: Kriegsrat der Ratlosen
Die Nato wollte Milosevic nur drohen und weiß nun nicht weiter. Bodentruppen oder Verhandlungen? Eine Bilanz von zwei Monaten Krieg ■ Von Thomas Schmid
Der 24. März 1999 wird in die Geschichte eingehen. Die Nato griff zum ersten Mal einen souveränen Staat an. Von deutschem Boden stiegen Bomber auf. Doch die Premiere löste weder Stürme des Protests noch Kriegsbegeisterung aus. Bei den einen überwog Skepsis, bei den anderen Hoffnung, aber die Emotionen hielten sich in Schranken.
Zwei Monate nach dem historischen Datum sieht die Bilanz düster aus: An die 800.000 Kosovo-Albaner wurden außer Landes getrieben, die Infrastruktur Serbiens ist weitgehend zerstört, Miloevic sitzt immer noch im Sattel, und in Belgrad zeichnet sich keine Machtalternative ab.
War die Intervention also ein Fehler? In Bosnien kamen Nato-Bomber erst zum Einsatz, als über zwei Millionen Menschen aus ihren angestammten Orten vertrieben, rund 200.000 Menschen getötet und vor den Augen der UN-Blauhelme Tausende Männer ausgesondert und zur Hinrichtung abgeführt worden waren.
Im Kosovo waren nach einem Jahr Krieg erst rund 2.000 Menschen gestorben. Hätte der Westen ohne absehbares Ergebnis weiter verhandeln sollen, während der Potentat von Belgrad die Präsenz der Sondereinheiten der Polizei und der Armee dem von ihm unterschriebenen Agreement vom Oktober 1998 zum Trotz täglich erhöhte? Hätte er warten sollen, bis Soldaten, Polizisten und Paramilitärs vollendete Tatsachen geschaffen haben würden?
Die Vertreibung war nicht nur längst geplant, sondern sie war bereits im Gange, als die ersten Bomben fielen. In den ersten drei Märzwochen mußten in der Drenica, dem zentralen Hochland des Kosovo, und dem Grenzgebiet zu Makedonien Zehntausende Haus und Hof verlassen. Nachzulesen in der Tagespresse. Trotzdem: Der Angriff der Nato hat die Vertreibung zweifellos extrem beschleunigt.
Die westliche Staatengemeinschaft hätte früher intervenieren sollen, sie hätte das Kosovo nicht auf dem Altar von Dayton opfern dürfen, sie hätte in Bosnien nicht tatenlos zusehen dürfen, wie Landstrich für Landstrich „ethnisch gesäubert“ wurde, sie hätte die verfassungswidrige Aufhebung der Autonomie des Kosovo durch Miloevic nicht kommentarlos hinnehmen dürfen. Hätte, hätte, hätte. An Kassandrarufen fehlte es nicht. Die Politiker suchten oft genug den bequemsten Weg, bis die Probleme so groß wurden, daß sie Entscheidungen erzwangen.
Die Repression, die Menschenrechtsverletzungen, die alltägliche Demütigung der Albaner im Kosovo waren acht Jahre lang kein Thema der internationalen Politik. Sie wurden es erst, als sich Albaner bewaffnet zu wehren begannen. All das muß man den verantwortlichen Politikern vorhalten. In der von ihnen mit verantworteten Zwangslage war die Entscheidung zur Intervention dennoch richtig.
Im nachhinein ist man immer klüger. Am 24. März war es eine offene Frage, ob Miloevic unter dem Druck der Bomben in wenigen Tagen oder Wochen einknikken würde. Nun, er ist es nicht und hat statt dessen in wenigen Tagen und Wochen die Hälfte der Bevölkerung aus dem Kosovo getrieben. Mit beidem hat der Westen offenbar nicht gerechnet. In der vagen Hoffnung auf einen schnellen Erfolg scheint er keine Handlungsalternativen zu Luftangriffen in Betracht bezogen zu haben, und so wird nun einfach weitergebombt.
In der Gesellschaft, die die Intervention anfänglich weithin unterstützt hat, macht sich nun in dem Maße Unmut breit, wie die eigene Hoffnung auf eine Lösung des Konflikts schwindet. Zudem verblassen die Bilder vom Flüchtlingsdrama der ersten Wochen vor den nun täglich eintreffenden Bildern der Zerstörung, die die Bomben in Serbien anrichten. Die im Kosovo umherirrenden Menschen, die Aussonderung der Männer, die Exekutionen, die zerstörten Dörfer und Städte im Kosovo – über all das gibt es keine Bilder.
Nach zwei Monaten Bombardements wächst so im Westen der Druck, sich wieder an den Verhandlungstisch zu setzen. In der vergangenen Woche bot quasi täglich ein neuer Vermittler seine Dienste an – zuletzt sogar der kroatische Präsident Franjo Tudjman, der, was schon lange im Gespräch ist, nun offen vorschlug: eine Teilung des Kosovo.
In der Substanz würde dies nichts anderes bedeuten, als die vollzogene Vertreibung der Albaner aus einem Teil hinzunehmen und die Vertreibung der Serben aus dem andern Teil zu fördern. Es wäre die politische und moralische Kapitulation des Westens. Verhandlungen machen allerdings nur einen Sinn, wenn der Westen zu Zugeständnissen an Miloevic und zu einer Verwässerung seiner eigenen Forderungen bereit ist. Gerade dies aber wäre fatal, weil es die Position Miloevic' stärken und eine Demokratisierung Jugoslawiens erschweren würde.
Als Alternative zu Verhandlungen bleibt nur, weiterhin auf die Kapitulation Miloevic' zu setzen. Dies ist politisch klug und einem Kriegsverbrecher gegenüber auch moralisch geboten. Eine offene Niederlage wäre wohl auch eine Voraussetzung für einen wirklichen Neuanfang in Serbien unter demokratischen Vorzeichen.
Setzt der Westen aber auf einen militärischen Sieg, kommt er um den Einsatz von Bodentruppen wohl nicht herum. Die Zeit drängt, wenn den Flüchtlingen die Rückkehr noch vor dem Winter ermöglicht werden soll. Daß zudem den im Kosovo verbliebenen Albanern aus der Luft nicht geholfen werden kann, haben die vergangenen Wochen bewiesen. Ein Einsatz am Boden würde auch zu weniger „Kollateralschäden“ führen. Allerdings ginge er mit einem größeren Risiko für die eigenen Soldaten einher. In Demokratien wird das Leben generell höher bewertet als in Diktaturen. Auch das Leben der eigenen Soldaten. Das ist gut so. Doch wird der Westen, wenn es ihm damit ernst ist, Vertreibung, Krieg und Destabilisierung in Europa ein Ende zu setzen, den Tod auch in den eigenen Reihen riskieren müssen.
Hätte, hätte, hätte. An Kassandrarufen fehlte es nicht. Die Politiker suchten oft genug den bequemsten Weg
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