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Der Regierungslehrling

■  Die 100-Tage-Bilanz der Regierung Koch in Hessen ist desaströs. Gegen Innenminister Bouffier (CDU) läuft ein Ermittlungsverfahren

Wiesbaden (taz) – 100 Tage Roland Koch in Wiesbaden – und der erste Lack an der neuen schwarz-gelben Landesregierung ist schon ab. Gegen Innenminister Volker Bouffier (CDU), der sich im Wahlkampf als Law-and-order-Mann profilierte, läuft seit drei Monaten ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Parteienverrat sowie auf Erschleichung von Prozeßkostenhilfe für eine wohlhabende Mandantin.

Der 47 Jahre alte Rechtsanwalt soll in einem Scheidungsverfahren vor zwei Jahren zunächst den Ehemann beraten und dann später vor Gericht dessen Frau vertreten haben. Desweiteren soll Bouffier für die nicht unvermögende Frau Prozeßkostenhilfe beantragt haben, die im Regelfall nur sozial schwachen Menschen zusteht.

Die Opposition im Landtag beantragte deshalb eine Aktuelle Stunde; Bouffier schwieg sich aus. Ausgewählten Journalisten teilte er dagegen mit, beide Prozeßparteien seien mit seiner Vorgehensweise „einverstanden gewesen“. Zur Prüfung des Antrags auf Prozeßkostenhilfe seiner Mandantin sei er im übrigen „nicht verpflichtet“ gewesen.

Die Opposition sah sich brüskiert. Die Grünen sprachen von einer „Mißachtung der Volksvertretung“. Der rechtspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Jürgen Walter, sagte, Bouffier müsse sich an seinem eigenen Anspruch, im öffentlichen Raum selbst bei kleinsten Vergehen gegen alle „Regelverletzer“ (Bouffier) konsequent mit allen polizeilichen und juristischen Mitteln vorgehen zu wollen, messen lassen. Es sei aber ganz im Gegenteil der Eindruck entstanden, „daß der Minister Bouffier jetzt versucht, nonchalant unter seiner eigenen Meßlatte durchzukriechen“.

„Statt die Wahrheit zu hören, sahen wir nur versteinerte Gesichter auf der Regierungsbank“, so der ParlamentarischeGeschäftsführer der Grünen-Fraktion, Frank Kaufmann. „Versteinert“ war in der Tat auch das Gesicht von Ministerpräsident Roland Koch (CDU). Volker Bouffier war seine Entdeckung. Fest steht überdies: Koch wußte bereits vor Bouffiers Vereidigung zum Innenminister von dem Verdacht auf Parteienverrat gegen seinen Parteifreund. Zur Affäre Bouffier schweigt der 40jährige Koch bislang.

Kochs großes Vorbild ist der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber. Wie dieser sträubte sich auch Koch lange gegen die Aufnahme von Flüchtlingen aus dem Kosovo. Wie die Christsozialen in Bayern forcieren auch Koch und sein Wirtschaftsminister Posch von der FDP den Ausbau von Autobahnen und Umgehungsstraßen, zum Nachteil des öffentlichen Personennahverkehrs. Und nach dem erklärten Willen von Koch wird das hessische Schulsystem nach bayerischem Vorbild konsequent konservativ „reformiert“. Es gibt wieder Noten in der Grundschule, der Deutschunterricht für Ausländerkinder wird verringert.

Mit seinem Schulgesetz hat Koch allerdings zunächst eine Bauchlandung erlebt. Weil zwei Abgeordnete von CDU und FDP fehlten, stimmten SPD und Grüne das Gesetz vom Tisch – bis zur dringlichen Wiedereinbringung durch die Landesregierung noch am selben Abend. Koch hatte sich beim Durchzählen seiner „Schäfchen“ schlicht verrechnet. Die Regierungsmehrheit (plus zwei Stimmen) ist eben nur hauchdünn.

Unter Koch trat Hessen der neuen Süddeutschen Reaktorsicherheitskommission bei, die von den Ministerpräsidenten von Bayern und Baden-Württemberg als Gegengewicht zu der jetzt auch mit kritischen Wissenschaftlern besetzten Kommission des Bundes gegründet wurde. Ein überflüssiges Gremium, das nichts zu entscheiden hat, denn Bundesrecht bricht Landesrecht, das aber zusätzlich Geld kostet, nämlich rund eine Million Mark im Jahr.

Zudem schaffte der Minister für Landwirtschaft und Energie, Wilhelm Dietzel (CDU), der Betreibergesellschaft des AKW Biblis gleich nach dem Amtsantritt in vorauseilendem Gehorsam ein gravierendes Problem vom Hals. Der Bau einer verbunkerten Notstandswarte, aus der heraus die uralten Blöcke A und B im Ernstfall abgeschaltet werden könnten, sei durchaus verzichtbar, erklärte Dietzel. Alles zu teuer für RWE und die Bauzeit dafür „zu lange“.

Der Landwirt auf dem Ministersessel düpierte damit vor allem seinen Kabinettskollegen Karlheinz Weimar (CDU), den amtierenden Finanzminister. Als Umweltminister der ersten konservativ-liberalen Landesregierung in Hessen (1987-91) hatte Weimar auf dem Bau eben dieser Notstandswarte bestanden; nach einem von RWE zunächst vertuschten Beinahe-GAU in Biblis im Jahr 1988.

Im Kreuzfeuer der Kritik stand dann wieder der Innen- und Polizeiminister. Im Innenausschuß mußte Bouffier erklären, wie es zu den gewalttätigen Ausschreitungen von Hooligans bei einem Fußballspiel zwischen Offenbach und Waldhof Mannheim am Himmelfahrtstag kommen konnte. Der SPD-Abgeordnete Karwecki warf Bouffier zudem vor, schon Anfang Mai bei einem Treffen von Neonazis in Lich die Lage dort „völlig falsch eingeschätzt" zu haben. In der Bierstadt konnten sich 400 Glatz- und Hohlköpfe – von der Polizei unbelästigt – in einer Gaststätte zu einer „Geburtstagsfeier" versammeln. Bouffiers Polizei kam nicht.

Bouffier, der vermeintlich starke Mann im Kabinett Koch, ist zur Belastung für die neue Landesregierung geworden. Ende Juni blockte die CDU im Landtag noch einmal hochnotpeinliche Fragen der Opposition ab, bei denen es um eine „mutmaßliche Falschaussage“ von Bouffier vor dem Rechtsausschuß ging. Sollte die Staatsanwaltschaft demnächst tatsächlich Anklage wegen Parteienverrat und Prozeßkostenhilfeerschleichung für eine Mandantin gegen Bouffier erheben, dürfte der „Marshall“ (SPD) politisch nicht mehr zu halten sein. Das weiß Koch. Der abgelöste Innenminister Gerhard Bökel (SPD) glaubt zu wissen, daß Bouffier „noch in der Sommerpause“ das Handtuch werfen werde. Bouffier dementierte umgehend.

Doch sein letzter Versuch, den Spieß umzudrehen und die Opferrolle zu besetzen, scheiterte kläglich. Eingebrochen worden sei in seiner Kanzlei in Gießen und in eine Dependance in Thüringen. Und – mutmaßlich – die Mafia habe ihm eine tote Katze, verziert mit rosa Schleifen, vor die Tür gelegt, ließ er mitteilen. Die Polizei stellte rasch klar: Die Katze war auf der Straße vor Bouffiers Haus überfahren und vor die Haustür geschleudert worden; Schleifchen habe es keine gegeben. Die Einbrüche stünden in keinem Zusammenhang mit der anwaltlichen oder politischen Tätigkeit Bouffiers.

Und Roland Koch? Der Ministerpräsident legte vor der Sommerpause einen Nachtragshaushalt vor, mit dem er sich – nach Auffassung der SPD – „als Schuldenbaron profiliert“ habe. Um die im Wahlkampf versprochene „Unterrichtsgarantie“ durch die Einstellung von mehr Lehrern finanzieren zu können, machen Koch und sein Finanzminister Weimar Schulden und verkaufen zügig das „Tafelsilber“. Etwa die Beteiligung des Landes an der prosperierenden Messe in Frankfurt. Oder den kompletten Bestand an landeseigenen Wohnungen. „Koch ist immer noch ein Regierungslehrling“, frotzeln die Grünen. Klaus-Peter Klingelschmitt

Bouffier versucht die Opferrolle zu spielen: Die Mafia habe ihm eine tote Katze vors Haus gelegt. – Es war nur ein Unfall.

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