: Morast und Stacheldraht zum Trotz
Seit 1807 marschiert der protestantische Oranier-Orden durch die Garvaghy Road, schon immer mit Schmährufen gegen die dortigen Katholiken. Doch seit fünf Jahren versperren britische Barrikaden den Weg ■ Aus Portadown Ralf Sotscheck
Die Gegend sieht aus wie ein Schlachtfeld im ersten Weltkrieg, und sie gedenken ja auch der nordirischen Soldaten, die in der Schlacht an der Somme gefallen sind. Der protestantische Oranier-Orden, benannt nach Wilhelm von Oranien, der vor mehr als 300 Jahren die protestantische Thronfolge in Britannien sicherte, hat gestern seine jährliche Parade zur Himmelfahrtskirche in Drumcree bei Portadown abgehalten. Doch der Rückweg in die Innenstadt, der über die katholische Garvaghy Road führt, ist den 2.000 Marschteilnehmern versperrt.
Die Armee hat das Pfarrland neben der Kirche beschlagnahmt. Sie hat einen drei Meter breiten Graben gezogen und den Fluß gestaut, damit das Wasser in den Graben fließt. Dahinter hat man einen Wall aufgeschüttet, das Feld ist mit vier Reihen Stacheldraht gesichert, am Rand steht ein Feldlazarett. Die Straße, die von der Kirche zur Garvaghy Road führt, ist mit einer sechs Meter hohen Stahlwand verbarrikadiert. Seit mittags, nach dem Gottesdienst, marschieren die Oranier das kurze Stück von der Kirche zur Barrikade und wieder zurück. Die Menge ist inzwischen auf 5.000 angewachsen.
Polizeichef Ronnie Flanagan warnte, daß Geheimdienstberichte auf sorgfältig geplante Ausschreitungen hindeuten. Am Samstag fand die Polizei ein Arsenal von Rauchbomben und Signalraketen, die in einer Hecke versteckt waren. David Jones, der Sprecher der Oranier von Portadown sagte: „Flanagan gibt uns die Schuld an allem, was in den vergangenen zwölf Monaten in Nordirland passiert ist.“ Der Orden hat für diesen Monat mehr als tausend Paraden beantragt, allein in Portadown wollen sie in den nächsten vier Wochen hundert Mal marschieren.
Es ist das fünfte Jahr in Folge, daß es in Portadown zu Auseinandersetzungen kommt. 1995 hatten David Trimble und der Pfarrer Ian Paisley die Parade angeführt. Sie war verboten worden, aber die Oranier hatten sich einen Bagger besorgt, um die Barrikaden aus dem Weg zu räumen. In letzter Minute machte Trimble einen Deal mit den Anwohnern der Garvaghy Road, die Oranier durften schweigend, ohne Musik, durch das katholische Viertel laufen. Kaum waren sie am Ende der Straße angekommen, da brachen sie in Triumphgeheul und Freudentänze aus. Das hat man auf der Garvaghy Road nicht vergessen.
Für Trimble lohnte sich der Einsatz, zwei Monate später wählte ihn die Unionistische Partei zum Vorsitzenden. Doch bei den Oraniern ist er nicht mehr wohlgelitten, sie machen ihn für das Verbot der Parade, das im vorigen Jahr zum ersten Mal durchgesetzt wurde, mitverantwortlich, weil er bei den Verhandlungen nicht genügend Härte gezeigt habe.
Die Parade findet seit 1807 statt. Damals war die Garvaghy Road freilich nur eine Wiese, katholische Anwohner gab es nicht. Doch schon 1835 kam es zu ersten Zwischenfällen. Hugh Donnelly, ein Katholik, kam bei Konfrontationen mit den Oraniern ums Leben. Im Untersuchungsbericht der Ereignisse vermerkte der damalige protestantische Magistrat William Hancock: „Seit geraumer Zeit werden die friedlichen Bewohner der Gemeinde Drumcree durch größere Gruppen von Oraniern beleidigt, die auf den Straßen paradieren und laute Lieder spielen, Schüsse abfeuern und die schmähendsten Ausdrücke benutzen, die ihnen einfallen.“
Viel hat sich seitdem nicht geändert, selbst Schüsse sind im vorigen Jahr gefallen. Ein Polizist wurde durch eine Granate getötet. Die Polizisten, fast ausschließlich Protestanten, stehen zwischen den Fronten. Sie müssen den Marsch ihrer Glaubensbrüder verhindern und machen sich damit zu Angriffszielen. Viele haben sich maskiert, damit sie von ihren Nachbarn nicht erkannt werden.
Wenn alles friedlich bleibt, hofft David Jones, könnte die Parade doch noch stattfinden, vielleicht schon am kommenden Montag. An diesem Tag feiern die Oranier ihren Namensgeber Wilhelm von Oranien. Der Orden hat deshalb seine Hauptparade nach Portadown verlegt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen