Bücher für Randgruppen: Der Fisch, der die Welt eroberte
■ Mark Kurlansky hat eine Kulturgeschichte des Kabeljaus geschrieben, die auch mit seltenen Rezepten nicht geizt
„Getrockneter Kabeljau schmeckt wie Zehennägel, gekochter dagegen wie die Hornhaut unter der Fußsohle.“ W. H. Auden in „Letters from Iceland“
Schlaff tuckert das Fischerboot durch die Gewässer Neufundlands. In Petty Harbour, einem kleinen Nest an der Westküste, sinnieren arbeitslose Fischer über das Verschwinden des Kabeljaus. Die sogenannte Nordrasse, die ehedem in Neufundland und Labrador massenhaft gefangen wurde, scheint erstaunlicherweise wie vom Seeboden verschluckt: Ein hübscher, ja attraktiver Fisch mit bernsteinfarbenen Leopardenflecken auf dem olivgrünen Rükken. Weitaus hübscher jedenfalls als die Islandrasse mit ihrem fahlen Gelb auf Schlabberbraun.
Das Meer ist leergefischt mit Grundschleppnetzen, nicht mal die Lodde hat es überlebt. Gelegentlich fängt ein Fischer dann doch noch ein meist junges Kabeljauchen und bringt, bevor die Rarität ins Meer zurück entlassen wird, mit einem Tacker eine Nummer an der Rückenflosse an.
Der amerikanische Journalist Mark Kurlansky hat ein flottes Buch geschrieben: die Kulturgeschichte des Kabeljaus. Das Verbreitungsgebiet dieses anspruchslosen Fisches entspricht nicht zufällig genau den Reiserouten der Wikinger im Nordatlantik, die über Norwegen, Island, Grönland bis nach Neufundland in Kanada segelten. Auch die Reiselust der Basken wird mit diesem Fisch erklärt. Sie entdeckten sehr früh ferne Fanggründe, die einst zu den ergiebigsten zählten, nämlich die vor der Küste Neufundlands. Da die Basken über reichlich Salz verfügten, konnten sie den Kabeljau besonders haltbar und wohlschmeckend einpökeln. Die Skandinavier dagegen trockneten ihn salzlos an der frischen Luft.
Unterbrochen wird die kurzweilige Lektüre immer wieder von ausgesuchten Rezepten aus Mittelalter und Neuzeit. Schick: der Kabeljau im Beet von Sauerampfersaft mit gemahlenem Ingwer und Mandeln. Die Isländer liebten es einfach und verzehrten in Molke gekochtes Kabeljausperma – die Japaner tun das noch heute.
Von diesem Fisch ist praktisch alles verwertet worden: Sogar ein heute recht seltenes, einzigartiges isländisches Gericht aus eingeweichten, aufgelösten Kabeljaugräten in Sauermilch findet sich in der Lektüre und die Abbildung eines unsachgemäß aufgeschlitzten Fisches mit komplettem Verzeichnis der geschlitzten Fehlleistungen.
Weil der Kabeljau einst so überreich das Meer füllte, wurden auch die Sklaven in Amerika mit der billigen, proteinhaltigen Nahrung gespeist. In den Boomtowns des Mittelmeeres und des Atlantiks, in Bilbao, Porto, in Genua, Neapel und Barcelona gab und gibt es auch noch heute die eifrigsten bacalao-Verbraucher.
Die Fruchtbarkeit des Allesfressers erschien unbeschreiblich groß: 9.384.000 Eier wurden 1858 bei einem Kabeljau mittlerer Größe gezählt, so berichtet es jedenfalls ein Herr Leewenhoek. In jenen Zeiten ging die Allgemeinheit freilich davon aus, daß sich die Natur selbst reguliert. Fischer, die schon damals von Überfischung der Bestände sprachen, wurden von den Experten nicht ernst genommen. Nachdem also alte Bestände nahezu restlos ausgeplündert waren, machten sich die Fischfänger aus England, Frankreich, Spanien und Deutschland daran, die sehr ergiebigen Gründe vor Islands Küste zu nutzen. Das Ergebnis waren drei „Kabeljaukriege“, die einzigen Kriege, die Island je mit anderen Nationen führte. Nach der Ausrufung der 12-Meilen-Zone im Jahr 1958 begann die isländische Küstenwache ausländischen Schiffen ihre Fischnetze abzutrennen. Und schließlich feuerte am 18. März 1973 ein Kanonenboot sogar eine Granate vor den Bug eines englischen Schleppers!
Auf jeden Fall gibt es heute eine 200-Meilen-Zone vor der Küste des Landes, welches Mark Kurlansky nach altem Klischee als „baumlos“ bezeichnet. Tatsächlich aber sind die höchsten Eschen im Skaftafell-Nationalpark zwölf Meter hoch, und die Blätter vieler Alaskapappeln zappeln überhaushoch im Winde Reykjaviks.
Daß der Autor dann folglich in einer Steigerung vom „grünpflanzenlosen Grönland“ spricht, geht dann wirklich etwas zu weit. Gut, die Bezeichnung Grönland, also Grünland, war zwar ein Werbetrick von Erik dem Roten, um Wikinger zum dortigen Siedeln zu veranlassen. Aber es ist schon sehr grün in Grönland. Nicht nur Karotten, Rüben und Rhabarber sah ich in den Gärten der Stadt Narsasuaq, auch Krähenbeeren, die Nordische Waldhyazinthe, Birken und anderes Gewächs flattert oder grünt üppig an manch geschützten Hängen und Ebenen herum.
Sei's drum. Das Kabeljaubuch ist, wie gesagt, flott, liest sich gut, zeigt schöne alte Fotos und beinhaltet ein kurioses siebenseitiges Kabeljauregister. Wolfgang Müller
Mark Kurlansky: „Kabeljau. Der Fisch, der die Welt veränderte“. Claassen Verlag, München 1999, 319 Seiten, 34 Mark
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