsteiger aus Hell's Kitchen und eine bürgerliche Journalistin bilden ein Dreieck aus unbändigem Stolz, sadistischer Machtausübung und reiner Kunst. Häuser werden als Denkmäler einer verschrobenen Liebesunfähigkeit errichtet und fristen eine Existenz als Autograph des Architekten. Der Fountainhead, die Quelle, ist Howard Roark (Gary Cooper), ein Architekt, der den Ursprung der Avantgarde von der Erfindung des Feuers ableitet und klare Gestaltungslinien gegenüber Ornamenten zur Not auch mit Gewalt durchsetzen will. Den zweifelhaften Sex-Appeal seiner Tätigkeit spiegelt der damalige deutsche Verleihtitel: Ein Mann wie Dynamit.

Roark macht Karriere mit absurden Varianten von Louis-Sullivan-, Frank-Lloyd-Wright- und Louis-Kahn-Gebäuden. Der wahre Frank Lloyd Wright hatte sich nach einer nicht akzeptierten Millionen-Dollar-Forderung für Originalentwürfe zum Film aus dem Projekt zurückgezogen, sein Geist aber sollte weiterhin darin wehen.

Bankgebäude oder Kodak-Kamera?

Gary Cooper, das Urbild des schweigenden Amerikaners, als ignorant palavernder Bauhaus-Ideologe ist eine so sensationelle Fehlbesetzung, daß allein schon sie den Besuch des Films lohnt. Cooper selbst jedenfalls kannte den vom Bauhaus verdrängten Ursprung der Moderne aus eigener Anschauung. Als Student der Landwirtschaft ist er in Grinnell, Iowa, täglich an dem 1914 von Louis H. Sullivan errichteten Gebäude der Merchants National Bank vorbeigekommen, einem Backsteinkubus mit einer ornamental verzierten kreisförmigen Blendenöffnung in der Frontseite. Insgesamt ein übergroßes Modell einer Kodak-Boxkamera. Der Film erweist Sullivan zu Beginn kurz seine Reverenz. Als Sterbender wird er in einer Ambulanz in rasender Fahrt durch Chicago gefahren, darf seinen Satz Form follows function aufsagen und dem an seiner Seite sitzenden Howard Roark einen Aufenthalt in der Hölle prophezeien, falls er bei seiner Kompromißlosigkeit bleibe.

Den Schritt aus einem falsch verstandenen Funktionalismus heraus hatte Sullivan schon lange vollzogen, mindestens zwanzig Jahre bevor die Gropius-Breuer-Gruppe sein aus dem Zusammenhang gerissenes Zitat „Form follows function“ zu ihrem Dukatenkacker-Credo machen konnte. Publiziert erscheint dieser immer wieder zitierte Slogan zuerst 1896 in Sullivans Essay The Tall Office Building Artistically Considered: „Es ist das universelle Gesetz der organischen wie anorganischen Welt, aller physischen wie metaphysischen Dinge, aller menschlichen wie über die Menschen hinausreichenden Eigenschaften, aller wahren Manifestationen des Kopfes, des Herzens und der Seele, daß das Leben in seinem Ausdruck erkennbar ist, daß die Form immer der Funktion folgt.“

Die Art, wie die Gropius-Gruppe diese Formel besetzte, ist nur vulgär zu nennen. Reinheit der Zweckform ist der größte Kalauer der Moderne, ein Catch 22. Schönheit ist Funktion oder Funktion gleich Schönheit – ein großes Mißverständnis. Eben nicht die Reduktion der Form auf die Illustration der Funktion ist für Sullivan zentral, sondern eine gleichberechtigte Durchwachsenheit beider Elemente, ein gegenseitiges Erkennen, die Tatsache eines gedoppelten Codes.

Gleich nach seinem größten kommerziellen Erfolg, Duel in the Sun von 1947, hatte King Vidor so etwas wie eine Carte blanche für die Verfilmung von The Fountainhead. Er hat sie bis zur Neige gegenüber dem, was kulturell de rigueur war, ausgekostet. Er ließ alle Subtexte unkontrolliert überkochen und ergötzte sich an dem unglaublich kurz gedachten Brei, den die Klarheitsideale der gestalterischen Moderne evozierten. Gezeichnet wird ein neurotischer Kreis von Avantgardisten, der aus muffiger Konsequenzlogik heraus anfängt Bomben zu legen.

An diesem Film stimmt nichts. In der Analytikerausbildung würde man sagen, die Supervision hat gefehlt. Gerade deshalb lieben wir ihn. Dank Vidors praktischer Intelligenz werden uns aber die Art seines Nichtfunktionierens und die begrenzte Logik der in ihm wütenden Ideen vorgeführt. Seine Auftragsarbeit wird zum leidenschaftslos subversiven Spiegel einer in intellektueller Abstrusität versinkenden Moderne, der das Referenzsystem abhanden gekommen ist. Manche Anstrengungen seines Teams wirken im Zusammenhang mit Vidors Erkenntnisinteresse kontraproduktiv. Max Steiner überzog das Produkt mit der zähen Melange einer interpretatorischen Filmmusik, lückenlos und voll daneben. Für Robert Burks, später Hitchcocks Chef-Kameramann, sind die Dreharbeiten eine Spielwiese zur Erprobung seines filmfotografischen Stils.

Die Avantgarde in Eins-zu-eins-Dialogen

Als Erzählprofi wird Vidor in diesem Film zum Sadisten. Die Aporien der Avantgarde, in bemühte Eins-zu-eins-Dialoge umgesetzt, erzeugen nur noch Gelächter. Alle Darsteller sagen, wie die sprechenden Häuser in Comics, ohne Umschweife und voller Hysterie, wer sie sind und was sie denken. Doch es kommt nirgendwo an. Zum Schluß steht Roark mit flatternder Hose, gegen den Wind fest verzurrt und mit einem Gesicht, das vor Beherrschung zu bersten droht, auf dem Dach seines monströsen Turmes und blickt dem Heraufgleiten seiner Gattin im Außenfahrstuhl entgegen. Dominique, die nach allerlei Umwegen – Sadomasochismus und gescheiterte Vernunftheirat – den Titel Frau Roark erobern konnte, wirft spöttisch enthusiasmiert die Haare zurück, als das Empire State Building unter ihr im Dunst der Stadt verschwindet. Idealismus hat immer noch den Größten. Ein Rührstück der Moderne, als gnadenloser Geisteskitsch ganz kalt serviert.

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