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Der homosexuelle Mann ...    ■ Von Elmar Kraushaar

... feiert gerne. Und ist im Moment mitten in der Hauptsaison. Der „Grand Prix Eurovision“ ist gerade vorbei, schon wird geheiratet. Babs Windsor ließ sich unter ihrem bürgerlichen Namen Prinz Edward mit einer veritablen Frau vermählen. Die homosexuelle Gemeinde verfolgte am Fernsehschirm, wie wieder mal einer der Ihren abhanden kam an eine Sandprinzessin, kein wirkliches Königskind, aber eine clevere Frau, die der Öffentlichkeit Sand in die Augen streuen soll, um die wahren Verhältnisse zu verschleiern.

Zeitgleich mit der royal wedding – purer Zufall – feiern Berlins Lesben und Schwule ihr Straßenfest, „das größte seiner Art in Europa“: Wo es keinen Vergleich gibt, sind die Superlative schnell gebastelt. Da wird im Schutz der Masse die Nähe zur heterosexuellen Mehrheit geprobt, und die läßt sich nicht lumpen und macht sich gern mal für drei Halbe gemein mit all diesen fröhlichen Menschen.

Das ganz große Fest aber ist der CSD. Getreu dem universellen Bedürfnis der Schwulen, in Pumps und mit Federboa über öffentliche Straßen und Plätze zu laufen, erstrecken sich die CSD-Paraden über einen ganzen Monat. An jedem Wochenende ist eine andere Metropole dran. Der Wettbewerb untereinander ist hart: Köln will besser sein als Berlin, Berlin ist eigentlich unschlagbar, Hamburg zockelt unverdrossen hinterher, und die richtige Emphase läßt sich nur noch in der Provinz verspüren. Der Party-Maniac kommt rum derzeit, um – höherer Sinn allen homosexuellen Lebens – überall das gleiche zu finden. Dieselben Outfits und Muskeln, dieselben Hits und Gigs, dieselben Gesichter der Zuschauer am Straßenrand und dieselben Sonntagsreden der Politprofis vorneweg. Einer, der seit vier Jahren dabei ist als Go-go-Boy auf diversen Prunkwagen des CSD-Zirkus, beschäftigt sich das ganze Jahr damit: Der Körper wird ständig umgebaut und nachgebessert, und allein die Suche nach dem richtigen Fetzen Stoff für die Scham zwischen den Beinen dauert Wochen: „Ich nehme mir immer Urlaub für die Paraden“, sagt er und überlegt dabei die passende Haarfarbe für diese Saison.

Warum die ganze Anstrengung? Der Party-Streß und die Paraden-Strapazen? Getrieben von den ganz großen Fragen: Wie sehe ich aus? Wie komme ich an? Vor geraumer Zeit kursierte noch die Theorie, der homosexuelle Mann mache aus jedem Wochenende ein einziges Fest, um den Druck zu ventilieren, der sich aufstaut nach einer langen Woche voller Pression und Verstecken. Dabei stellte man sich immer Männer vor, die mit aufgestelltem Mantelkragen ins Büro schlichen und nur auf der Toilette ihre Fingernägel polierten, am Samstag abend aber im „Chez nous“ oder sonst irgendeinem „Chez“ die Pumps auspackten, die Perücke aufsteckten und mit Bettina Storm um die Wette sangen: „Er hat mich geliebt!“

Niemand kennt heute noch Bettina Storm, die Herrenlokale heißen jetzt „Stahlrohr“, „Triebwerk“ oder „Ficken 3000“, und Perücke und Pumps gehören ganz offen in jeden gut sortierten Kleiderschrank ebenso wie Cockring, Jockstrap und Handschellen. Alles ist möglich. Keiner muß mehr Angst haben auf dem Weg in sein Stammlokal, und dennoch wird weiter gefeiert. So als sei es zum letzten Mal. So als sei immer noch der Leibhaftige hinter einem her.

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