piwik no script img

Auf ewig ungelernt

Tarifkonflikt im Einzelhandel verschärft sich. Gestern Streiks bei Woolworth  ■ Kai von Appen

„Alle Mitarbeiterinnen, die heute arbeiten sollten, sind draußen.“ Die Verkäuferin von Woolworth am Niendorfer Tibarg ist stolz. Gemeinsam mit ihren 20 Kolleginnen steht sie vor dem Kaufhaus und verteilt fleißig Flugblätter der Gewerkschaft Handel, Banken und Versichungen (HBV) an die Kunden. „Bitte kaufen Sie hier nicht ein!“ Gestern morgen nahmen HBV und die Deutsche Angestellten Gewerkschaft (DAG) ihre Streiks im Hamburger Einzelhandel wieder auf. 60 Mitarbeiterinnen in den Woolworth-Filialen Osdorf, Eidelstedt und Niendorf legten die Arbeit nieder.

In Niendorf bedienen an diesem Mittwoch nur die Filialleiterin, ihre Stellvertreterin und eine Aufsicht die Handvoll Kunden. „Die Resonanz ist gut“, freut sich eine Streikende. „Wir haben viele abgewimmelt“, wirft eine Kollegin ein. In der Tat: Viele Kunden sehen nach kurzen Gesprächen vom Einkauf ab: „Das man sowas machen muß, ist schlimm“, schimpft eine potentielle Kundin, eine ältere Dame wünscht den Streikenden „viel Erfolg“.

Die Urabstimmung der Woolworth-Verkäuferinnen ist vorige Woche gelaufen. „Es waren alle dafür“, so eine Streikende. Schon vor einem Jahr hatte es bei Woolworth im Tarifpoker einen Urnengang gegeben. Damals war es wegen des überraschend gelungenen Tarifabschlusses nicht zum Streik gekommen. Jetzt freuen sich alle, daß sie in den Arbeitskampf einbezogen worden sind. „Dieser Tag ist perfekt!“, freut sich eine Verkäuferin. Denn alle wissen worum es geht: „Wir haben gerade vor drei Jahren vorm Arbeitsgericht die Gehaltsgruppe drei durchgesetzt“, erinnert sich eine Kassiererin: „Jetzt geht es wieder ums Eingemachte.“

Bei Woolworth-Osdorf läuft der Streik hingegen nicht so reibungslos. Die Polizei drohte mit einer Räumung, nachdem das Born-Center-Management sich auf sein Hausrecht berief. Es kommt aber nicht zum Polizeieinsatz, da die Streikposten ohnehin abziehen wollten. Polizeisprecher Wolfgang Ketels bestreitet später eine Räumungsdrohung: „Die Beamten vor Ort haben nur geprüft, ob ein Arbeitskampf oder eine privatrechtliche Störung vorliegt.“

Tatsächlich geht es für 70.000 Hamburger VerkäuferInnen in dieser Tarifrunde um viel. Die Forderung von sechs Prozent mehr Lohn konterten die Einzelhändler mit dem Ansinnen, die Lohnstruktur zu verändern. Die Gehaltsgruppe III der Kassierinnen solle gestrichen werden. Wechselt eine ungelernte Verkäuferin (2.500 Mark brutto) bislang nach fünf Berufsjahren automatisch in die Gehaltsgruppe gelernter Mitarbeiterinnen (3.500 Mark brutto), solle sie künftig für immer und ewig als Ungelernte eingestuft bleiben. „Ein Horrokatalog“, findet HBV-Sprecher Jörg Reinbrecht: „Jeder wäre doch verrückt, der dann noch eine gelernte Verkäuferin einstellen würde.“

Die Streiks werden auf andere Kaufhäuser ausgedehnt; eine neue Gesprächsrunde der Tarifpartner soll am 5. Juli stattfinden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen