: Der Blumenthaler Turm zu Babel
■ Am Pfingstsonntag demonstrierten 88 Neonazis und mehrere hundert Gegendemonstranten im nördlichsten Stadtteil Bremens / Nach eineinhalb Stunden war der rechte Spuk vorbei
Pastor Harm Ridder feuert die Kinder an, auf daß sie den Turm noch höher bauen. „Und noch ein Bauklotz“, sagt er schwungvoll zu ihnen, „und noch einer“. Es ist Pfingstsonnntag, 10.30 Uhr im Gemeindehaus der evangelisch-reformierten Kirchengemeinde in Bremen-Blumenthal. Während sich wenige hundert Meter entfernt die ersten Neonazis für ihren Pfingstmarsch durch den Stadtteil in Bremen-Nord sammeln, feiern 70 Menschen Gottesdienst.
Die Kinder bauen weiter, bis geschieht, was geschehen muß: Der Bauklotz-Turm zu Babel bricht mit lautem Getöse zusammen. Die Gottesdienstler lachen. Pastor Ridder hebt an zu seiner Predigt. „Wenn Leute immer höher hinaus wollen, geht das schief“, sagt er, und: „So ist das, wenn ein Volk glaubt, besser zu sein als die anderen: Das bringt Mord und Elend mit sich“, und: „Das geht bis nach Blumenthal. Wir dürfen uns nicht einschüchtern lassen.“
Ein halbe Stunde später auf dem Parkplatz des nahen Burgwallstadions: Die Neonazis marschieren los. 88 Demonstranten, darunter vielleicht zehn Frauen, sind gekommen; nicht die angekündigten 300. Viele prominente Gesichter aus der norddeutschen Neonazi-Szene sind dennoch zu sehen: Christian Worch, Markus Prievenau, Thorsten de Vries, Helmut Walter, Jörg Wrieden und andere.
Ein einsamer Gegendemonstrant hat sich direkt neben die Kahlköpfe gestellt, die in Zweierreihen vorbeidefilieren, und hält wortlos einen Zettel hoch. „Pig Heil“ ist da für die Neonazis zu lesen, die mit bösen Blicken antworten. Der etwa 50jährige ist aus „Wut, Solidarität und Enttäuschung“ hier. Aus Wut, daß diese Demonstration von der Polizei geschützt werden muß. Aus Solidarität mit den Leuten, „die vor diesen Schreihälsen Angst haben“. Und aus Enttäuschung über die Gegendemonstration, die sich seit 9 Uhr auf dem Schillerplatz auf der anderen Seite des Ortes gesammelt hat: „Das ist nur ein Happening für rein linke Gruppen, und andere demokratische Gruppen lassen sich dort nicht blicken.“ Davon wollte er kein Teil sein. Deshalb steht er jetzt hier, alleine.
Auch Pastor Ridder war morgens auf dem Schillerplatz gewesen und hatte zu den Gegendemonstranten gesprochen, deren Zahl im Lauf des Vormittags laut Polizeiangaben auf 500 bis 600 anwuchs. Rechtes Gedankengut ist für ihn ein „dämonischer Geist, gegen den man sich mit anderen Mitteln als der Diskussion wehren“ müsse. Die Menge klatscht: Sowas von einem Pastor! Doch die Angst in Blumenthal, so Ridder weiter, sei heute dominiert von dem Gedanken, daß die Linken etwas kaputtschlagen könnten. „Es ist zu hoffen, daß sich diese Angst nicht bestätigt“, appelliert Ridder an die Menge, deren Sympathiebekundungen für den friedensbewegten Pastor auf einmal abnehmen. Die Telefonnummer des Ermittlungsausschusses wird bekannt gegeben. Ein „Delegierten-Treffen“ aus Vertretern der einzelnen autonomen Gruppen findet statt. Warten.
Die Neonazis erreichen im Schnellauf den kleinen Marktplatz. Auf dem Weg dahin hatten sie gebrüllt, was die Kehle hergab: „Kein Deutsches Blut für Kosovo-Albaner“; „Wehrmachtsoldaten-Heldentaten“ und „Hoch die nationale Soli-dari-tät.“ Der Stadtkern ist von den mehr als 2.000 Polizisten weiträumig abgesperrt, um die beiden Demonstrationszüge auseinanderzuhalten. Einige Geschäfte am Platz sind mit Holzvorbauten verrammelt worden. Die Nazis nehmen U-förmig Aufstellung um den Lausprecherwagen. Die Propaganda-Show beginnt.
Thorsten de Vries hat einen Tonfall, der an andere Zeiten erinnert. Mit dem Mikrophon zu nah am Mund, verschwimmen die geschrieenen Worte. Von der „grundlosen“ Erstürmung der NPD-Demonstrationszentrale am 1. Mai redet er, und von „Kaffern aus der dritten Welt“. Sein Kamerad Worch greift die zahlreich erschienene Presse an, die „heute so gleichgeschaltet ist, wie Dr. Göbbels es sich nur hätte wünschen können“ und läßt es sich nicht nehmen, seine Ausführungen mit einem Ulrike Meinhof-Zitat zu enden: „Wir können die Herrschenden nicht dazu zwingen, die Wahrheit zu sagen, aber wir können sie dazu zwingen, immer drastischer zu lügen“. Vereinzelt wagen die wenigen Anwohner, die es zu der Kundgebung gezogen hat, dazwischen zu rufen: „Nazis raus“.„Aufhören“. Aber sie sind zu wenige und werden vom Lautsprecher übertönt. Gespenstisch nah stehen Passanten und Neonazis beieinander, nur lose getrennt von einigen Polizisten.
Die Polizei fordert die NPDler auf, die Veranstaltung zu beenden und so zu ihren Autos zurückzugehen, wie sie gekommen sind. Eine Ungerechtigkeit, finden die Rechten. Genehmigt war eine andere Strecke, doch jetzt machen die Gegendemonstranten Druck. Sie drängen in die Richtung des Marktplatzes. Vorerst hat die Polizei den Zug der Gegendemonstranten mit quergestellten Autos aufgehalten. Unter Protest und mit Parolen setzen sich die Rechten wieder in Bewegung, in Richtung Burgwallstadion. Wenige Minuten später ist der Marktplatz fast menschenleer.
Nur noch vereinzelt stehen Passanten da und diskutieren. Zum Beispiel mit dem alten Mann, der sagt, Kaiser Wilhelm habe den 1. Weltkrieg zu verhindern getrachtet. Oder mit dem rotbäckigen 17jährigen Blumenthaler in Bomberjacke und Stoppelhaaren. Rechts sei er, das ja – aber wie die NPD hier auftritt, das sei ihm zu arg, da würde er nicht mitmachen.
Einige hundert Meter weiter in der Mühlenstraße, hinter der Polizeiabsperrung, wird die Stimmung agressiv. „Bullen schützen Nazischweine“ ruft die Menge und ruckelt nach vorne. Die Polizei erhält Nachricht, daß der Autokorso der NPDler die Stadt verlassen hat. Der Weg wird freigemacht.
Bis zum Endpunkt vor dem Blumenthaler Bahnhof spielen die Demonstranten Katz und Maus mit der Polizei, rennen immer wieder gutgelaunt los, die Polizei hinterher. Wenige Minuten später, auf dem Platz vor dem Bahnhof, erklärt eine Sprecherin die Versammlung für beendet und zieht letzte Bilanz: „Wir waren viele, aber nicht genug. Laßt uns ihnen immer wieder entschlossen entgegentreten.“ Für nächsten Samstag hat die NPD eine Demonstration durch das Bremer Stadtzentrum angemeldet.
Christoph Dowe
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen