piwik no script img

In Serbien steht ein Sturm bevor

Der Unmut im Land wächst. Es gibt keinen Wahltermin, aber schon Wahlkampf. Die Opposition ist zerstritten  ■   Aus Belgrad Andrej Ivanji

Es ist das schöne Sommerwetter, das das Leben in Belgrad angenehm erscheinen läßt. Man kann den Sommerurlaub statt am Meer an der Save und der Donau verbringen, statt sich in überfüllten Bussen zerquetschen zu lassen. Man kann einfach im Freien hokken, radfahren oder in einem Café ganz langsam ein Bier schlürfen. Für mehr als eins reicht bei den meisten Belgradern das Geld nicht. Stromausfälle sind ziemlich selten, heizen muß man ja jetzt nicht, und Leitungswasser gibt es sogar auch genug. Immer noch. Doch man wird den Eindruck nicht los, daß dieser trügerischen sommerlichen Ruhe ein Sturm bevorsteht.

Immer öfter findet man in Belgrad geheimnisvolle Flugblätter mit dem Foto des jugoslawischen Präsidenten Slobodan Miloševic, und einem einzigen Wort: „Rücktritt!“ Der „Bund demokratischer Parteien“ in der Wojwodina sammelt offen Unterschriften für Miloševic' Rücktritt, den auch die serbische orthodoxe Kirche gefordert hat.

Vuk Obradovic, Ex-General und Vorsitzender der sozialdemokratischen Partei, erklärte: „Miloševic ist ein einzigartiger Präsident: Wegen der Anklage für Kriegsverbrechen darf er sich weder in Europa zeigen lassen, noch kann er sich frei auf dem Territorium seines eigenen Staates, dem Kosovo, bewegen.“ Wenn das Regime keine vorzeitigen Wahlen ausschreibt, drohte Obradovic, würde die Opposition parallele Parlamentswahlen organisieren, ein alternatives politisches System aufbauen, wie es die Kosovo-Albaner Anfang der Neunziger gemacht haben.

Irgend etwas wird in Serbien geschehen müssen. Von der Front zurückgekehrte Soldaten verlangen die Auszahlung ihres Solds. Pensionisten haben erst die zweite Hälfte der Renten vom Februar erhalten, das Durchschnittseinkommen in Serbien liegt weit unter dem Existenzminimum. Serbische Flüchtlinge aus dem Kosovo sind erbittert. Es gibt unzählige Arbeitslose. Unabhängige Medien berichten über die katastrophalen Folgen des Kriegs. Die Unzufriedenheit wächst.

Doch es gibt keine Kraft, die den Unmut artikulieren könnte. Die serbische Opposition ist wie eh und je verzankt. Im Bundes- und Landesparlament setzten die regierenden Parteien durch, daß einige Kriegsvorschriften einfach in Gesetze umgewandelt werden, die das zentralisierte Machtsystem stützen sollen.

„In Serbien ist halbwegs der Zustand einer Militärdiktatur geschaffen worden“, sagte Lojos Bala, Vorsitzender des Bundes der Ungarn in der Wojwodina. Denn die Kontrolle über das Heer habe nicht etwa das Parlament, sondern einzig und allein der jugoslawische Verteidigungsminister, der Miloševic' Befehlen folge.

Und wieder einmal drängt sich der monarchistische Wirrkopf Vuk Draškovic nach seinem Fiasko als jugoslawischer Vizepremier als einzig aussichtsreicher Oppositionsführer auf. Wie in einer Wahlkampagne zieht er durch Serbien, wirbt für sich und gegen Miloševic. In der Provinz spricht er über den Exodus der Serben aus dem Kosovo als Folge einer katastrophalen Politik des Regimes. Im Gegensatz zu den unzähligen kleinen Oppositionsparteien verfügt Draškovic' „Serbische Erneuerungsbewegung“ über die nötige Infrastruktur, um dem Regime gefährlich zu werden. Sie kontrolliert auch den Belgrader Fernsehsender „Studio B“.

Auch der „Bund für Veränderungen“ und der „Bund demokratischer Parteien“, die etwa dreißig kleinere Parteien vereinigen, organisieren Massenkundgebungen in Serbien unter dem Motto: „Miloševic muß zurücktreten!“ So versammelten sich vergangene Woche in der Provinzstadt Cacak und am Samstag in der Hauptstadt der Wojwodina, Novi Sad, jeweils etwa 15.000 Menschen, um ihre Unzufriedenheit gegen das Regime auszudrücken. Beide Oppositionsblöcke wollen mit Massenkundgebungen nicht eher aufhören, bis das Regime fällt. Für Dienstag hat bereits der „Bund für Veränderungen“ zu einer Kundgebung in der Stadt Uzice eingeladen.

Als Gegenaktion versprachen die regierenden Miloševic-Sozialisten den raschen Wiederaufbau der zerstörten Brücken, Fabriken und Wohnhäuser. In Serbien findet ein Wettrennen um die Gunst der Wähler statt, zwischen dem Regime, das seit einem Jahrzehnt einen Krieg nach dem anderen verliert, und der unterdrückten Opposition, die bisher den Ausweg aus internen Streitereien nicht finden konnte.

Charakteristisch ist, daß der Präsident Serbiens, Milan Milutinovic, in der südserbischen Stadt Kursumlija von der versammelten Menge ausgepfiffen worden ist, als er rief, kein Opfer für den Kosovo sei zu teuer gewesen. Milutinovic schrie zurück: „Ihr könnt pfeifen, so lange ihr wollt!“, versuchte seine Rede fortzusetzen, mußte aber schon nach wenigen Minuten aufgeben.

Analytiker sind sich einig: Wenn sich die serbische Opposition nicht vereinigt, droht Serbien die Gefahr, in einem unkontrollierten, anarchistischen Aufstand unterzugehen. Der Sommer wird heiß werden, der Herbst vielleicht noch heißer. Wann es Wahlen geben wird, weiß niemand, aber der Wahlkampf in Serbien hat begonnen.

Der Präsident rief: Kein Opfer für den Kosovo war zu teuer. Er wurde ausgepfiffen, bis er seine Rede abbrechen mußte.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen