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■ Der rechte Flügel der Bündnisgrünen will das grüne Milieu austrocknen. Damit gefährdet er die Existenz der Partei.Fällt Trittin, fallen die Grünen

Viel fehlt nicht – und bei der nächsten Wahl bekommen die Grünen meine Stimme nicht mehr. Meine Partei ist nicht die von Fraktionschef Rezzo Schlauch, nicht die der Haushaltssanierer Oswald Metzger, Christine Scheel und Michaele Schreyer. Schwer fällt es mittlerweile, Namen zu finden, die für das stehen, was den Grünen abhanden zu kommen droht. Bürgerrechtler Christian Ströbele vielleicht.

Ich wähle die Grünen, weil sie ein Milieu repräsentieren, das Raum für kritische Gedanken bietet. Die Szene der Bürgerinitiativen und selbstverwalteten Betriebe machte kleine Widerstände gegen Umweltzerstörung und entfremdete Arbeit im Alltag praktizierbar und formulierte systemtranszendierende Utopien. Das kann man als Mief der achtziger Jahre und Sozialromantik denunzieren, doch dies beschreibt die ideengeschichtliche und materielle Herkunft der Partei, das macht ihre Basis aus.

Jede Partei wurzelt in einem speziellen Milieu mit Vorräten gemeinsamer Lebensvorstellungen. Auch wenn es manchen nicht paßt – dieses Milieu darf man nicht abschneiden, soll die Partei überleben. Den Versuch, die innerparteilichen Fronten ein für alle Male zu begradigen, unternimmt gerade der Dienstleistungsflügel der Grünen. Die Fronde um Matthias Berninger und seine FreundInnen will die „Mitgliedschaft teilweise auswechseln“ und Umweltminister Jürgen Trittin gleich mit abwickeln. Doch Trittin ist nicht Lafontaine. Fällt der Umweltminister, fällt ein Symbol, und das wird ungleich größere Eruptionen hervorrufen, als es der Abgang des Finanzministers in der seit 130 Jahren leidgeprüften und duldsamen SPD-Klientel tat. Trittin ist ein Symbol für ein Symbol: das partielle, trotzige Aufbegehren gegen die Herrschaft von Mark und Pfennig.

Eine Partei muß sich verändern, wenn sie vom Rand der Gesellschaft in deren Machtzentrum marschiert. Gruhl, Ebermann, Ditfurth – die Liste der grünen Exilanten ist lang. Erneuerung aber ist etwas anderes als Verleugnung der eigenen Herkunft. Versucht die Finanzfraktion, die Wurzeln auszureißen, wird sie die Partei eliminieren.

Die CDU machte diesen Fehler während ihrer Regierungszeit nicht. Kohl tolerierte Arbeitsminister Norbert Blüm als verlängerten Arm der Sozialausschüsse selbst dann, wenn er noch so hilflos die Sicherheit der Rente beschwor. Die SPD konnte den Abschied ihres Vorsitzenden verschmerzen, weil sie Walter Riester hat. Ihm glauben die SPD-Stammwähler bei der städtischen Müllabfuhr, daß er ein Gewerkschaftsmegaphon bedienen kann. Und die PDS reüssiert nur deshalb bis auf 30 Prozent, weil in den Augen vieler OstberlinerInnen Lother Bisky weiß, wie eine Drei-Raum-Plattenwohnung in Marzahn von innen aussieht.

Es gibt Platz für eine liberale Partei in Deutschland – eine einzige. Das ist die FDP, die die Grünen nicht unter die Wasserlinie drükken wird. Die Freidemokraten stützen sich auf eine schmale bürgerliche Schicht vor allem im Südwesten der Republik und auf Teile des Unternehmerlagers. Die Grünen können dieses Wählersegment nicht so ausbeuten wie die FDP, denn trotz aller Anpassung assoziieren leitende Angestellte und Handwerker die Grünen immer noch mit roten Haaren und Sitzblockaden. Der Zugewinn an Wählerstimmen, den Oswald Metzger durch die Frühpensionierung Trittins anpeilt, wird geringer ausfallen als der Verlust von drei bis vier Prozent grüner Stammwähler, die die Partei bei fast jeder Wahl über die Fünfprozenthürde hieven.

Die Grünen sind, wie Micha Brumlik schon vor längerem bemerkte, bereits eine linksliberale Partei. Die aber kann nur zusammen mit ihrem kritischen Flügel ein liberales Profil „plus“ darstellen – eines, das sie vom wirtschaftsliberalen Kurs à la FDP ebenso abgrenzt wie von der Rolle der Funktionspartei mit dem wesentlichen Ziel der Regierungsbeteiligung.

Der eigenständige Auftritt einer radikaldemokratischen Bürgerrechtspartei ignoriert die blinden Flecken des deutschen, traditionell in einen Freihandels- und einen Menschenrechtsflügel gespaltenen Liberalismus nicht. Dieser setzt in beiden Ausprägungen darauf, daß möglichst viele EinwohnerInnen der Republik gleiche Ausgangsbedingungen genießen. Doch nicht jeder kann Wirtschaftsbürger sein, wenn ihm die Erbschaft fehlt und die Bank den Kredit für die Gründung eines Betriebs versagt. In der bürgerlichen Gesellschaft findet trotz sozialer Marktwirtschaft die Freiheit ihre Grenze in der ungleichen Verteilung des Eigentums. Diese macht in den entwickelten Staaten Millionen Menschen zu Abhängigen – weltweit Hunderte Millionen zu Ausgestoßenen.

Dieses Umstands waren sich die Grünen bewußt und sind es zum Teil noch. Deshalb kreierten sie ihre Parole „ökologisch, sozial, basisdemokratisch, gewaltfrei“. „Sozial“ bedeutete praktisch, daß viele AnhängerInnen der Grünen in selbstverwalteten Betrieben die Produktionsmittel in Gemeinbesitz überführten und gemeinsam wirtschaftlich kontrollierten.

Wenn linke Grüne heute auch kaum Konzepte präsentieren können, die die private Alternative gesamtgesellschaftlich ummünzen, so hegen sie doch eine fundamentale Skepsis gegenüber der an jeden gerichteten Aufforderung, sich als autarker Lebensunternehmer alleine durchzuschlagen. Ihr wesentlicher Beitrag liegt in der Betonung des Gesellschaftlichen, das das Individuum zur Rückkopplung zwingt. Der Staat solle zwar individuelle Freiheit ermöglichen, brauche aber auch die Beiträge der einzelnen, um moderne Sozialleistungen zu gewährleisten. Daher die linksgrüne Forderung nach einer sozialen Grundsicherung und dem Bafög für alle.

Schneidet die Partei ihr heimatliches Milieu ab und löscht die dort noch wache Skepsis gegenüber dem weltweiten Kapitalismus aus, bleibt die Schicht der Haushaltssanierer, die die materiellen Interessen der dynamischen Mittelschicht, der Computerdienstleister und Filmproduzenten, vertreten. Nicht umsonst war es Rezzo Schlauch, der Walter Riesters Gesetz zur Scheinselbständigkeit vehement kritisierte. Während Riester das gesamtgesellschaftliche Sozialversicherungssystem im Auge hat, stellte sich Schlauch auf die Seite des Existenzgründers als Steppenwolf der Marktwirtschaft. Für Schlauch, Schreyer, Metzger und Scheel gibt es keine schlechten Verhältnisse, sondern nur schlechtes Management. Die Grünen können ruhig zur Dienstleistungspartei mutieren. Doch Dienstleistung bedeutet nicht nur Sparpolitik und Optimierung des Systems, sondern auch Eintreten für diejenigen, die alleine auf dem Markt keine Chance haben.

Hannes Koch

Kohl hat Blüm toleriert – ein Beispiel, von dem Grüne lernen könnenWenn die Partei „sozial“ aus ihrem Selbstverständnis streicht, ist es vorbei

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