: Die heilige Einheit ist zum Teufel
Der Papst will die deutschen Bischöfe auf den Ausstieg aus der Konfliktberatung von Schwangeren verpflichten. Die Oberhirten sind zerstritten. Hinter der Fassade der frommen Einigkeit tobt der Kampf um die richtige Linie – und um die Macht ■ Von Bernhard Pötter
Der Titel war Programm: „Ut unum sint“ (Damit sie einig sind) überschrieb Papst Johannes Paul II. 1995 eine Enzyklika zur Einheit aller Christen. Auch sonst gilt dem polnischen Papst die Einheit der Kirche als höchstes Gut – selbst wenn die römischen Oberhirten diese Einheit gegenüber ihren Schäfchen teilweise mit harter Hand durchsetzen. Das ist auch das Ziel des jüngsten Papstschreibens an die deutschen Bischöfe. Der Brief, der den Bistümern offensichtlich keinen anderen Ausweg läßt als den Ausstieg aus der Schwangerschaftskonfliktberatung, bewirkt allerdings das Gegenteil: Er zeigt, wie groß die Differenzen in der katholischen Kirche inzwischen geworden sind. In Wahrheit nämlich ist die Einheit längst zum Teufel.
Denn rund um das Veto des Vatikans entwickeln sich für katholische Gemüter schier undenkbare Diskussionen: Vom möglichen offenen Widerstand der Bischöfe ist die Rede, von Rücktritten einiger Oberhirten, vom Ignorieren päpstlicher Anordnungen, von einer Beratung, die nicht von der offiziellen Kirche verantwortet wird. Sicher ist nur eines: Die Risse in der katholischen Kirche werden größer. Die Kluft zwischen Rom und der deutschen Kirche, zwischen den einzelnen deutschen Bischöfen und schließlich zwischen den Oberhirten und dem Kirchenvolk wird immer größer.
Die Einheit der deutschen Bischofskonferenz war bereits bei ihrer Februar-Vollversammlung in Lingen zerfallen. Auf dem Programm stand der „Beratungs- und Hilfsplan“, der einerseits die Bedenken des Vatikans gegen die deutsche Regelung und andererseits das Interesse der Bischöfe an der Fortführung der bisherigen Praxis zusammenbrachte. Statt wie bis dahin einmütig verabschiedeten die Oberhirten das Kompromißpapier nur mit einer Mehrheit von etwa 80 Prozent – für Demokraten eine stabile Mehrheit, für die einstimmigkeitsverwöhnten Bischöfe ein Desaster. Auf der Sitzung Anfang nächster Woche in Würzburg, wo der Brief des Papstes diskutiert wird, steht das Gremium vor einer weiteren Zerreißprobe: „Ich schätze, daß es zu vielen verschiedenen Lösungen kommen wird, in jedem Bistum anders“, meint etwa der Sprecher eines Bistums. „Das wäre katastrophal, und die Bischöfe wissen das“, meint dagegen ein Fachjournalist.
Wieviel Divisionen hat der Papst? Die Auguren zählen die Bischöfe nach ihren Einstellungen zur Schwangerenkonfliktberatung ab. Die Oberhirten aus Trier, Mainz, Limburg, Hildesheim, München und Berlin gelten alsVertreter eines Verbleibs in der Konfliktberatung. Münsters Bischof Reinhard Lettmann hat verkündet, sein Bistum werde „weiter beraten, gleich in welcher Form“ – das aber bedeutet alles und nichts. Als deutliche Gegner der Konfliktberatung und aussteigswillig gelten neben dem Fuldaer Bischof Dyba die Oberhirten von Köln, Paderborn, Bamberg, Eichstätt und Speyer. Sollten die Oberhirten in Würzburg entscheiden, aus der Beratung auszusteigen, müßten sie ihren Gläubigen eine Wende um 180 Grad klarmachen. Schließlich hatten sie sich erst im Februar dieses Jahres für die Beratung stark gemacht.
Doch Probleme mit der Basis bekommen die Bischöfe ohnehin. In ungewohnt scharfer Form hat sich das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) „betroffen und enttäuscht“ gezeigt, die „Dialogverweigerung ist unerträglich“. Der emiritierte Tübinger Theologieprofessor Norbert Greinacher kann sich einen Aufstand der Bischöfe gegen Rom nicht vorstellen. Ohnehin gebe es bereits jetzt eine „horizontale Kirchentrennung“. Immer mehr Gemeinden feierten trotz des Verbots aus Rom gemeinsames Abendmahl mit evangelischen Christen oder ließen ungestraft Nichtpriester predigen. Es sei ein „hoffnungsvolles Zeichen, daß sich die Leute vor Ort einen Dreck um das scheren, was aus Rom kommt“, meinte Greinacher.
Diese Signale sind alles andere als eindeutig. Gestern erklärte Vatikan-Sprecher Joaquin Navarro-Vals, eine „endültige Entscheidung“ sei noch nicht gefallen. Grund für das Hin und Her, so bestätigen Insider, ist das Machtvakuum im Vatikan eines kranken Papstes. „Der Heilige Vater ist nicht mehr verhandlungsfähig“, heißt es. Lange haben die Deutschen heimlich darauf gesetzt, daß der nächste Papst mehr Verständnis und vor allem andere Berater haben werde. Doch Johannes Paul II. ist zäh, und so streitet der Präfekt der Glaubenskongregation, der konservative Kardinal Ratzinger, mit dem liberaleren „Außenminister“ des Vatikans, Angelo Sodano, um die Meinungsführerschaft und das Ohr des Papstes. Dabei scheint Ratzinger immer mehr die Oberhand zu gewinnen. Die Forderung nach einem Ausstieg jedenfalls trägt deutlich seine Handschrift.
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